Kolumne

Für eine Schweiz, die in die Zukunft blickt

von Thomas Breu | August 2018
Die Diskussionen über die Umsetzung der UNO-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung durch die Schweiz hatten vielversprechend begonnen. Herausgekommen ist schliesslich nur ein mutloser Bericht, dem die Vision einer Vorwärtsstrategie fehlt.

«Die Schweiz wird die Agenda 2030 auf der Basis der bestehenden Legislaturschwerpunkte weiter umsetzen. Sie tut dies in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen, der Wirtschaft, der Zivilgesellschaft sowie der Wissenschaft.» So endet die Mitteilung des Bundesrats vom 20. Juni 2018 zum Länderbericht der Schweiz, in der dieser darlegt, wie er zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung steht.

Dem 20. Juni vorausgegangen war ein zweijähriger, nach bester Schweizer Tradition aufgegleister Verhandlungs- und Meinungsbildungsprozess: Es war gelungen, sonst oft unterschiedlich positionierte Interessensvertreterinnen und -vertreter – zusammen mit der Bundesverwaltung – auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen – für eine Schweiz, die in die Zukunft blickt.

Umso bedauerlicher ist es, dass den Bundesrat am Schluss dieses Prozesses, wie er sich fast modellhaft auch auf internationaler Ebene anbieten würde, der Mut verliess: Die robuste «Bestandesaufnahme», die unter Einschluss der wichtigen Akteure und Akteurinnen entstanden war, wich einer Version, die eher von Befürchtungen geprägt scheint, sich aus der Komfortzone – deren Ende absehbar ist – hinausbewegen zu müssen, als von der Vision, eine Vorwärtsstrategie entwerfen zu können. So fanden etwa die konkreten Herausforderungen, welche die Schweiz gemäss der Begleitgruppe prioritär angehen müsste, keinen Eingang in die bundesrätliche Version.

Verdeutlichen lässt sich diese Diskrepanz anhand unserer Lebensgrundlagen: Die Begleitgruppe mahnt an, diese im Inland besser zu schützen, aber auch unsere Mitverantwortung für eine sozial und umweltgerechte Land- und Ressourcennutzung im Ausland zu übernehmen – insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern. Dafür formuliert sie konkrete Massnahmen. Der Bundesrat hingegen begnügt sich mit einer Auflistung der internationalen Abkommen und Initiativen, an denen sich die Schweiz beteiligt, sowie der bisher gültigen Schwerpunktsetzungen.

Aus Eigeninteresse unvermeidbaren Wandel mitgestalten
Dabei hat die Schweiz mit ihrem spezifischen Know-how in Gouvernanzfragen und ihren starken internationalen Verflechtungen einiges zu bieten und könnte sich als eines der reichsten Länder nicht nur international stärker engagieren und ihr Wissen und ihre Innovationskraft für andere Regionen der Welt verfügbar machen. Als kleines und von den globalen Umwälzungen stark betroffenes Land hat sie auch ein ausgesprochen starkes Eigeninteresse, diese Chance zu packen, rasch zu reagieren und den unvermeidbaren Wandel aktiv mitzugestalten.

Kommt hinzu, dass die Länderberichte zur Agenda 2030 auch eine einmalige Plattform bieten: Staaten können sich so über die besten Lösungsansätze, Erfahrungen und Herausforderungen austauschen und voneinander lernen. In diesem Rahmen könnte die Schweiz für sie zentrale Fragen diskutieren: Wie lassen sich globale Sicherheit, Frieden und Gerechtigkeit erreichen, die für unser Land überlebenswichtig sind? Wie begegnen wir den Gefahren und meistern die Herausforderungen, die mit der Klimaerwärmung verbunden sind? Wie gelingt es uns, unseren überdurchschnittlich hohen Ressourcenverbrauch auf ein sozial- und umweltverträgliches Niveau zu bringen und den Wohlstand trotzdem zu wahren? Zudem könnte sich die Schweiz punkto einer kohärenten Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele von Ländern wie Deutschland, Frankreich, Schweden oder den Niederlanden inspirieren lassen.

Bisherige Massnahmen genügen nicht
Dazu braucht es jedoch dringend eine integrale Denkweise und eine kohärente Politik, welche die Aufgaben im Zuge der Agenda 2030 beherzt angeht. Alleine vermag die Schweiz diese Herausforderungen nicht zu stemmen. Die alt hergebrachten nationalstaatlichen und sektoriellen Massnahmen genügen nicht mehr, um Lösungen für die komplexen Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Zielebenen unseres Zeitalters zu finden. Erst recht nicht dann, wenn die bisherigen Sektorpolitiken mit den gleichen finanziellen und institutionellen Mittel, wie es der Bundesrat vorsieht, fortgeschrieben werden sollen. In einem ersten Schritt müsste die Steuerung der Umsetzung der Agenda 2030 in der Schweiz an einer Stelle zusammengeführt und diese mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet werden.

Sicher ist auch: Will der Bundesrat seinen eigenen Worten in der Mitteilung vom 20. Juni 2018 Nachachtung verschaffen, wird er nicht darum herumkommen, auf politischer Ebene dafür zu sorgen, dass die erste Aussage nicht zum Lippenbekenntnis wird – und die zweite nicht dazu genutzt wird, um ein Outsourcing der Verantwortung zu betreiben: «Es liegt im Interesse der Schweiz, einen Beitrag zur Finanzierung der nachhaltigen Entwicklung zu leisten – durch die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit aber auch vermehrt durch strategische Partnerschaften und die Mobilisierung privater Ressourcen für eine nachhaltige Entwicklung.»

Thomas Breu, Professor an der Universität Bern, Direktor des Centre for Development and Environment und Executive Director International Graduate School North-South. Er ist Co-Autor des im Sommer 2017 publizierten Policy-Papers «Die Schweiz und die Agenda 2030»