Kolumne

Wählen zwischen Isolation und Kooperation

von Hans-Jürg Fehr | Juli 2014
Der Bundesrat macht schon gar nicht den Versuch, die vom Stimmvolk knapp angenommene Volksinitiative zur Begrenzung der Zuwanderung schlaumeierisch so auszulegen, dass sie mit dem Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU irgendwie noch kompatibel wäre. Das ist demokratiepolitisch richtig, denn Volksinitiativen werden im Falle ihrer Annahme zu Verfassungsbestimmungen, und daran hat sich die Landesregierung gefälligst zu halten. Es ist aber auch sachlich korrekt, denn die Initiative verlangt die Rückkehr zu Kontingenten, und die sind nun einmal das Gegenteil von Freizügigkeit.

Natürlich ist dem Bundesrat bewusst, dass er jetzt eine Umsetzung vorschlägt, die er letztlich verhindern will. Denn die Rückkehr zu Kontingenten hebt das Personenfreizügigkeitsabkommen auf und dies wiederum aktiviert die Guillotine-Klausel in dessen Artikel 25: Die anderen sechs Abkommen des ersten Pakets von bilateralen Verträgen treten sechs Monate später ebenfalls ausser Kraft.

Die Schweiz hat am 9. Februar ihren europapolitischen Kurs von Kooperation auf Konfrontation umgestellt und steuert vorerst auf das Ende des Bilateralismus zu. Die Frontalkollision mit der EU lässt sich aber noch verhindern, wenn das Stimmvolk seine Entscheidung im Rahmen einer neuen Volksabstimmung korrigiert bevor die den Behörden zur Verfügung stehende Frist von drei Jahren abgelaufen ist. Dies wiederum wird nur geschehen, wenn glaubhaft dargelegt wird, dass die Zuwanderung auch unter Beibehaltung der Personenfreizügigkeit deutlich reduziert werden kann.
Das ist durchaus möglich – sofern das Parlament ein Bündel von innenpolitischen Reformen beschliesst. Der Bezugspunkt dieser Reformen ist der schweizerische Arbeitsmarkt, denn er allein steuert bisher die Zuwanderung. Seine starke Anziehungskraft auf Arbeitskräfte ausserhalb der Schweiz muss abgeschwächt werden durch eine bessere Ausschöpfung des brach liegenden Arbeitskräftepotenzials innerhalb der Landesgrenzen.

Die wirksamste Massnahme ist die deutliche Erhöhung der Erwerbsquote der Frauen. Wegen der immer noch stark erschwerten Vereinbarkeit von Beruf und Familie arbeiten zu viele der gut ausgebildeten Frauen zu wenig in ihrem Beruf. Berechnungen zeigen, dass die Erhöhung der Erwerbsquote bei den teilzeitlich angestellten Frauen um einen Tag pro Woche 40‘000 Vollzeitpensen entspricht. Das ist mehr als die Hälfte der jährlichen Zuwanderung! Das Reservoir an qualifizierten weiblichen Fachkräften kann mit dem zügigen Ausbau der ausserfamiliären Kinderbetreuung und der Beseitigung der Lohndiskriminierung erschlossen werden.

Die zweitwichtigste Massnahme betrifft die 55- bis 65jährigen Arbeitnehmenden. Zu viele von ihnen werden heute gegen ihren Willen ganz oder teilweise aus dem Erwerbsleben verbannt, weil sie von den Arbeitgebern als zu teuer oder nicht mehr optimal qualifiziert angesehen werden. Ansatzpunkte für beschäftigungswirksame Reformen sind deshalb die 2. Säule (Senkung der zu hohen Pensionskassenbeiträge und im Gegenzug früherer Beginn der Beitragspflicht) sowie die Weiterbildung. Das Arbeitskräftepotenzial dieser Altersgruppe wird vom Bundesrat auf über 90‘000 Vollzeitstellen geschätzt.

Die Zuwanderungsbremse lässt sich auch im steuerlichen Bereich betätigen. Die Abschaffung der ohnehin fragwürdigen Privilegierung von ausländischen Reichen (Pauschalsteuer) und
ausländischen Konzernen (Gewinnsteuer) wird dem Standort Schweiz etwas Attraktivität nehmen und Zuzüge reduzieren. Mit dem Übergang zum automatischen Informationsaustausch und vor allem mit der von der EU erzwungenen Reform der Gewinnsteuer sind die entscheidenden Massnahmen bereits in einem fortgeschrittenen Stadium und können innert der zur Verfügung stehenden 3-Jahres-Frist in Kraft gesetzt werden.

Es ist also möglich, die Zuwanderung markant zu reduzieren ohne deswegen die Personenfreizügigkeit aufzugeben und mit ihr den Bilateralismus zu beenden. Der Bundesrat muss aber mit dem Parlament und den Sozialpartnern schnell und wirksam handeln, damit das Stimmvolk in drei Jahren anders entscheidet als am 9. Februar.