BR Burkhalter über Osteuropa: Brücken- statt Krisenzone

von Christoph Wehrli | Juni 2015
Die Ukraine und andere Staaten zwischen der EU und Russland sollten aus dem konfliktträchtigen «Entweder – Oder» herausgeführt werden und vielmehr als Brücken fungieren. Zu einer Friedensordnung könnte neben beidseitiger handelspolitischer Offenheit auch eine allseits anerkannte Neutralität gehören. Bundesrat Didier Burkhalter hat diese Idee in einem Vortrag begründet, den er auf Einladung der SGA an der Universität Bern gehalten hat.

Text des Referates von BR Didier Burkhalter

Der zugleich nationale und internationale Ukraine-Konflikt hat die Zerbrechlichkeit des Friedens in Europa schlagartig deutlich gemacht. Auch in der Schweiz kommt Besorgnis auf, herrscht zugleich eine gewisse Ratlosigkeit. Der Vortrag von Aussenminister Didier Burkhalter, der letztes Jahr den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) innehatte, war daher von besonderem aktuellem Interesse, zumal er die jetzige Krise in den zeitgeschichtlichen Zusammenhang stellte.

Am Ende des Ost-West-Konflikts hatten die KSZE-Staaten 1990 die Prinzipien von Souveränität, Gewaltverzicht und Menschenrechten bekräftigt – nun als Prinzipien für ein «ungeteiltes und freies Europa». Es folgten Schritte zur Kooperation der westlichen Staatengruppen mit Russland, allerdings auch die Osterweiterungen von EU und Nato. Die eurasische Macht sah ihre Mitbestimmungsansprüche nicht erfüllt und grenzte sich später auch innenpolitisch gegen den Westen ab. So fehlte besonders eine gemeinsame Vorstellung von der Zukunft der Staaten der «gemeinsamen Nachbarschaft» (Ukraine, Weissrussland und Moldawien, Georgien, Armenien und Aserbeidschan); die Spannung um ihre wirtschaftliche Integration in die eine oder andere Richtung beschleunigte den Vertrauensverlust. «Die Ukrainekrise kam also nicht aus dem Nichts», sagte Burkhalter, der zugleich einräumte, davon – wie wohl alle Aussenstehenden - überrascht worden zu sein.

Die Ukrainekrise führte aber auch zu einer «Wiederentdeckung der OSZE» als nützlicher Brücke. Burkhalter erinnerte an die Bemühungen zur Entschärfung des Konflikts, ohne die Situation zu beschönigen. Er sei ein optimistischer Mensch, sagte er nach dem Vortrag in der Diskussion, doch in diesem Fall sei er nie optimistisch gewesen.

Neutralität für paktfreie Staaten?

Um die europäische Friedensordnung («mit und nicht gegen Russland») wieder zu stärken, sei auf mehreren Ebenen gleichzeitig vorzugehen. Für die heutige Zone der Unsicherheit lautet das Stichwort des EDA-Chefs «Konnektivität». Gemeint sind vielseitige Verbindungen, der Zugang zu den Märkten im Westen und im Osten sowie eine Art gemeinsamer russisch-westlicher Marshallplan für die Ukraine. Prüfenswert sei aber auch eine von allen Seiten anerkannte, nicht unbedingt «ewige» Neutralität der heute paktfreien Staaten, ergänzt um gemeinsame Sicherheitsgarantien.

Auf gesamteuropäischer Ebene braucht es nach Burkhalter keine neuen normativen Grundlagen, wohl aber einen Dialog, um ihnen tatsächlich gerecht zu werden. Dafür hätte die OSZE ein Potenzial, das besser auszuschöpfen wäre. Die Schweiz (die, wie in Erinnerung zu rufen ist, als EU-Nichtmitglied auch kaum Alternativen hat) engagiert sich sehr für eine entsprechende Stärkung der Organisation. «Eigenständig und mitgestaltend», nach den Prinzipien «neutralité, solidarité, responsabilité», könne sie viel bewirken.