Kolumne

Cassis’ selbstbewusste Akzente

von Christoph Wehrli | Juli 2018
Als das Parlament Ignazio Cassis in den Bundesrat wählte, war derart viel von der Vertretung der italienischen Schweiz die Rede, dass die Politik des Tessiners eher wenig Beachtung fand. Umso deutlicher ist seither geworden, dass der neue Aussenminister eigene Akzente setzen will.

Es begann mit der Organisation des Departements. Auf Cassis’ Antrag hat der Bundesrat die Ablösung in der Leitung der Europa-Direktion mit der Aufwertung des Postens verbunden. Roberto Balzaretti wurde Staatssekretär und erhielt auch die Zuständigkeit für die bilateralen Beziehungen zu den Mitgliedstaaten der EU. Das ältere Staatssekretariat, geleitet von Pascale Baeriswyl, verliert dadurch seine koordinierende Funktion; gestärkt wird die Spitze des Departements einschliesslich des Generalsekretariats. Die Beschränkung von Staatssekretärin Baeriswyl auf die (grosse) «übrige Welt» bedeutet eine gewisse Zurücksetzung, die eher persönlich-politisch als sachlich-organisatorisch begründet scheint. Ob die Regelung von Dauer sein wird, bleibt offen.

Signale zur Entwicklungshilfe
Als inhaltlicher Orientierungsrahmen wird eine «aussenpolitische Vision 2028» ausgearbeitet. In diesem Kontext plant Cassis auch eine «Neuausrichtung» der Entwicklungszusammenarbeit. Traditionelle Handlungsmuster seien zu hinterfragen, um die Hilfe «klug und im Interesse der Schweiz» einzusetzen, sagte er an der Jahreskonferenz der Deza und des Seco – keine freundliche Geste an seinen Vorgänger. Die Konkretisierung bleibt abzuwarten – Entwicklungspolitik lässt sich wohl immer als Dienst an unseren Interessen verstehen, allerdings als Dienst an den langfristigen, mit dem Weltsüden geteilten Interessen.

Mit kritischen Äusserungen zum Uno-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) wagte Cassis einen ersten persönlichen Alleingang gegenüber dem Regierungskollegium. Es war nicht einfach eine «herausgerutschte» Bemerkung; seine Meinung hatte der EDA-Chef schon bei seinem Besuch in Amman angedeutet. Der Vorwurf ist zwar bekannt (und alt): die Vertreibungssituation wird verstetigt und «vererbt». Cassis’ Perspektive war jedoch einseitig, Israels Rolle blieb unerwähnt. Statt der UNRWA «könnten wir jordanische Einrichtungen unterstützen, um die Integration der palästinensischen Flüchtlinge zu fördern», sagte der Aussenminister. Wäre für eine Umkrempelung der Uno-Konzepte für den Nahen Osten – wenn sie denn einen gerechten Frieden verspräche – die Schweiz der richtige Staat? Sie könnte «eine diplomatische Weltmacht sein», meinte Cassis in einem anderen Interview. Da fragt sich, ob da demonstratives Selbstbewusstsein nicht zur Selbstüberschätzung wird. Und nebenbei: Das «Bekenntnis» mittels eines Schweiz-Abzeichens am Revers nach SVP-Vorbild wirkt eher bemüht und unsouverän.

Opfer eigener roter Linien
Erfreulich ist der Stil der offenen Kommunikation. Cassis wirkt unverblümt, und dies schafft Vertrauen. In der Frage eines institutionellen Abkommens mit der EU hat er den Eindruck einer besseren Transparenz und einer gewissen Gelassenheit vermittelt. Das «Reset» war inhaltlich zwar eher nur symbolischer Art. Eine Schiedsgerichts-Lösung war schon ins Spiel gekommen, bevor der Bundesrat seine Position «präzisierte». Doch hat sich namentlich bei der FDP die Stimmung ins Positive gewandt, gefördert wohl auch durch die Brüsseler Drohgebärde gegen die Schweizer Börse.

Allzu heroisch markierte Cassis indes «rote Linien», wogegen der Bundesrat noch im März nur von der «Absicht» sprach, die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit vollumfänglich beizubehalten. Wird die Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung der (beidseitigen) Vertragstreue vereinbart, so kann kein Bereich von vornherein davon ausgenommen werden, schon gar nicht jener, den die EU besonders im Auge hat. Will man aber namentlich bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen den Schutz einheimischer Arbeitnehmer und Gewerbetreibender vertraglich explizit sichern, so lässt man sich auf Verhandlungen ein und nimmt Kompromisse in Kauf. Cassis selber plädierte denn auch – anscheinend erneut im Alleingang – für Flexibilität und sorgte für Aufregung, obwohl man auch bei den Gewerkschaften die Logik des EU-Rechts kennt. Als der Bundesrat vor der Sommerpause eine innenpolitische Konsultationsrunde einlegte, machte der EDA-Chef an der Medienkonferenz eine Balanceübung: «Die Acht-Tage-Regel steht nicht zur Diskussion» und man solle doch auf nicht eine einzige Regel fokussieren.

Auf seiner Gratwanderung erlebt Cassis, was er immer wieder sagt: «Aussenpolitik ist Innenpolitik», sie braucht Rückhalt, und sie wirkt auf die Gestaltung unserer Verhältnisse zurück. Das gilt speziell für die «Bilateralen». Der Begriff suggeriert Symmetrie der Verträge. Die Schweiz erhält Gleichberechtigung im europäischen Binnenmarkt aber nur, indem sie einseitig EU-Recht übernimmt und keine diesem widersprechende Gesetze erlässt. In Erinnerung zu rufen, dass dies eine partielle Integration ohne Mitbestimmung bedeutet, dass Innenpolitik Aussenpolitik wird, wäre Sache des ganzen Bundesrats – und wahrscheinlich zu viel verlangt.