Gelassenheit um Rahmenabkommen

von Christoph Wehrli | April 2018
Staatssekretär Roberto Balzaretti gibt sich zuversichtlich, dass sich die Schweiz und die EU sich auf ein Abkommen über institutionelle Fragen einigen können. Andernfalls würde man gute Freunde bleiben.

Die aussenpolitische Aula der SGA an der Universität Bern war der Rahmen für einen der ersten öffentlichen Auftritte des neuen Staatssekretärs für europäische Angelegenheiten, Roberto Balzaretti. Der Bundesrat hatte den Diplomaten Ende Januar auf diesen – gleichzeitig aufgewerteten – Posten gewählt und bis Anfang März auch seine Ziele für die Verhandlungen mit der EU festgelegt (ohne grundsätzlich vom früheren Kurs abzuweichen). Wie Balzaretti in seinem Referat bestätigte, wird eine institutionelle Regelung mit Brüssel angestrebt, um die bestehenden Marktzugangsabkommen (die Bilateralen I ohne Forschung und öffentliche Beschaffungen) sowie das anvisierte Stromabkommen absichern und einfacher weiterentwickeln zu können. Ausserdem ist der Bundesrat an materiellen Verträgen in anderen Bereichen, wie öffentliche Gesundheit oder Satellitennavigationssysteme und an einer vollen Beteiligung an den künftigen Forschungsprogrammen (nach Horizon 2020) interessiert.

Mechanismus für Updates

Bereits das heutige Vertragsnetz zwischen der EU und der Schweiz sei von einer einmaligen Dichte, sagte Balzaretti, und das Ganze funktioniere gut. Hie und da gebe es Schwierigkeiten bei der Anwendung, daher habe die EU unter anderem vorgeschlagen, Regeln für die Beilegung von Differenzen zu vereinbaren. Die gemeinsame Suche einer Lösung erfuhr besonders nach Annahme der Masseneinwanderungsinitiative einen Einschnitt: In Brüssel, wo Balzaretti damals Missionschef war, wurde die Schweiz in der Folge nach seinen Worten als «Paria Europas» behandelt und erhielt fast mehr Aufmerksamkeit als Russlands Eingreifen in der Ukraine. Heute ist die Situation ruhiger. In seinen einleitenden Ausführungen sowie in der Diskussion mit Markus Mugglin (SGA) und Patrick Dümmler (Avenir Suisse, Mitveranstalter) vermittelte der Referent den Eindruck von Gelassenheit, sowohl was die Schwierigkeit beziehungsweise die Erfolgschancen der Verhandlungen als auch was die Folgen eines Scheiterns betrifft.

Das Interesse der Schweiz an einem institutionellen Abkommen erläuterte Balzaretti mit einem Vergleich: Wie ein Smartphone Updates brauche, weil es sonst allmählich an Funktionswert verliere, müssten die Abkommen über den gleichberechtigten Zugang zum europäischen Binnenmarkt an die Entwicklung des EU-Rechts angepasst werden, und mit festgelegten Verfahren sei dies einfacher als bisher. Die Rechte von Parlament und Volk würden gewahrt, doch ein Nein könnte zu Problemen führen.

Ein zweites kontroverses Thema ist die Beilegung von Streitigkeiten. Dass die EU letztes Jahr ein Schiedsverfahren vorgeschlagen hat, erleichtert den Fortgang der Verhandlungen. Das Schiedsgericht könnte von einer der beiden Seiten angerufen werden, wenn sich eine Angelegenheit nicht durch ein gewöhnliches Gericht oder in einem der Gemischten Ausschüsse bereinigen lässt. Es könnte unter noch zu bestimmenden Bedingungen den Europäischen Gerichtshof um ein Gutachten anfragen, würde am Schluss aber selber entscheiden. Er glaube, dies sei eine gemeinsame Position, sagte Balzaretti zu diesem Punkt – überraschend, zumindest soweit es um die Auslegung von EU-Recht geht. Im Einzelnen ist noch einiges offen. Dies gilt auch etwa für die Frage, ob das institutionelle Abkommen, wie Brüssel es wünscht, Grundsätze für staatliche Beihilfen enthalten oder aber, was Bern vorzieht, nur auf separate materielle Regelungen verweisen sollte.

Vernünftig, nicht dringlich

Bestünden Regeln für die Streitbeilegung und für Ausgleichsmassnahmen im Fall, dass die Schweiz relevantes Binnenmarktrecht nicht übernimmt, so hätte die Guillotine-Klausel in dieser Hinsicht keinen grossen Sinn mehr, antwortete der Staatssekretär auf eine Frage. Die gegenseitige Verknüpfung der sieben ersten bilateralen Verträge würde ihre Bedeutung aber behalten, wenn beispielsweise die Schweiz die Personenfreizügigkeit gezielt kündigen wollte. Im Weiteren bestätigte er die Position der Landesregierung, dass es kein institutionelles Abkommen geben werde, wenn die Flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit infrage gestellt würden – obschon, wie er in der Einführung gesagt hatte, gerade diese Seite der Vertragsumsetzung den europäischen Partnern eine gewisse Schwierigkeit bereitete und am Ursprung ihres Interesses an einer institutionellen Regelung liegt.

Insgesamt zeigte sich Balzaretti überzeugt, dass es jetzt möglich sei, «relativ schnell» zu einem Abschluss der Verhandlungen zu gelangen. Dass dies dringlich sei, wollte er nicht bejahen, lieber nannte er es vernünftig. Der Wille, zu einem Resultat zu kommen, sei auf beiden Seiten vorhanden. Das Ende der Brexit-Verhandlungen abzuwarten, würde nichts bringen, da die Schweiz, anders als Grossbritannien, auf der Grundlage eines Vertragsnetzes operiere und zudem wisse, was sie brauche. Wenn man zu keinem befriedigenden Resultat komme, würde die Lösung mancher Probleme komplizierter, doch würden die EU und die Schweiz gute Freunde bleiben.