Kolumne

Rüsten wir uns zum Kampf um die EMRK

von Ulrich E. Gut | April 2014
Man mochte vielleicht glauben, Zeuge eines schlauen Manövers zu sein. Der Nationalrat entschied, dass die Durchsetzungsinitiative Gesetz werden solle. Er überlässt es den Gerichten in Lausanne und Strassburg, die Europäische Menschenrechtkonvention (EMRK) anzuwenden und allenfalls Ausschaffungen zu verhindern. Damit beruhigte er notdürftig das rechtsstaatliche Gewissen – nicht aber die SVP.

Um die SVP zum Rückzug ihrer Durchsetzungsinitiative zu bewegen, stimmte der Nationalrat am 20. März 2014 einer Umsetzung der Ausschaffungsinitiative zu, die die Verletzung der (EMRK) erlaubt. Anderseits fällte er zwei Entscheide, die dazu führen, dass EMRK-widrige Akte wohl spätestens im Revisionsverfahren aufgehoben werden: In der Septembersession lehnte er es ab, einer Parlamentarischen Initiative von Nationalrat Luzi Stamm (SVP, AG) Folge zu geben, den Revisionsgrund «Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte» abzuschaffen. In der Beratung der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative verwarf er deutlich folgenden Minderheitsantrag von Gregor A. Rutz (SVP, Zürich): «Die Bestimmungen über die Landesverweisung und deren Vollzugsmodalitäten gehen dem nicht zwingenden Völkerrecht vor. (siehe auch Art. 49d MStG)». Diese Bestimmung richtete sich gegen die Geltung der EMRK.

Doch die EMRK bleibt umstritten. Das machte SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz in einem Interview klar: «Wenn ein höheres Gericht unser Recht zu Unrecht erklärt, dann müssen wir uns wehren (...) Am Ende muss wahrscheinlich das Volk entscheiden, ob es die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) kündigen will.» («Aargauer Zeitung», 21.3.2014).

Die Zugehörigkeit zur EMRK ist eine Hauptpflicht der Mitglieder des Europarates. Somit stellt sich die Frage, was der Schweiz eine intakte Mitgliedschaft im Europarat Wert ist.

Es war BGB-Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen, der am 11. Dezember 1962 die Zustimmung des Nationalrates zum Beitritt erlangte. Seine Beurteilung hat wohl durch die aktuellen Spannungen mit der EU an Überzeugungskraft noch gewonnen: Der Integrationsprozess spiele sich «(...)durchaus ausserhalb des Europarates ab. Dagegen stellt der Europarat heute das einzige Forum dar, in welchem über diesen Gegenstand nützliche Gespräche zwischen den Mitgliedern der EWG, der Gruppe gehörenden europäischen Staaten geführt werden können, dies ganz besonders seit der Erweiterung der OECE zur OECD, die nicht mehr eine europäische, sondern eine atlantische Organisation ist.» (http://www.amtsdruckschriften.bar.admin.ch/viewOrigDoc.do?id=20037624)

50 Jahre später bestätigt der Bundesrat im Aussenpolitischen Bericht 2013:

«Für die Schweiz ist der Europarat in zweierlei Hinsicht wichtig: Zum einen sind die Werte, die er vertritt (Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit), auch in der Bundesverfassung verankert, so dass die Schweiz bei der Mitwirkung im Europarat ihre Erfahrungen einbringen kann. Zum andern sind die vom Europarat in seinen Tätigkeitsbereichen erarbeiteten Standards für alle Mitgliedsländer, also auch die Schweiz, wegweisend. Der Europarat ist eine Dialogplattform, die es der Schweiz ermöglicht, an der Erarbeitung von (...) Übereinkommen mitzuwirken. (...)»

Kritik an «Strassburg» ist legitim. Der Weg der Schweiz muss aber die Reform sein, gemeinsam mit andern Europaratsstaaten. Der Bundesrat informierte darüber 2013 in seiner Antwort auf eine Interpellation der FDP/Liberalen. Auszug: «Eine (...) einzuführende Änderung betrifft die explizite Verankerung des Subsidiaritätsprinzips und des Ermessensspielraums der Mitgliedstaaten in der Konvention, beides Grundsätze der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR.»

Es ist nun am Ständerat, zusammen mit dem Bundesrat darauf zu bestehen, dass der Gesetzgeber die Grundrechte weiterhin selbständig schützt statt an die Richter in Lausanne und Strassburg zu delegieren. Tut er es nicht, droht uns wohl bald eine Abstimmung über die Kündigung der EMRK.