Kolumne

Klimapolitik ist (auch) Aussenpolitik!

von Jürg Staudenmann | Januar 2018
«Das Herzstück der Schweizer Klimapolitik» – so nennt der Bundesrat seinen Vorschlag zur Totalrevision des CO₂-Gesetzes – widerspricht Geist und Zielen des Pariser Klimaübereinkommens.

Die reiche Schweiz kann beruhigt in die Zukunft blicken: Dem einsetzenden Klimawandel im Alpenraum begegnet sie mit Hangbefestigungen, Schneekanonen und adjustierbaren Skilift-Masten; und im Falle von komplett eingeschneiten Feriendörfern auch mal mit subventionierten Luftbrücken. Im globalen Süden, wo sich die meisten aus finanziellen Gründen kaum gegen die (erst noch grösstenteils fremdverschuldeten) Klimaveränderungen wappnen können, haben Wetterextreme weitaus existentiellere Folgen: Ernteausfälle, sich ausbreitende Wüsten, zunehmende Überschwemmungen in dicht besiedelten Landstrichen,  die Millionen von Menschen an Leib und Leben gefährden.

Das Klimaübereinkommen von Paris aus dem Jahre 2015 rückt diese geopolitische Dimension der Klimakrise ins Zentrum. Eine umfassende, nachhaltige Klimapolitik für ein post-industrielles Land wie die Schweiz, dessen Klimafussabdruck weit über die Landesgrenze hinausragt, kann sich nicht nur auf die Verminderung inländischer Emissionen und raumplanerische Massnahmen im eigenen Land beschränken. Klimapolitik muss auch Migrationspolitik, Wirtschaftspolitik und vor allem kohärente Aussen- und Entwicklungspolitik sein.

Wer den Entwurf zur Totalrevision des CO₂-Gesetzes studiert – laut Bundesrat «das Herzstück der Schweizer Klimapolitik» – muss jedoch zum Schluss kommen, dass der Bundesrat das im Sommer 2017 von der Schweiz ratifizierte Pariser Klimaübereinkommen nur partiell und äusserst minimalistisch umzusetzen gedenkt. Ein happiger Vorwurf? Hier folgt die Begründung:

Unzureichende Emissionsreduktion
In Paris hat sich die Schweiz wie alle Länder verpflichtet, ihren Netto-Treibhausgas-Eintrag in die Atmosphäre bis Mitte des Jahrhunderts auf null zu senken. Die notwendige Emissionsreduktion muss also – eine einfache Rechnung – 3 bis 4 Prozent pro Jahr betragen. Im neuen CO2-Gesetz schlägt der Bundesrat aber eine Reduktion der inländischen Emissionen von gerade mal einem Prozent pro Jahr vor.

Ferner verlangt das Pariser Klimaübereinkommen von allen Ländern eine Langzeitstrategie zur Erreichung dieses Zieles. Wie eine solche aussehen kann, zeigt Schweden: Am 1. Januar trat dort ein Gesetz in Kraft, das alle künftigen Regierungen Schwedens verpflichtet, bis 2045 eine landesweite «Netto-Null-Emissionsbilanz» anzustreben. Das Gesetz legt dafür konkrete Etappenziele fest: Bis 2030 müssen die inländischen CO2-Emissionen um -63%, bis 2040 um -70% sinken. Die bundesrätliche Vorlage zum neuen CO₂-Gesetz – mit Zeithorizont bis 2030 – erwähnt dieses Pariser Klimaziel noch nicht einmal. Auch eine separate Klimastrategie 2050 ist am Schweizer Horizont nicht auszumachen.

Die wirksamsten Massnahmen, um den Schweizer Klimafussabdruck zu verkleinern, beschränken sich nicht aufs Inland: Die sogenannten grauen Emissionen, die durch Produktion und Transport unserer Importe im Ausland entstehen, übersteigen den gesamten inländischen Ausstoss. Auf dem Finanzplatz Schweiz, dieser Drehscheibe der globalen Finanzflüsse, wird nach wie vor in Milliardenhöhe in fossile Energieträger und Technologien investiert. Diese verursachen ein Zwanzigfaches der inländischen Emissionen. Überlegungen dazu, wie auch graue Emissionen eingedämmt oder der Finanzplatz Schweiz klimapolitisch zu optimieren wäre, sucht man im neuen CO2-Gesetz vergebens. Die Vorlage orientiert sich ausschliesslich an den Inlandemissionen, welche im Vergleich zur globalen Klima-Gesamtverantwortung der Schweiz «Peanuts» sind.

Klimafinanzierung fehlt
Aus entwicklungs- und aussenpolitischer Perspektive besonders bedeutend: Das Pariser Klimaübereinkommen verpflichtet die wohlhabenden Staaten, die Bevölkerungen in Entwicklungsländern, welche von den Klimaveränderungen am stärksten betroffenen sind, bei Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen zu unterstützen. Das Abkommen verlangt, dass zusätzlich zu den eigenen Reduktionsmassnahmen dafür mindestens 100 Milliarden US-$ pro Jahr zu Verfügung gestellt werden müssen.

Entsprechend ihrem Klima-Gesamtfussabdruck und ihrem Anteil an der OECD-Wirtschaftsleistung von rund einem Prozent muss sich die Schweiz daher ab 2020 mit rund 1 Milliarde Franken beteiligen. Doch zur Frage, wie die Schweiz diese Beiträge finanzieren will, steht im CO2-Gesetzesentwurf ebenfalls kein Wort. Dabei könnten mit einer zweckgebundenen Treibstoff- oder Flugticketabgabe Gelder in der notwendigen Grössenordnung mobilisiert werden. Und dies erst noch verursachergerecht. Stattdessen sollen internationale Klimazahlungen, wie bereits heute, aus dem schrumpfenden Budget der Entwicklungszusammenarbeit abgezweigt werden.

Es fragt sich, wie lange es die Schweiz trotz ihres Paris-inkompatiblen Klimakurses noch schafft, sich auf internationaler Ebene als auch im Inland als verantwortungsbewusstes Land in Szene zu setzen. Offensichtlich will der Bundesrat die leider nicht haarscharf definierten Vorgaben des Pariser Klimaübereinkommens eigennützig auslegen, um unbequeme Diskussionen um eine zukunftsfähige Schweizer Klimapolitik zu vermeiden.

Jürg Staudenmann ist bei Alliance Sud für den Bereich Klima und Umwelt zuständig.