Kolumne

Nachhaltiges Finanzwesen in der EU und die Schweiz

von Matthias Betsche | Januar 2019
Die EU-Kommission hat im vergangenen Mai einen Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzwesen vorgelegt. Solange die Schweiz keine äquivalente Regulierung für die Nachhaltigkeit in der Finanzbranche kennt, kann das künftig den Zugang des Finanzplatzes Schweiz zum EU-Markt erschweren.

Schweizer Finanzinstitute erbringen vielfältige grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen; klassisches Beispiel hierfür ist die Verwaltung von Vermögen für europäische Privatkunden. Bei diesem grenzüberschreitenden Geschäft müssen Schweizer Finanzinstitute die Risiken berücksichtigen, die sich aufgrund der allenfalls anwendbaren ausländischen Rechtsordnungen ergeben können. So sind – wenn Schweizer Institute oder ihre Gruppengesellschaften grenzüberschreitend Finanzdienstleistungen für ihre europäische Kunden erbringen oder Finanzprodukte in die Europäische Union vertreiben – die aus einer Anwendung europäischer Rechtsvorschriften (Steuer-, Straf-, Geldwäschereirecht usw.) resultierenden Risiken angemessen zu erfassen, zu begrenzen und zu kontrollieren. Insbesondere erwartet die Schweizer Finanzmarktaufsicht FINMA als Aufsichtsbehörde, dass die Schweizer Institute ausländisches Aufsichtsrecht einhalten.

Bei der Erbringung von Vermögensverwaltungsdienstleistungen durch Schweizerische Institute für europäische Kunden sind beispielsweise die Europäische Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MIFID II) sowie die Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentsfonds (AIFMD) von Relevanz. MIFID II reguliert die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen und Anlagetätigkeiten. Die AIFMD erlässt Vorschriften für die Zulassung, die laufende Tätigkeit und die Transparenz der Verwalter alternativer Investmentfonds, die solche Fonds in der EU verwalten und/oder vertreiben.

Neue Nachhaltigkeitsregeln
Die von der Europäischen Kommission präsentierte Regulierung für ein nachhaltiges Finanzwesen setzt genau bei diesen für das grenzüberschreitende Schweizer Geschäft mit europäischen Kunden wichtigen EU Richtlinien an. So werden etwa die unter MIFID II und AIFMD anwendbaren Regeln mit Aspekten aus den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance („ESG“) ergänzt, welche durch die Finanzakteure zu berücksichtigen sind. In diesem Zusammenhang regelt die Vorlage u.a. was folgt:

  • Es werden einheitliche Standards und Definitionen („Taxonomien“) für nachhaltige Geldanlagen festgelegt. Die EU definiert den Begriff der Nachhaltigkeit und macht einheitliche Vorgaben für Finanzmarkt-Teilnehmer, nach welchen Kriterien eine Anlage als nachhaltig gilt.

  • Den Finanzmarkt-Akteuren wird eine Pflicht auferlegt, die Bedürfnisse der Kunden in Bezug auf Nachhaltigkeit zu eruieren und ihre Beratung auf diese Bedürfnisse auszurichten. Auf diese Weise dürfte ein breiteres Spektrum von Anlegern Zugang zu nachhaltigen Anlagen erhalten.

  • Es wird Kohärenz und Klarheit darüber geschaffen, wie institutionelle Anleger – etwa Vermögensverwalter, Versicherungsunternehmen, Pensionskassenfonds oder Anlageberater – die ESG-Faktoren in ihren Investitionsentscheidungsprozessen zu berücksichtigen haben. Im Übrigen müssen Vermögensverwalter und institutionelle Anleger künftig nachweisen, inwieweit ihre Investitionen ESG-Zielen förderlich sind und offenlegen, wie sie ihren ESG betreffenden Pflichten nachkommen.


Gemäss dem Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission sollen die Aspekte Umwelt, Soziales und Unternehmensführung die relevanten Bestimmungen von MIFID II und AIFMD ergänzen. Deshalb werden Schweizer Finanzinstitute – soweit sie heute schon MIFID II und AIFMD Regeln zu beachten haben – künftig auch mit den neuen europäischen Vorschriften für ein nachhaltiges Finanzwesen konfrontiert sein. Die Europäische Kommission arbeitet derzeit mit hoher Geschwindigkeit an der Finalisierung der Gesetzesvorlage. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bereits 2020 erste Massnahmen in Kraft treten könnten.

Marktzugangs-Probleme?
Die vorgeschlagenen Regeln zur Nachhaltigkeit betreffen zudem auch Bestimmungen, deren Beachtung Voraussetzung für einen europäischen Marktzugang sein kann. Die Europäische Kommission kann, sofern dies in der europäischen Gesetzgebung vorgesehen ist, bei Äquivalenz der schweizerischen Rechtsordnung schweizerischen Finanzinstituten Zugang zum europäischen Markt gewähren. So sieht z.B. Art. 67 AIFMD vor, dass mit einem positiven Entscheid der Europäischen Kommission für Schweizer Fonds im alternativen Bereich die Zulassung für die ganze EU erlangt werden könnte. Art. 46f der Verordnung über Märkte für Finanzinstrumente (MIFIR) sieht die Möglichkeit einer direkten grenzüberschreitenden Bedienung von professionellen Kunden in der EU durch Drittstaat-Firmen (z.B. Schweizer Finanzinstitute) vor.

Da die gegenwärtige schweizerische Rechtsordnung jedoch noch keine der europäischen Gesetzesvorlage äquivalente Regulierung der Nachhaltigkeit in der Finanzbranche kennt, ist die Gewährung eines europäischen Marktzugangs für schweizerische Finanzinstitute vor diesem Hintergrund mit Unsicherheiten behaftet.

Aus marktstrategischer Sicht stellt sich für den Schweizer Finanzplatz zudem die Frage, wie er sich im Hinblick auf den sich nun bildenden europäischen Markt für nachhaltige Finanzdienstleistungen und -produkte positionieren will. Schon oft konnte in der Finanzbranche beobachtet werden, dass die Regulierung von Finanzprodukten auch als Katalysator für Innovation und Wachstum wirken kann. In diesem Sinne ist der Schweizer Finanzplatz in Sachen Nachhaltigkeit gefordert.

Matthias Betsche ist Partner von LCR Services AG, die Finanzdienstleister in Legal, Compliance und regulatorischen Fragen berät. Er hat im Auftrag des WWF ein Rechtsgutachten über allfällige Folgen des Sustainable Finance-Aktionsplans der EU für den Schweizer Finanzsektor verfasst.