Kolumne

Aussenpolitische Zeitenwende

von Martin Fässler* | Februar 2023
Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat den Begriff „Zeitenwende“ zum Wort des Jahres 2022 gekürt. Ohne weltweite Kurskorrektur in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft drohen eine Erderhitzung um mehr als 3 Grad. ein dramatischer Verlust an Lebensräumen, eine dauerhafte Gefährdung von Entwicklungschancen in ärmeren wie reicheren Ländern. Die Aussenpolitik der Schweiz ist gefordert, Zukunftsperspektiven in einem turbulenten Umfeld zu skizzieren. Erforderlich sind klare Weichenstellungen im Einklang mit der UN-Nachhaltigkeitsagenda, welche die Ordnungspolitik auf den Klima- und Ressourcenschutz und die Erhaltung der Biodiversität ausrichten und die politische Ökologie stärker in den Mittelpunkt rücken. Hierzu haben Bundesrat und Parlament in 2023 / 24 gebührend Gelegenheit.

Fünf Empfehlungen

1. Das World Economic Forum hat kürzlich die zentralen Risiken für die Weltwirtschaft präsentiert: Klima- & Biodiversitätskrise, Umwelt- & Klimaschutz, Voraussetzungen für Wohlstand, internationale Stabilität, menschliche Sicherheit. «Es ist Zeit für einen wahren Friedensvertrag mit der Natur» (UN-Generalsekretär António Guterres auf der Biodiversitätskonferenz COP 15). Im Zeichen der Agenda 2030 und des Pariser Klima-Abkommens betont das jüngst vereinbarte «globale Rahmenabkommen für Biodiversität» (GBF) die Notwendigkeit einer «sozial-ökologischen Transformation» und fordert einen Wandel in den «Beziehungen der Gesellschaften zur biologischen Vielfalt». Vordringlich ist eine zielorientierte Nutzung verschiedener «transformativer Hebel». Die Schweiz kann folgende Massnahmen rasch voranbringen: konsequente Ausrichtung des Systems der Steuern und Abgaben auf den Klima- und Umweltschutz; ein rascher und vollständiger Abbau von Subventionen für fossile Energieträger; die Schaffung eines exzellenten Umfelds für technologische und soziale Innovationen. Dazu gehören: der Aufbau von Kooperationen für den Handel erneuerbarer Energien sowie von Technologiekooperationen und die Unterstützung beim Aufbau einer klimaneutralen und ‘ressourcenleichten’ Ökonomie; eine Subventionspolitik im Sinne eines integrierten Ansatzes umwelt-, wirtschafts- und sozialverträglicher Massnahmen, die eine «just and fair transition» fördern. Derartige Modelle machen es für Schwellen- und Entwicklungsländer deutlich attraktiver, Transformationspfade zu beschreiten.

2. Geostrategisch verschiebt sich die multilaterale Kooperation zum Grossmächtewettbewerb. Welche Prinzipien, Werte und Regeln sollen den Multilateralismus in Zukunft leiten? Das Tauziehen um diese Frage wird intensiver. In der multilateralen Aussenpolitik rücken die Querbezüge zwischen einzelnen Politikfeldern stärker ins Zentrum. Dementsprechend sollten die aussenpolitischen Instrumente einer kohärenten Politik auf exekutiver und parlamentarischer Ebene verstärkt werden.

3. Die Umsetzung der «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung» erfolgt inder Schweiz, mit und durch die Unterstützung der Schweiz weltweit. Bislang ist der Hebel ‘Aussenpolitik – internationale Zusammenarbeit’ wenig vorausschauend konzipiert. Die «Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030» der Schweiz» listet lediglich thematisch passende Aktivitäten auf. Zum Beispiel bleibt die Frage, wie sich die langfristigen Ziele der Agenda mit «klassischer Diplomatie» verknüpfen und erreichen lassen, ausgespart. Unabdingbar ist der Ausbau der Departementsübergreifenden Zusammenarbeit, u.a. über eine Stärkung des Direktion-Ausschusses sowie ein Modernisierungsschub in der Verwaltung mit schlagkräftigen und strategiefähigen Strukturen in den Departementen.

4. Der Blick auf die Klimawissenschaft mag das Ausmass der Herausforderung verdeutlichen. In ihren Anfängen hat sie sich vor allem auf die Zusammenhänge zwischen der Konzentration von Treibhausgasen und dem menschengemachten Klimawandel fokussiert. Der Fokus hat sich immer stärker auf mögliche Zukunftsszenarien verschoben. Heute sind sogenannte Integrated Assessment Models(IAMs) wichtig geworden. Sie ermöglichen Aussagen über mögliche Zukünfte, basierend auf Wenn-Dann-Annahmen. Eine ähnliche Verschiebung ist auch in der internationalen Politik feststellbar. Sektorale Politiken werden zusammengeführt und auf Transformationserfordernisse konzentriert, um den Wandel in Richtung Nachhaltigkeit zu beschleunigen. Klimaschutz-, Energie-, Technologie- und Industriepolitik verschränken sich immer mehr. International sind sie allerdings Austragungsfeld geoökonomischer Rivalitäten. Entsprechend braucht es eine mittelfristige Orientierung der Nachhaltigkeitsaussenpolitik.

5. Die Schweiz hat in der Zusammenarbeit mit Ländern des globalen Südens langjährige Erfahrungen über Gesellschaften gemacht, in denen das Verhältnis zwischen Mensch und Natur, Gerechtigkeit und das Streben nach einem guten Leben im Zentrum stehen. Die Aussenpolitik der Schweiz muss negative Spillover-Effekte stärker in den Blick nehmen. Unerwünschte wirtschaftliche, soziale, ökologische und sicherheitspolitische Ausstrahlungseffekte untergraben die Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele in anderen Ländern.

*Martin Fässler hat 20 Jahre Erfahrung in der internationalen Zusammenarbeit. Er war Mitglied der Direktion und Stabschef.in der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit im Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).