Editorial

EU-Rahmenabkommen: nicht Zumutung, sondern Notwendigkeit

von SGA-Vizepräsident Rudolf Wyder | November 2016
In keine Grube fällt man so effektvoll wie in eine selbst gegrabene. Daran muss denken, wer die Äusserungen helvetischer Akteure zur Frage eines institutionellen Abkommens Schweiz-EU verfolgt.

Präventiv schiesst die SVP grobes Sperrfeuer gegen eine Rahmenvereinbarung zu den rund 120 grossen und kleinen Abkommen, welche den «bilateralen Weg» ausmachen. Exponenten anderer Parteien meinen nachziehen zu sollen und multiplizieren unbedacht listig in die Welt gesetzte Clichés wie «fremde Richter», «Diktat aus Brüssel», «Aufgabe der Souveränität». Selbst Mitglieder der Landesregierung lassen sich zitieren, für ein Rahmenabkommen sei heute keine Mehrheit zu finden. Welch effiziente Vorbereitung des Terrains für künftige Entscheidungen! Oder soll man gleich sagen: für künftige Niederlagen? Wer am liebsten vor Spielbeginn Forfait erklärt, muss es so machen.

Stimmungsmache statt Fakten
Worum geht es überhaupt? Rhetorisch ist die Frage beileibe nicht. Denn einmal mehr eilt die Stimmungsmache der Klärung und Bewertung der Fakten voraus. Einmal mehr dreht sich der Diskurs um das angeblich politisch Machbare, bevor noch darüber gesprochen worden ist, wo die Herausforderung liegt, welches unsere Interessen sind, was wir brauchen und was wir eigentlich wollen. Das Pferd dergestalt am Schwanz aufzuzäumen, scheint mittlerweile wohletablierte Praxis geworden zu sein.

Die Schweiz und die EU verhandeln seit 2014 über ein mögliches Rahmenabkommen. Dieses soll eine einheitlichere und effizientere Anwendung der in Kraft stehenden Abkommen wie auch künftiger Verträge gewährleisten. Wie sollen bestehende Abkommen an die Entwicklung des EU-Acquis angepasst werden? Wie wird die homogene Auslegung der Verträge sichergestellt? Wie ist deren einheitliche Anwendung zu gewährleisten? Mit welchen Verfahren und durch welche Instanzen werden allfällige Divergenzen zwischen den Vertragspartnern ausgeräumt? Zu regeln sind diese Fragen, weil die Schweiz den EWR-Rahmen 1992 abgelehnt und stattdessen eine immer komplexere, zunehmend störungsanfällige Insellösung ausgehandelt hat.

Der Bundesrat hat das Verhandlungsmandat Ende 2013 nach Konsultation der Aussenpolitischen Kommissionen beider Räte, der Kantone und interessierter Institutionen verabschiedet. Wegleitend war die Einsicht, dass der Wirtschafts- und Forschungsplatz Schweiz vor allem Rechtssicherheit braucht. Daran sind auch unsere europäischen Partner interessiert. Brüssel betont inzwischen immer nachdrücklicher, dass es in der Einigung über diese grundlegenden Fragen eine Vorbedingung für den Abschluss weiterer bilateraler Abkommen (etwa in den Bereichen Strommarkt, Emissionshandel, Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit, Produktsicherheit und öffentliche Gesundheit) sieht.

Interesse an klaren Regeln
Wer darin eine Zumutung sieht und von «Diktat» spricht, lebt in einer verkehrten Welt. Die Schweiz hat alles Interesse daran, die Beziehungen zu ihrem mit Abstand wichtigsten Partner auf ein rechtlich solides Fundament zu stellen, die Mechanismen der Rechtsfortentwicklung zu klären, Reibungsflächen zu beseitigen und das Management von Konfliktsituationen präventiv zu organisieren.

Wozu das Gerede von «fremden Richtern», wo es doch um gemeinsame gerichtliche Instanzen im gemeinsamen Wirtschaftsraum geht? Von Fremden könnte allenfalls gesprochen werden – dann aber aus EU-Sicht! –, beanspruchten schweizerische Instanzen, die Binnenmarktregeln autonom zu interpretieren.

Natürlich macht es Sinn, die schwierigen Diskussionen um die Umsetzung von Artikel 121a BV nicht mit den institutionellen Fragen zu einem schwer verdaulichen Cocktail aufzumischen. Aber die Klimmzüge im Zusammenhang mit der Umsetzung des unseligen Masseneinwanderungs-Artikels rufen geradezu nach institutionellen Mechanismen zur Schadenminimierung im Falle absehbarer Konflikte.

Die Fortführung des «bilateralen Weges» bedingt ein Rahmenabkommen. Im Interesse der Rechtssicherheit, auf die der kleinere mehr noch als der ökonomisch mächtigere Partner angewiesen ist. Hier wie anderswo gilt: Souveränität heisst nicht Verweigerung, sondern aktive Wahrnehmung der eigenen Interessen.

Das Terrain für künftige Entscheidungen gilt es vorzubereiten, erst recht in unserer Referendumsdemokratie. Das heisst: Ausgangslage, Interessen, Ziele erläutern. In eine selbst gegrabene Grube fällt, wer stattdessen die angeblich fehlende Akzeptanz beklagt. Wer den Weg des Bilateralismus weitergehen will, muss die Regelung der institutionellen Fragen anstreben – und dafür werben!