Ein Ruck für das Rahmenabkommen

von Christoph Wehrli | November 2019
Wie soll es in der Europapolitik weitergehen? In der ersten Aussenpolitischen Aula des Zyklus 2019/20 sprachen Daniel Binswanger, Astrid Epiney und Christa Markwalder über Gründe und Wege, die Blockade um das Rahmenabkommen zu überwinden.

Seit bald einem Jahr liegt das Abkommen zwischen der EU und der Schweiz über institutionelle Regelungen fertig ausgehandelt vor. Doch der Bundesrat möchte vor der Unterzeichnung bestimmte Fragen noch geklärt haben. Für den Lohnschutz sollen zuerst die Sozialpartner Lösungen finden, aber Bewegung ist auch hier nicht zu erkennen. Nach den eidgenössischen Wahlen ist es die Abstimmung über die Kündigungsinitiative der SVP im nächsten Mai, die viele Akteure weitere Schritte scheuen lässt. Die SGA hatte sich wiederholt dafür ausgesprochen, dass die Landesregierung nun vorangehe. So hat sie das Thema auch an einem Abend an der Universität Bern zur Debatte gestellt.

Gut verhandelt
Wenn Patrick Dümmler seitens der Mitveranstalterin Avenir Suisse einleitend die Grössenverhältnisse in Erinnerung rief – die EU ist wirtschaftlich für die Schweiz viel wichtiger als umgekehrt (s. separate Präsentation) -, bedeutete dies keineswegs, dass die Teilnehmenden in der von Markus Mugglin geleiteten Diskussion das Verhandlungsresultat als gezwungenermassen einseitig hingestellt hätten. Die Präsidentin der SGA, die Berner FDP-Nationalrätin Christa Markwalder, hob vielmehr etliche Erfolge der Schweizer Delegation beim Rahmenabkommen hervor, darunter die Mitsprachemöglichkeiten bei der Weiterentwicklung des EU-Rechts, den Mechanismus für die «dynamische» Rechtsübernahme, der die Folgen einer schweizerischen Ablehnung begrenzt, und die Schiedsgerichtsbarkeit.

Bei strittiger Auslegung von EU-Recht hätte das Schiedsgericht zwar den Europäischen Gerichtshof einzubeziehen. Astrid Epiney, Professorin für Europa- und Völkerrecht an der Universität Freiburg, nimmt indessen an, dass sich dieser in seinen Stellungnahmen auf Grundsätzliches beschränken würde. Auch dürfte ein ganzes Verfahren mehrere Jahre dauern, so dass reichlich Zeit zur Suche einer Einigung bliebe. Schon heute könnten übrigens konkret Betroffene einen Streitfall vor ein Gericht bringen. Daniel Binswanger, Redaktor des Online-Magazins «Republik», hält wie die SGA-Präsidentin eine Unterzeichnung des Vertragsentwurfs für die vernünftigste Lösung. So würde der demokratische Prozess eingeleitet, der allerdings mit einigen Schwierigkeiten verbunden sein dürfte.

Politische Stolpersteine
Ein innenpolitisch zentraler Punkt sind die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit, speziell zur Entsendung von Arbeitnehmern über die Grenze. Den Vorkehren zum Lohnschutz ist laut Binswanger die im Unterschied etwa zu Deutschland recht ausgeglichene Lohnentwicklung in der Schweiz zu verdanken. Die «Flankierenden» werden im Rahmenabkommen erstmals vertraglich abgesichert. Bei der Ausgestaltung hat die Schweiz zwar – wie die Gegenseite - das EU-Recht zu beachten, im Übrigen ist sie aber frei. Letzteres gilt, wie Epiney sagte, beispielsweise für konkrete Lohnkontrollen durch die Sozialpartner. Bei den laufenden oder eben stockenden Gesprächen über diese Frage erwartet Markwalder vor allem Schritte von den Gewerkschaften, während Binswanger mehr die Verantwortung der Arbeitgeberverbände betonte. Er äusserte sich optimistisch, obschon er eine wesentliche Verschlechterung darin sieht, dass das Rahmenabkommen die Kautionspflicht ausländischer Firmen stark reduziert.

Die Unionsbürgerrichtlinie dürfte ihrerseits zu Unrecht zu einem heissen Eisen geworden sein. Nach Astrid Epiney sind die Unterschiede zum Freizügigkeitsabkommen faktisch wenig bedeutsam. Zudem würde eine Übernahme durch die Schweiz keine blosse Aktualisierung, sondern eine Änderung des Abkommens bedeuten, also einen entsprechenden Prozess von Verhandlungen und Ratifikation verlangen. Wir müssten nicht alle potenziellen Probleme schon heute lösen, meinte Christa Markwalder.

Der Faktor Zeit
Wo liegen denn, bei dieser Sachlage, die Hemmnisse? Die Materie sei nicht einfach zu erklären, räumte Epiney ein; doch gelte dies auch für die erfolgreich bekämpfte Selbstbestimmungsinitiative. Das Interesse der Schweiz an einer rechtlichen Ordnung für den bilateralen Weg, lasse sich durchaus verständlich machen, davon zeigte sich Markwalder überzeugt. Binswanger wünschte sich eine «neue Koalition der Vernunft» und von den europapolitischen Kräften etwas Courage. Zu bedenken gaben mehrere Votanten auch, dass die Zeit gegen die Schweiz arbeitet: Die Fortführung der Forschungszusammenarbeit ist ungewiss, zur Aktualisierung des Abkommens über die technischen Handelshemmnisse (Anerkennung der Konformitätsbewertungen) ist die EU nicht verpflichtet, und laufend entscheiden Unternehmen, ob sie in der Schweiz oder in der EU investieren. Wenn dieses Rahmenabkommen nicht zustande komme, so resümierte Epiney, dann könnte die Schweiz zwar manche Fragen mit der EU weiterhin irgendwie lösen, kaum aber auf ein besseres Abkommen hoffen.