Lesetipp

«Geschichte» in der Entwicklungshilfe

von Christoph Wehrli | Januar 2017
Eine Studie über die schweizerische Entwicklungshilfe in Bhutan und Vietnam illustriert, wie persönliche, aussen- und wirtschaftspolitische, also historische Faktoren diese scheinbar sachlich-«unschuldige» Tätigkeit mitbestimmen.

Die Entwicklungszusammenarbeit mit Bhutan und Vietnam hat je ihre eigene, eher ungewöhnliche Geschichte. Im Fall des relativ abgeschlossenen Königreichs im Himalaya geht sie auf das persönliche Engagement des Zürcher Handelsunternehmers Fritz von Schulthess zurück, dessen Tochter 1948 in England die spätere bhutanische Königsgattin kennengelernt hatte. Zwischen der Schweiz und dem kleinen Bergland in Asien sah man Analogien, der Bund und die private Helvetas etablierten sich als wichtige Akteure. Das kommunistische (Nord-)Vietnam hingegen, das den USA die Stirn bot, konnte lange auf wenig Sympathien zählen, wurde aber nach wirtschaftlichen Liberalisierungen ein begehrter und erfolgreicher Partner.

Der Autor An Lac Truong Dinh wählte auch aus persönlichen Gründen diese Länder als Thema seiner an der Universität Basel geschriebenen Dissertation: Sein Vater stammt aus Vietnam, seine Mutter arbeitete einmal in einem Entwicklungsprojekt, aus dem Kühe nach Bhutan geliefert wurden. Sachlich liegt es nicht auf der Hand, die Wege der beiden Länder nebeneinander zu stellen, doch ist es durchaus anregend. Das Interesse des Autors gilt nur teilweise den Formen und den Wirkungen der schweizerischen Hilfe, hauptsächlich vielmehr den Konstellationen und den Konzeptionen, die dem Bild einer apolitischen, neutralen und wirklich partnerschaftlichen Kooperation kritisch gegenübergestellt werden.

Rücksicht auf Politik und Wirtschaft
Dass der Gang der Entwicklungszusammenarbeit jeweils von diversen Umständen und Erwartungen abhängt, ist nicht neu, wird indessen konkret verdeutlicht. Bhutan war eine Art indisches Protektorat, bevor es, 1971 in die Uno aufgenommen, aussenpolitische Souveränität gewann. Die offizielle Schweiz hatte darauf Rücksicht zu nehmen und reagierte auf Unterstützungsgesuche erst in den 1970er Jahren positiv. In Vietnam hielt sich der Bund während des Kriegs (1955/65 – 1975) sogar mit humanitärer Hilfe zurück. Der Autor verweist auf die mehrfach so umfangreichen Leistungen Schwedens, deutet aber auch die politischen Risiken an: Eine Spende von 30 Mikroskopen an die Universität Saigon wurde 1964 als Unterstützung der USA interpretiert; Hanoi wollte 1966 auf ein (bescheidenes) Angebot nur eingehen, wenn Bern die amerikanischen Bombardierungen verurteilen würde. Ab 1974 wurde Wiederaufbauhilfe geleistet. Doch einer langfristigen technischen Kooperation standen offenbar Rücksichten auf die öffentliche Meinung in der Schweiz und ab 1978 der vietnamesische Einmarsch in Kambodscha entgegen. Die Wende, in der Vietnam 1995 zu einem Schwerpunktland wurde, bringt Truong Dinh namentlich mit Wirtschaftsinteressen in Verbindung, auch wenn die Entwicklungsprojekte selber nicht darauf ausgerichtet waren. Heute weckt offenkundig Myanmar ähnliche Hoffnungen.

Nichtwestliche Modelle?
Die theoretischen Ansätze der Untersuchung passen – dies der Eindruck bei der Lektüre – nicht durchwegs auf die realen Situationen und komplexen Prozesse, die auf breiter Quellenbasis dargestellt werden. Wie steht es etwa mit dem kritisierten «Eurozentrismus» der Entwicklungsförderung? Bhutan erschien westlichen Besuchern als idyllischer, zu erhaltender Gegenpol zur eigenen Gesellschaft. Wie der König trat der mit ihm befreundete Fritz von Schulthess für eine bewusst sachte Modernisierung ein, während es im Land auch Stimmen für einen forscheren oder für einen konservativeren Kurs gab. Auf operativer Ebene wünschte sich der König für den Aufbau einer Käseproduktion «Swiss-Brown»-Kühe, wogegen ein Schweizer Experte vergeblich zu gründlicheren Abklärungen und zur Verwendung einer indisch-schweizerischen Kreuzung riet.

Bei Vietnam hebt der Autor, dem vage eine «Vielfalt von Modernen» vorschwebt, die Orientierung an ostasiatischen Vorbildern hervor. Nichtwestlich sind in diesen Staaten allerdings mehr die autoritären politischen Systeme als die Wachstumsideale. Aufseiten der Schweiz war der Generalkonsul in Saigon, der 1963 in einem Bericht nach Bern Vietnam abschätzig die Rolle «eines unersättlichen Weibes» zuschrieb, ein «Einzelfall». Doch vietnamesische Gesprächspartner des Autors kritisieren auch bei den Akteuren der späteren Entwicklungszusammenarbeit mangelhafte Kenntnisse des Partnerlandes und ein einseitiges Vorgehen. Damit wird ein Problem angesprochen, das in der Praxis allgemein Beachtung verdient. Eine Art Machtgefälle (bezüglich Geld und Know-how) macht Grund und Wesen der Entwicklungshilfe aus – auch wenn man sie Zusammenarbeit nennt und obwohl gerade engagierte Kreise die eigene Zivilisation oft distanziert betrachten.

An Lac Truong Dinh: Von Kühen, Fachkräften und Kapital. Persönliche Netzwerke, schweizerische Diplomatie und Entwicklungshilfe in Bhutan und Vietnam seit 1945. Chronos-Verlag, Zürich 2016. 233 S., Fr. 38.-.