Kolumne

Für mehr Realismus im Verhältnis EU – Schweiz

von Dr. Andreas Schwab, MdEP und binnenmarktpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament | Mai 2015
Popularität ist das eine, Vertragstreue das andere, gibt EU-Parlamentarier Andreas Schwab zu bedenken. Er verfasst im Auftrag des Binnenmarktausschusses des Parlaments einen Bericht über die Schweiz nach der Abstimmung über die Zuwanderung.

Nach der gescheiterten Volksabstimmung über einen Beitritt der Schweiz zum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) im Jahre 1992 hatten sich die Europäische Union (EU) und die Schweiz nach langen Gesprächen auf eine gemeinsame bilaterale Lösung mit inzwischen mehr als 100 sektorspezifischen Abkommen geeinigt, bei der die Interessen beider Seiten in einem fairen Ausgleich stehen.

Der Schweiz war aber bewusst, dass der Grundpfeiler der Personenfreizügigkeit stets ein untrennbarer Bestandteil und eine essentielle Voraussetzung für jedes weitere Abkommen der EU mit der Schweiz im Rahmen des bilateralen Ansatzes war und sein würde.

Daran hat sich nichts geändert. Vor diesem Hintergrund mutet die Naivität, mit der die Initiatoren die Volksinitiative "Gegen Masseneinwanderung" vom 9. Februar 2014 verteidigt haben, auch im Nachhinein noch etwas weltfremd an - zumal die Frage der Zuwanderung von Drittstaatsangehörigen nicht mit der in den Verträgen verankerten Freizügigkeit verwechselt werden sollte. Das Grundanliegen der Initiative stieß bei rund einem Viertel der Schweizer Stimmberechtigten auf fruchtbaren Boden, ein anderes Viertel lehnte es ab, die Hälfte der Stimmberechtigten nahm an der Abstimmung nicht teil. Ungeachtet dieser Bewertung aber gilt: Popularität ist das eine, Vertragstreue das andere.

Ohne Zweifel hat die Schweiz das Recht, derartige Volksabstimmungen abzuhalten. In gleicher Weise steht es der EU zu, ihre in den Bilateralen niedergelegten Grundprinzipien zu verteidigen. Insofern darf sich in der Schweiz niemand wundern, dass die EU nicht bereit ist, das Freizügigkeitsabkommen neu zu verhandeln mit dem Ziel, Quoten oder Inländervorrang zu akzeptieren, soweit sie heute schon bestehen sollten.

Dass der Schweizer Arbeitsmarkt europäische Arbeitskräfte in so starkem Maße anzieht, spricht für die wirtschaftliche Stärke der Schweiz. Und es gilt darauf hinzuweisen, dass die Bilateralen kein Recht für EU-Bürger geschaffen haben, aus sozialen Gründen einzureisen. Nur jene Bürger aus der Europäischen Union, die einen Arbeitsplatz in der Schweiz vorweisen können, haben einen Anspruch auf Freizügigkeit. Diese Realität zu erklären ist die Aufgabe von europäischen und Schweizer Politikern gemeinsam!

Sollte sich die Schweiz trotz aller guten Argumente doch gegen den bilateralen Ansatz entscheiden, wären die wirtschaftlichen und politischen Folgen verhängnisvoll. Denn anders als in den 1990er Jahren hat sich die EU inzwischen auf 28 Mitgliedstaaten erweitert und das "Zentrum" der EU hat sich jedenfalls in dieser Logik von der Schweiz weit entfernt.

Ich trete mit Nachdruck dafür ein, dass wir das hohe Niveau an politischer Kooperation und wirtschaftlicher Integration nicht mutwillig beschädigen. Denn es geht für die Schweiz und für meinen Wahlkreis in Baden-Württemberg um mehr als die dogmatische Umsetzung der so genannten "Masseneinwanderungsinitiative". Es geht um unsere gemeinsame wirtschaftliche und politische Stellung in einer globalen Welt.