Kolumne

SVP zielt auf Schutz der Menschenrechte

von Ulrich E. Gut, Präsident «Unser Recht» | März 2015
Die SVP wagt die Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht explizit zu fordern. Aber die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) soll für die Schweiz unverbindlich werden. Also will sie via Nichteinhaltung, via Vertragsbruch, zum Ziel kommen. Denn mit dem Europarat kann man die Verbindlichkeit der Strassburger Urteile so wenig wegverhandeln wie mit der EU die Personenfreizügigkeit. Zweitens würde die Initiative keine Anerkennung von Urteilen des EU-Gerichtshofs zulassen. Das könnte die Weiterführung der bilateralen Vertragsbeziehungen mit der EU verunmöglichen. Drittens richtet sie sich generell gegen «den Einfluss» von Organisationen wie UNO, OECD, EU, Europarat.
(vgl. www.unser-recht.ch)

Die Initiative zielt nicht nur auf «fremde» Richter, sondern würde schlechthin den Schutz der Grundrechte abbauen. Die SVP hatte nie etwas dagegen, dass das Bundesgericht nach Artikel 190 BV verfassungswidrige Gesetzesbestimmungen anwenden muss. Bisher durfte und musste «Lausanne» aber Rechte, die auch durch internationale Konventionen wie insbesondere die EMRK geschützt sind, durchsetzen. Die Initianten wollen diesen Schutz nun aufheben – ersatzlos!

Grundrechte missachten
Dadurch würde die Bahn frei für unverhältnismässiges Staatshandeln. Grundrechte könnten nicht mehr nur eingeschränkt, sondern ganz missachtet werden. Verführerisch ist die Illusion, dass dies nur Menschen träfe, die man mit harter Hand anpacken wolle: Immigranten, Straftäter, Unangepasste, Minderheiten. Aber wenn man dem Staat erlaubt, Verhältnismässigkeitsprinzip und Grundrechte zu verletzen, geraten auch Menschen, die sich für angepasst und gesetzestreu halten, in Gefahr. Jede und Jeder kann eines Tages Aussenseiter für Andere sein – wenn nicht ich selber, dann jemand in meiner Nähe.

Die Initianten werden Gerichtsfälle auffahren, die sie skandalisieren – gern mit Hilfe der Boulevardpresse: «Kuscheljustiz!». Ihr Argumentarium enthält ein Strassburger «Sündenbüchlein» (www.unser-recht.ch).

Ein Wochenblatt machte bereits Stimmung mit Namen von EGMR-Richterinnen und –Richtern aus Osteuropa und dem Baltikum: Fremde Richter! – und erst noch solche! Die sollen zuerst zu Hause Ordnung machen! Aber mit einem gediegeneren Teil der Kampagne werden sich die Initianten um die Unterstützung respektabler Leute bemühen, die über die Praxis «Strassburgs» in verschiedenen Rechtsgebieten verärgert sind.

Die Strassburger Rechtsprechung förderte über Jahrzehnte die Grundrechtspraxis in der Schweiz: Vom Strafprozess bis zur journalistischen Informationsbeschaffung. Wenn künftig nicht nur über die Ergebnisse der Urteile, sondern öfter auch über Begründungen und Hintergründe berichtet wird, wird das Ansehen dieses Gerichts steigen.

Da die Schweiz nicht der EU angehört, ist für sie ihre Mitgliedschaft im Europarat besonders wichtig. Diese ist untrennbar mit der EMRK verbunden. Wendet sich ein Land von der Europäischen Menschenrechtskonvention ab, gerät es in eine heillose Auseinandersetzung mit Ministerrat, Parlamentarischer Versammlung und Mitgliedstaaten. Die Initianten werden sagen: Eine selbstbewusste Schweiz leistet sich dies. «Der Starke ist am mächtigsten allein», sagt ja Tell - bevor er sich in die Gemeinschaft einbringt...

An der Spitze nationalistischer Bewegungen?
Als Kleinstaat mit grossem Interesse an der Völkerrechtsgeltung wirkt die Schweiz mit Erfolg an der Reform des EGMR mit. Soeben ging das EMRK-Protokoll 15 an die Räte. Es stärkt das Subsidiaritätsprinzip. Welche Verantwortung aber übernähme unser Land, wenn es sich an die Spitze einer nationalistischen Bewegung gegen das Völkerrecht stellte! Welche Dummheit beginge die Schweiz, wenn sie die Haltung einnähme: Europarat, lass den EGMR für Menschenrechte in Europa sorgen, aber bei uns gelten seine Urteile nicht mehr, denn wir sind besser!

Obwohl sieben Parteien ihre Ablehnung erklärten, wird die Initiative nur verworfen, wenn wir eine Mehrheit nicht nur von den Menschenrechten an sich, sondern von deren Schutz durch ein europäisches Gericht überzeugen: Wenn wir sie davon überzeugen, dass die Richterinnen und Richter in Strassburg gemeinsame sind!