Kolumne

Diktatoren um und in Europa

von Daniel Woker | September 2018
Wie Europa als Hort rechtstaatlicher Demokratien mit national-populistischem Autoritarismus umgeht, ist zentral für die Positionierung der EU als dessen Gegenpol.

Der Aufstieg von «starken Männern» ist weltweit und in Europa real. China unter Xi-Jinping, Russland unter Putin, die Türkei unter Erdogan, aber auch die von Trump scheinbar hypnotisierten USA sind Beispiele von weltweiter geopolitischer Bedeutung. Global weniger schwerwiegend, aber krasse weitere Fälle sind etwa das Venezuela unter Maduro und die Philippinen unter Duterte. In Europa müssen Ungarn unter Orban, Polen unter Kaczynski als autokratisch bezeichnet werden; weitere EU-Länder in Osteuropa, aber auch Italien und gar Österreich scheinen sich auf dem abschüssigen Pfad dahin zu bewegen.

Umgang mit National-Populisten
Die Literatur zu den internationalen Beziehungen ist voll von Untergangsszenarien. In der hier dominierenden angelsächsischen Lehre stellen Levitsky/Ziblatt (Harvard) How Democracies Die und Edward Luce (Financial Times) The Retreat of Western Liberalism fest, David Runcimann (Cambridge) sieht bereits das Ende How Democracy Ends, ganz zu schweigen von den Neuauflagen des amerikanischen Klassikers der 1930er Jahre It Can’t Happen Here von Sinclair Lewis.

Hier soll aber nicht vom Prinzip die Rede sein, sondern von der Praxis. Wie können und sollen europäische Regierungen und die Institutionen der EU sich gegenüber der politischen Bewegung National-Populismus verhalten sowohl innerhalb Europas als auch auf der politischen Weltbühne?

Beispiel Russland
Putin ist dank roher Gewalt aussenpolitisch erfolgreich, wie in der Ukraine und in Syrien, wirtschafts- und gesellschaftspolitisch hat er aber abgewirtschaftet. Entsprechend muss europäische Aussenpolitik reagieren. Politisch ist Putin «incontournable», ohne ihn ist weder in der Ukraine noch im Nachkriegssyrien eine Lösung zu finden.

Bundeskanzlerin Merkel dürfte damit einmal mehr den richtigen Kurs fahren, mit häufigen Treffen, um beispielsweise im Gegenzug zu europäischer Wiederaufbauhilfe in Syrien eine dauerhafte Abkehr von russischer Aggressionspolitik in der Ukraine zu erhalten. Zudem signalisiert Merkel mit ihren Putin-Treffen, dass sie und Europa, nicht allein auf Grobian Trump und die unter ihm in Isolationismus verfallenden USA angewiesen sind.

Nicht zu empfehlen ist demgegenüber das wienerwaltzende Verhalten der österreichischen Aussenministerin, die Putin an ihre Hochzeit lud. Genau solche Anbiederung an «starke Männer» spielt in deren Hände, da sie eine persönliche Verbundenheit signalisiert, ohne dass damit irgendwelche Konzession des Potentaten zu erhalten wäre.

Beispiel Türkei
Erdogan ist ein Paradebeispiel, wie Realpolitik durchaus mit prinzipientreuer Aussenpolitik verbunden werden kann. Die Türkei ist als geographische Mitte zwischen dem Mittleren Osten und Europa, als Brücke zwischen Islam und dem christlichen Abendland, als Barriere gegen unkontrollierte Armutsimmigration aus der europäischen Peripherie sowie als Herkunftsort einer gewichtigen Diaspora in Mittel- und Nordeuropa grundsätzlich ein Hauptpartner unseres Kontinents und wird dies auch bleiben. Wenn unter dem gegenwärtig herrschenden Sultan am Bosporus dieses Verhältnis von ihm vergiftet wird, bedeutet dies nicht Abbruch, aber distanziertere bilaterale und multilaterale Kontakte mit der Türkei. Also eher ein Arbeitsbesuch von Erdogan in der BRD, und nicht ein offizieller Staatsbesuch, wie ihn Berlin für die zweite Hälfte 2018 vorsieht. Ebenso eine allfällige Suspension von türkischen Mitgliedsrechten im Europarat.

Von Seiten der EU Organe wäre die klare Position zu signalisieren, dass ohne rechtsstaatlichen Paradigmenwechsel in der Türkei Beitrittsverhandlungen ausgeschlossen, aber auch eine Assoziation schwierig sein wird.

All dies ist momentan machbar, weil sich Erdogan nach dem Bruch mit den USA unter Trump auch wieder stärker an Europa anlehnen will.

Innerhalb Europas
Härter kann die EU gegenüber den eigenen Mitgliedern, aber auch den wenigen abseitsstehenden Ländern Europas verfahren, welche aus dem durch die Mitgliedsverpflichtung gegebenen, rechtsstaatlichen Rahmen fallen oder sich bei der politischen Einigung Europas abwartend verhalten. Alle diese, eingeschlossen der Schweiz, sind ungleich stärker von der Union abhängig als umgekehrt. Die EU wird dies zukünftig in vermehrtem Masse tun, da sehr viel auf dem Spiel steht. Seit der alarmierenden Trumpisierung der internationalen Beziehungen und des damit verbundenen Orientierungsverlustes im alten Westen, wird Europa mehr Führungsverantwortung auf der Weltbühne tragen müssen. Das kann die EU aber nur tun, wenn alle europäischen Länder sich mit denselben Prinzipien und demselben Einsatz hinter die blaue Fahne mit den goldenen Sternen schart.

…eingeschlossen der Schweiz
Derweil vergnügen sich die wichtigsten politischen Kräfte in der Schweiz, eingeschlossen die Regierung, mit rein helvetisch bedingtem (Sand)burgenbau, was Platz und Rolle unseres Landes in Europa anbelangt. Aber nicht alle: Die beiden grünen Parteien drängen resolut auf mehr Öffnung gegenüber der EU, Avenir Suisse will den EU-Beitritt als ernsthafte Option diskutieren und einige SP-Exponenten machen sich bemerkbar mit der Losung «Ein Beitritt macht jeden Rahmenvertrag überflüssig». Sehen diese wohl was andere noch ignorieren: den geschilderten geopolitischen Wandel und seine Auswirkungen auf die öffentliche Meinung, und damit das Abstimmungsverhalten auch in der Schweiz?

Der Autor Daniel Woker ist ehemaliger Botschafter und betreibt das Netzwerk Share-an-Ambassador.