Optimismus für eine EU, die Stabilität produziert

von Christoph Wehrli | Juni 2017
Alexander Graf Lambsdorff, Vizepräsident des Europäischen Parlaments, ist zuversichtlich, dass die EU gerade angesichts der Gefahren von Nationalismus, Autoritarismus und Protektionismus mehr Sicherheit und nachhaltigen Wohlstand schaffen kann.

«60 Jahre EU – Wie weiter mit Brexit, Macron und Trump?» Diese Frage hat die SGA im Anschluss an ihre Generalsversammlung in einer «Aussenpolitischen Aula» in Bern dem liberalen Europaparlamentarier Alexander Graf Lambsdorff gestellt. Für den Gast, der neun Jahre jünger ist als die EU (ein Neffe des einstigen Wirtschaftsministers und FDP-Vorsitzenden Otto Graf Lambsdorff), steht ausser Frage, dass selbst die grossen Mitgliedstaaten der Union von Voraussetzungen leben, die keiner von ihnen allein geschaffen hat. Die EU stehe für 60 Jahre Frieden auf einem historisch instabilen Kontinent und sei attraktiv geblieben.

Doch rund 25 Jahre nach der historischen Wende sei die Geschichte in Form dreier gefährlicher (durchaus realer) «Gespenster» zurück. Es sind dies erstens der Nationalismus und damit auch die Meinung, ein Staat könne allein alles machen und «befreit» wieder «wahre Grösse» (Marine Le Pen) erlangen, zweitens der Autoritarismus, namentlich in Polen die Einschränkung der Justiz, der Presse und teilweise auch des Parlaments als Faktoren der Regierungskontrolle, und drittens der Protektionismus, der sich etwa in Deutschland sogar in der Opposition gegen das Freihandelsabkommen mit Kanada manifestiert habe.

Gemeinsame Sicherheit
Der Vertrauensverlust, mit dem die drei Gefahren zu tun haben, betrifft an sich nicht allein die EU als solche. Für Graf Lambsdorff lautet die Frage auch nicht, ob es mehr oder weniger «Europa» braucht – nur kurz kritisierte er, dass unter dem Titel «Integration» mit bürokratischen Detailregelungen «zu weit hinunter regiert» werde. Entscheidend sei indes, was «die Leute» erwarten. Und dies sei an erster Stelle Sicherheit. Wieso mache man aus Europol, einer Organisation ohne Ermittlungsbefugnis, kein europäisches FBI? Und die Frontex sei heute zum Schutz der Aussengrenze auf die Bereitschaft der Staaten zur Mitwirkung angewiesen.

Auch in der militärischen Verteidigung sieht Lambsdorff erhebliche Schwächen der Gemeinschaft. Er möchte zwar keine Debatte über eine europäische Nuklearmacht auslösen, zumal sie die Illusion nähren könnte, es gehe auch ohne die USA. Aber er denkt an allfällige Aktionen in Krisengebieten von geringem Interesse für die Gesamt-Nato und die USA, deren Hinwendung nach Asien übrigens schon unter Obama begonnen habe. Und er hielt fest, die Diskussion um höhere Verteidigungsaufwendungen werde in Deutschland nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit geführt.

Die zweite grosse Aufgabe ergibt sich aus der Angst um Arbeitsplatz und Wohlstand. Wirtschaftliches Wachstum brauche Offenheit, betonte der liberale Politiker. Die EU sollte versuchen, Bewegung in die Prozesse im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) zu bringen; denn regionale Abkommen seien zweitbeste Lösungen. Die notwendige Nachhaltigkeit des Wachstums müsse auch eine besser ausgeglichene Verteilung innerhalb der EU umfassen, sagte Lambsdorff unter Hinweis auf die Probleme in Südeuropa.

Chancen nach den Wahlen
Zusammenfassend forderte Lambsdorff, dass Europa, bisher dank amerikanischer Beiträge ein Konsument von Stabilität, zu einem Produzenten von Stabilität werde. Ausdrücklich optimistisch ist er diesbezüglich, weil in Frankreich Emmanuel Macron mit einem proeuropäischen Programm gewählt worden sei und die deutschen Wahlen im Herbst ebenfalls eine frische Legitimation versprächen, wie sie nötig sei, wenn man allenfalls über den eigenen Schatten springen müsse. Damit meinte er zum Beispiel mit Blick auf Berlin die Erweiterung des Stabilitätsmechanismus und mit Blick auf Paris eine Reduktion der Staatswirtschaft. (Vermissen mag man bei dieser Betrachtung Überlegungen zu den anderen 26 oder 25 Mitgliedstaaten.) Beim Brexit wies er auf die grossen Differenzen innerhalb der Konservativen hin. Es drohe ein «crashing out» (ein Austritt ohne Vertrag). Es könnte aber auch sein, dass britischer Pragmatismus doch noch zu einem Rückzug des Austrittsgesuchs führe. Keinen Rat gab der gut informierte Redner, wie die Blockade zwischen der EU und der Schweiz gelöst werden könnte; es blieb bei seinem positiven Ton.