Lesetipp

Doppelte Aufgabe in der Klimapolitik

von Christoph Wehrli | November 2017
Der Klimawandel wird zu einem gravierenden Armutsfaktor. In einer Sammelpublikation zeigt die Caritas Schweiz, welche Konsequenzen in der Ausrichtung, Gestaltung und Finanzierung von Gegen- und Schutzmassnahmen zu ziehen wären.

Mit ihrem «Almanach Entwicklungspolitik» leistet die Caritas einen Beitrag zu einer kontinuierlichen und qualifizierten öffentlichen Diskussion in einem Bereich, wo sonst oft Pauschalurteile oder aber sehr fachspezifische Diskurse herrschen. Die Klimapolitik, Schwerpunktthema der neuen, dritten Ausgabe des Jahrbuchs, ist zwar eine globale und transversale Angelegenheit, muss aber die «Südpolitik» besonders beschäftigen. Denn die Erwärmung der Atmosphäre hat über die Verknappung von Ressourcen wie fruchtbares Land und Wasser gerade für ärmere Weltregionen und besonders verletzliche Bevölkerungen unmittelbar existenzielle Auswirkungen.

Die Schweiz zu zaghaft
«Klimagerechtigkeit» wird denn auch in mehreren Beiträgen als leitende Idee genannt. Die Hauptverursacher jener Klimaveränderung, die vom Menschen gemacht wurde und wird, sind die reicheren Gesellschaften; sie haben bei der Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschafts- und Lebensweise eine entsprechende Verantwortung zu übernehmen. Was die Schweiz betrifft, so kritisiert Alliance Sud (sechs grosse Hilfswerke) in einer ausführlichen Analyse das Fehlen eines umfassenden, langfristigen Programms zur Umsetzung des Übereinkommens von Paris, die zu geringe beabsichtigte Verminderung der CO2-Emissionen im Land selber und die Finanzierung von Massnahmen in Ausland zulasten der bisherigen Entwicklungszusammenarbeit. Dargestellt wird übrigens auch die Möglichkeit privater Kapitalgeber, durch Wahl nachhaltig agierender Unternehmen oder spezifischer Fonds die klimarelevanten Wirtschaftstätigkeiten ausserhalb der Schweiz zu beeinflussen.

Das Spektrum des Handlungsbedarfs ist weit, die Stossrichtungen können unterschiedlich sein. So ist einerseits die Rede von einem «einzigartigen Modernisierungsprojekt» und wird anderseits die Gewährleistung der Landrechte von indigenen, Ökosysteme bewahrenden Gemeinschaften gefordert. Auf eine konkrete Ebene führen Projektbeispiele von Entwicklungsorganisationen und des WWF. Biogas, holzsparende Öfen und Solarstromanlagen (in Madagaskar installiert durch Frauen, die in Indien darin geschult worden sind) erlauben eine CO2-freie oder -arme Energiegewinnung. Die Zucht von Algen für die Kosmetikindustrie soll für madegassische Bauern, die wegen mehrfacher Missernten an die Küste gezogen sind, eine Alternative zur Überfischung des Meeres sein. Stärkung der Resilienz kann auch bedeuten, mit den Bewohnern kenianischer Dörfer aufgrund wissenschaftlicher Informationen und lokalen Erfahrungswissens Szenarien für die Wasser- und Bodennutzung zu entwickeln und einzuschätzen. Die Kenntnis der Verhältnisse, unterstützt durch digitale Datentechnik, wird als stärkste Waffe von Slumbewohnern bezeichnet, die sich organisieren, um mit den Behörden in einen Dialog über bessere Lebensverhältnisse zu treten. Das Netzwerk «Slum Dwellers International» macht bewusst, dass gerade auch die enorme und rasch wachsende Zahl von städtischen Armen Mangellagen oder beispielsweise Überschwemmungen schutzlos ausgesetzt ist.

Es fehlt nicht nur an Geld
Projekte bleiben punktuell, wenn ihre Ansätze nicht in einem weiteren Rahmen aufgenommen und gefördert werden. Helvetas legt daher grossen Wert darauf, sich auf mehreren Ebenen, auch auf der nationalen, zu engagieren und den Kapazitätsaufbau zu unterstützen. Drei Autoren aus Bangladesch legen schonungslos dar, dass ihr Staat wohl über eine eindrückliche Klimastrategie mit 44 Aktionsprogrammen verfügt, nicht jedoch über die konkreten Vorgaben, das kompetente Personal und die administrativen Strukturen, wie sie für eine effektive Umsetzung nötig sind. Auch auf internationaler Ebene ist es mit der Bereitstellung von Geld allein nicht getan. Gefordert werden mit Blick auf die verschiedenen Fonds einfachere und feinere Verteilmechanismen, die auch für zivilgesellschaftliche Organisationen zugänglich sind. Ein grösserer Teil der Mittel als bisher sollte für Anpassungsmassnahmen (statt für Energieprojekte) bestimmt sein.

Die Akteure der Entwicklungszusammenarbeit selber haben, wie keineswegs verschwiegen wird, teilweise neue Lösungsansätze und Kooperationsformen zu suchen und könnten sich dabei nach den Worten eines Experten «aus dem Nord-Süd-Schema lösen». Insofern mag man bemängeln, dass die gewichtige Rolle der neuen Industrieländer, die manche Fehlentwicklung vielleicht noch vermeiden könnten, nur am Rande erwähnt wird. Aber auch wer sich nicht zu lange mit der Frage der (historischen) Schuld der alten Industrieländer aufhalten möchte, wird verstehen, dass für Entwicklungsorganisationen wie die Caritas Schweiz die doppelte Pflicht und Möglichkeit des eigenen, reichen Landes im Zentrum steht: Einerseits gilt es die klimapolitischen Hausaufgaben ernsthafter in Angriff zu nehmen, anderseits ist die Armutsbekämpfung ökologisch zu verstärken.

Almanach Entwicklungspolitik 2017/18. Klimaschutz und Armutsbekämpfung. Caritas-Verlag, Luzern 2017. 231 S., Fr. 39.-.