Lesetipp

Fluchtgeld-Abschreckung mit beschränkter Wirkung

von Markus Mugglin | Mai 2020
Die Schweiz hat mehr Potentatengelder als jedes andere Land zurückerstattet. Vielfältige gesetzliche Veränderungen über fast 50 Jahre machten es möglich. Balz Bruppacher zeichnet in „Die Schatzkammer der Diktatoren“ die Entwicklung minutiös nach und öffnet den Blick auf manch verquere Rechtfertigung durch die Schweizer Diplomatie. 

Es sei zwar schockierend, dass die Staatschefs gewisser Länder über enorme Vermögen in der Schweiz verfügten, während diese Länder gleichzeitig von der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit profitierten, räumte vor 50 Jahren der damalige Finanzminister Nello Celio im Nationalrat ein. Deshalb am Bankgeheimnis rütteln, wollte er aber nicht. Das überrascht nicht, seine Begründung allerdings schon. Denn der damalige Bundesrat vertrat ein erstaunliches Geschäftsmodell Schweiz. „Wir würden diese Länder weiterhin von unserer Entwicklungszusammenarbeit profitieren lassen, aber die Gegenleistung ginge anderswo hin“, erwiderte der Finanzminister dem Bankenschreck Jean Ziegler im Rat und durfte sich des Rückhalts im Parlament sicher sein.

Fluchtgelder in unseren Banktresoren als Dank für erhaltene Hilfe, so plump wurden die Interessen des Finanzplatzes zwar sonst kaum gerechtfertigt. Der Rückblick des Journalisten Balz Bruppacher in „Die Schatzkammer der Diktatoren“ macht aber doch den Blick frei auf eine Schweiz, die sich nicht scheute, zu vielen umstrittenen Staatschefs und anderen höchsten Vertretern armer und ärmster Länder beste Beziehungen zu pflegen.

Fluchtgelder aus allen Himmelsrichtungen
In den 1960er Jahren ging es um Gelder aus Algerien, aus der Demokratischen Republik Kongo, der Dominikanischen Republik, aus Ghana, Nigeria, Sierra Leone. In den 1970er Jahren folgte der Streit um Vermögen des äthiopischen Kaisers Haile Selassie und später des Schahs von Persien, in den 1980er Jahren machten insbesondere die Millionen des philippinischen Diktators Ferdinand Marcos und von Baby Doc von Haiti Schlagzeilen, in den nächsten Jahrzehnten folgten Mobutu/Zaire, Abacha/Nigeria, Montesinos/Peru, Gelder aus dem Umfeld des kasachischen Nasarbajew, Ben Ali/Tunesien, Mubarak/Ägypten, Ghadaffi/Libyen, um den ukrainischen Ex-Präsidenten Janukowitsch, die Tochter des usbekischen Langzeitherrschers Karimow.

Der Autor Bruppacher zeichnet die Fälle präzis nach. Er ordnet sie ein in die Entwicklungen und Veränderungen im Umgang der Schweiz mit Hunderten von Millionen Fluchtgeldern. Es entsteht ein vielfältiges Bild unterschiedlicher Fälle, komplexer Verstrickungen und sich über viele Jahre hinziehender Verfahren.

Ein erster Türspalt öffnet sich Mitte der 1970er Jahre mit dem auf Druck geschlossenen Rechtshilfevertrag mit den USA. 1986 folgte eine spektakuläre Wende, als der Bundesrat die vom philippinischen Kleptokraten Marcos in der Schweiz parkierten Vermögen per „Präsidialverfügung“ blockierte. In einer nur fünf minütigen Apéro-Stehrunde anlässlich eines Staatsbesuchs des damaligen finnischen Staatspräsidenten sei es den beiden Staatssekretären Edouard Brunner und Cornelio Sommaruga gelungen, die sieben Bundesräte zu dieser Sofortmassnahme zu bewegen.

Der Bundesrat habe durch die Betonung, das Bankgeheimnis bleibe davon unberührt, zwar versucht, die Bedeutung seines Entscheids herunterzuspielen. Doch für Bruppacher markiert die damalige Blockierung einen „Präzedenzfall mit Langzeitwirkung“. Der drohende Verlust des internationalen Ansehens wird seither stärker gewichtet. Damit verbunden war die Hoffnung, dass Potentaten sich abschrecken lassen.

Doch diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Dafür steht der Fall des nigerianischen Diktators Abacha von 1999, der gemäss Bruppacher „alles Bisherige in den Schatten“ stellt. Nicht nur wegen der enorm grossen Summe von insgesamt über 700 Millionen Dollar, die zurückerstattet wurden, ist Abacha von besonderer Bedeutung. Er steht sowohl für die begrenzte Abschreckungswirkung der bis damals ergriffenen Abwehrmassnahmen und dem vorerst fehlenden Willen, den Weg der Abschreckung bis ans Ende zu gehen. Die von Bruppacher wiedergegebene Reaktion des damaligen Finanzministers Kaspar Villiger auf den Fall Abacha steht dafür. In der Parlamentsdebatte beklagte er die Nutzlosigkeit der Bemühungen, international das Bankgeheimnis zu verteidigen. Dieses preisgeben, wollte er trotzdem nicht.

Noch immer neue Fälle
Es folgten denn auch weitere Fälle. Gleich mehrere sind mit dem arabischen Frühling aufgeflogen. Dazu kamen Gelder aus Kasachstan, der Ukraine und Usbekistan. Und mit Petrobas / Odebrecht aus Brasilien und IMDB aus Malaysia ist die Saga der Potentatengelder mit dem Buch von Bruppacher noch nicht zu Ende erzählt. Als weltweit führender Vermögensverwalter bleibt der Bankenplatz Schweiz exponiert. Und weil er besonders auf die Reichen der Welt setzt, erweist sich dieses Risiko – auch ohne Bankgeheimnis – als gleichsam systemisch.

Balz Bruppacher, Die Schatzkammer der Diktatoren, Der Umgang der Schweiz mit Potentatengeldern, NZZ Libro, 2020, 213 Seiten, Fr. 34.00