Kolumne

Menschenrechtsaussenpolitik in schwierigen Zeiten

von Matthias Hui | März 2019
Im Bericht über die Menschenrechtsaussenpolitik der Schweiz 2015–2018 zeigt der Bundesrat auf, dass die Menschenrechte international unter grossem Druck stehen. Er postuliert Kohärenz zwischen seiner Menschenrechtspolitik und anderen Feldern der Aussenpolitik, doch die Spannungsfelder benennt er kaum.

Der Bericht des Bundesrates – ein Anhang zum Aussenpolitischen Bericht 2018 – ist eine knappe Bestandesaufnahme der breit anerkannten schweizerischen Menschenrechtsaussenpolitik. Sie hat beim Schutz von Menschenrechtsverteidiger/innen, bei der Bekämpfung von Folter, beim Einsatz für die Abschaffung der Todesstrafe oder beim Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen in eigenen, bilateralen und multilateralen Programmen ihre nicht geringen Verdienste.

Menschenrechte unter Druck
Aber Menschenrechtsaussenpolitik findet nicht auf einer Insel statt. Der Bundesrat macht deutlich, dass die Menschenrechte «zunehmend unter Druck» stehen, nicht zuletzt durch ihre Einschränkung im Rahmen der Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus. (Dabei meint er allerdings nicht die eigenen, sehr weit reichenden präventiven Gesetzesmassnahmen gegen Terror, die dieses Jahr ins Parlament kommen.) Staaten, die den Menschenrechten gegenüber kritisch eingestellt seien, gewännen an Macht und Einfluss. «Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen werden mit dem Verweis auf die nationale Sicherheit oder die Verteidigung der staatlichen Souveränität zunehmend in ihrer Arbeit behindert, ihrer finanziellen Grundlagen beraubt und kriminalisiert». Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger seien «häufig Repressalien wie Verhaftung, Einschüchterung, Verschwindenlassen oder gar Hinrichtungen ausgesetzt».

Der Bundesrat ortet aber auch positive Entwicklungen: «Mit der Agenda 2030 verfügt die internationale Gemeinschaft über ein zukunftsgerichtetes politisches Rahmenwerk für nachhaltige Entwicklung, das auch die Stärkung der Menschenrechte zum Ziel hat.»

Der Bericht erinnert an die Menschenrechtsstrategie des EDA 2016-2019. Darin wird unter anderem das Engagement für «starke Menschenrechtsinstitutionen auf globaler, regionaler und nationaler Ebene» betont. Gerade zuhause lässt die Umsetzung jedoch zu wünschen übrig. Bisher bringt es der Bundesrat unter Federführung von Bundesrat Cassis nach einer 17-jährigen Leidensgeschichte nicht fertig, endlich eine unabhängige Nationale Menschenrechtsinstitution zu schaffen. Darunter leidet auch die Glaubwürdigkeit der Menschenrechtsaussenpolitik.

Heikles kommt nicht zur Sprache
Thema ist also die Politikkohärenz. Diese Herausforderung ist erfreulicherweise ins Zentrum der Rechenschaftsablage gerückt. Aufgeteilt wird die Thematik in Kohärenz von Innen- und Aussenpolitik, und dann von Aussenwirtschafts-, Migrations-, Sicherheits- und Menschenrechtspolitik. Konkret benannt werden Spannungsfelder und Interessenskonflikte allerdings nicht. Auffallend ist, was nicht zur Sprache kommt. Bei der Kohärenz von Menschenrechts- mit Sicherheitspolitik sind Rüstungsexporte kein Thema. Zur Verknüpfung von Menschenrechtsanliegen mit der Aussenwirtschaftspolitik werden Freihandelsabkommen, etwa im Kontext des ausführlich erörterten Dialogs mit China, gar nicht erwähnt. Bei der Innenpolitik ist globale Steuer(un)gerechtigkeit auf Kosten sozialer Rechte vieler Menschen ausgeklammert. Damit verdampft der ursprüngliche Auftrag des Parlaments an den Bundesrat zur regelmässigen Berichterstattung über die Menschenrechtsaussenpolitik. Es fehlt die verlangte Darstellung «menschenrechtlicher Kriterien» in den verschiedenen «Politikbereichen (insbesondere Entwicklungs-, Aussenwirtschafts-, Migrations- und Friedenspolitik usw.)». Die «Offenlegung der Interessenkonflikte», in denen «Werte der Menschenrechte gegen andere Werte abgewogen werden» sucht man vergeblich.

Denn: Die Glaubwürdigkeit der schweizerischen Menschenrechtsaussenpolitik wird beschädigt, wenn Bundesräte am WEF die guten, von Wirtschaftsinteressen geleiteten Beziehungen zu Brasilien betonen und Menschenrechtsfragen dabei gezielt übergehen; wenn die Schweiz im UNO-Menschenrechtsrat abseits steht bei der Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen in Saudiarabien – genau in den Schwerpunktthemen der Schweiz wie Folter, Todesstrafe, Frauenrechte, Meinungsäusserungsfreiheit, Menschenrechtsverteidiger/innen; wenn der Bundesrat die Migrationsthematik auch nach gewonnenem Kampf um die «Selbstbestimmungsinitiative» nicht stärker in einen menschenrechtlichen Rahmen stellt; oder wenn Bundesräte im Ausland Imagepflege für Schweizer Konzerne betreiben, ohne menschenrechtliche Dimensionen der Tätigkeiten auch nur zu benennen.

Das EDA verfügt über eine solide, breit aufgestellte und durch hervorragende Fachleute umgesetzte Menschenrechtsaussenpolitik. Dies zeigt die Bilanz des Bundesrats zum Zeitraum 2015-2018. Der Bericht stellt eine Auslegeordnung dar. Eine genügende Basis für die positive Schlussfolgerung, wonach die Politik insgesamt «wirksam und effizient» sei, findet sich darin aber nicht. Bundesrat Cassis selber hat am 25. Februar 2019 vor dem UNO-Menschenrechtsrat vor der gefährlichen Tendenz gewarnt, die Augen zu verschliessen, wenn wir Zeugen von Menschenrechtsverletzungen werden oder wenn der Raum für diese Rechte enger wird. Seine Warnung gilt selbstverständlich auch für die Schweiz selber, Menschenrechtsaussenpolitik ist Menschenrechtsinnenpolitik.

Matthias Hui ist Mitarbeiter von humanrights.ch und Koordinator der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz, der 90 Organisationen angehören.

Aussenpolitischer Bericht des Bundesrats 2018
(pdf, 89 S.; Bericht über die Menschenrechtsaussenpolitik der Schweiz 2015-2018, S. 59-76)