Kolumne

No Billag = No Aussenpolitik

von Casper Selg | Dezember 2017
Was immer die Folge eines Ja zur «No Billag»-Initiative wäre, eines steht fest: Internationale Politik verschwände weitgehend aus Radio und Fernsehen. In allen vier Landesteilen.

«No Billag», die Initiative zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren, ist ein Etikettenschwindel. Mit dem Etikett «No Billag» wird suggeriert, man könne die hohen, ungeliebten Empfangsgebühren loswerden. Aber es geht nicht um die Billag und es geht letztlich nicht um die Gebühren: der Haupteffekt der Initiative wäre die sofortige vollständige Zerschlagung der SRG, des Service Public im Medienbereich.

«No SRG, sofort» wäre der sachgerechte Titel. Weg mit der Tagesschau, dem 10vor10, der Rundschau, dem Echo der Zeit, dem Rendez-Vous, mit Heute Morgen, SRF4News, Kontext. Aber auch mit Temps présent, dem Telegiornale und den Novitads. Von all den Kulturprogrammen gar nicht zu reden.

Was in jedem Fall verschwinden wird, ist die Auslandberichterstattung, die internationale Politik. Das Korrespondentennetz von Radio SRF, von Fernsehen SRF, den Westschweizer und Tessiner Kollegen, wird mit absoluter Sicherheit nicht mehr zu finanzieren sein.

Mir fiel schon in den Achtziger- und Neunzigerjahren als Korrespondent in Washington auf, dass das Netz von Auslandkorrespondenten im Privatfernseh-Eldorado USA, bei den riesigen Networks CBS, NBC und ABC, kleiner war als bei Radio und Fernsehen DRS. Heute ist es noch kleiner als damals. Was der riesige Markt USA an Auslandinformation nicht finanzieren kann, wird der fünfzigmal kleinere (!) Schweizer Markt erst recht nicht hergeben. Und wir brauchen das alles in vier Sprachen statt nur einer... Internationale Politik ist kein Quotenhit, Aussenpolitik «bringt» fast nichts im Fernseh- und Radiomarkt. Finanzierbar bliebe allenfalls ein bisschen Katastropheninformation. Wie viele Tote im Iran? Was macht die Schweizer Hundestaffel?

Mein Vor-Vorgänger als langjähriger Leiter des «Echo der Zeit», Hans Lang, pflegte mit seiner leisen, knarrenden Stimme zu sagen: «Die Auslandberichterstattung ist absolut unerlässlich in einem Kleinstaat ohne eigene Ressourcen, der vom Ausland in vielerlei Hinsicht abhängig ist. Die Schweiz, mehr als andere, muss wissen, was sich wo weshalb abspielt». Das gab ihm die Gewissheit, dass das «Echo» überdauern werde solange es die Schweiz gibt.

Es ist sehr gut möglich, dass es schnell ganz anders kommt. Zwar entsteht im Moment eine respektable Allianz gegen die «No-Billag»- Initiative. Aber in Zeiten unkontrollierter Stimmungsbewegungen in den sozialen Medien, in Zeiten immer volatiler werdender Mehrheiten ist alles möglich. Die ersten kontroversen Veranstaltungen zeigen, dass –neben hoch emotionalen Rechtspolitisierten- vor allem junge Menschen keinen Wert mehr sehen in den öffentlichen Medien, im Service Public.

Womit die SRG-Programme nach einem Ja zu «No Billag» ersetzt würden, weiss niemand. Bekannt ist nur, was im neuen Verfassungsartikel steht: die Konzessionen werden an den Meistbietenden verkauft. Und mit «meistbietend» ist nicht gemeint, wer am meisten Interessantes zu bieten hat. Gemeint ist nur Geld. Und bekannt ist auch, was dann nicht mehr im Artikel 93 der Verfassung stünde: der bisherige Absatz zwei. Das sind die Qualitätsanforderungen an Radio und Fernsehen: Fairness, Sachgerechtigkeit, Vielfalt. Ebenso gestrichen wird eine Beschwerdeinstanz, an die man sich wenden könnte, wenn man den Inhalt der Programme beklagenswert findet! Es droht Berlusconisierung.

Ich bin mit dem «Echo der Zeit» verschiedentlich vor den Ombudsmann zitiert worden, habe Rechenschaft ablegen müssen. Ich war als Chef des «Echo», aber auch als Vertreter der Chefredaktion immer wieder vor der (damals) DRS-Programmkommission und habe über Inhalt und Machart unserer Sendungen diskutiert, musste mich mit Kritik auseinandersetzen. All das würde es nicht mehr geben. Weder die heutigen Sendungen noch die Kontrolle über das was dannzumal zu sehen wäre. Mit «No Billag» kann jeder, der das Geld dazu hat, senden was er will.

Und das wird nicht Qualität sein. Man schaue einmal am Vormittag zwei Stunden lang Privatfernsehen aus Deutschland, Italien oder Frankreich um zu erfahren, was der Markt da an «Qualität» produziert.

Internationale Politik wird nur noch in gewissen Zeitungen stattfinden. Aber davon gibt es immer weniger und auch dort ist das «Ausland» immer eines der ersten Opfer. Der Berner «Bund» und die «Berner Zeitung» haben keine eigenen Auslandredaktionen mehr. Man liest heute im Auslandteil des «Bund» den «Tagesanzeiger». Und dessen Auslandrubrik besteht zu einem guten Teil aus der «Süddeutschen». Und die wiederum schaut die internationalen Ereignisse nicht aus einer speziell schweizerischen Perspektive an.

«No Billag» heisst: Kahlschlag statt Vielfalt. Für alle vier Landesteile. Und das gilt ganz speziell für den Bereich internationale Politik. Denn selbst wenn die Initianten Recht behielten und eine Rumpf-SRG überleben könnte (was ich für völlig unmöglich halte): ein «Echo» oder eine «Rundschau» wird mit Sicherheit nicht mehr im Programm sein.

Casper Selg, langjähriger Leiter und Moderator des «Echo der Zeit» und Korrespondent in Deutschland und in den USA für Radio SRF. Seit Sommer 2015 freier Journalist.