Kolumne

Switzerland first statt Sustainability first

von Martin Fässler* | Juni 2019
Der Bundesrat plädiert im «Erläuternden Bericht zur internationalen Zusammenarbeit 2021 – 2024» für eine Kehrtwendung zu «Switzerland first statt Sustainability first». Er verpasst damit eine grosse Chance, um mit der Internationalen Zusammenarbeit (IZA) die Nachhaltigkeitswende zu fördern.

Im «Erläuternden Bericht zur internationalen Zusammenarbeit, 2021-24» setzt der Bundesrat die Schwerpunkte auf die Bekämpfung von Migration und Klimawandel, die Schaffung von Arbeitsplätzen, Wirtschaftswachstum und ein Engagement für Frieden und Rechtsstaatlichkeit. Von den eingesetzten Mitteln soll insbesondere die Schweiz profitieren. Nur knapp erwähnt werden im Bericht die 2015 von der UNO verabschiedeten 17 Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) der Agenda 2030.

Das ist erstaunlich. Denn mit dem Entscheid von 2015 gelang ein historischer Erfolg. Im gleichen Jahr wurde auch der Pariser Klimavertrag verabschiedet. Beide Vereinbarungen legen ehrgeizige globale Ziele fest. In wohlhabenden wie in armen Ländern braucht es eine sozial-ökologische Neuausrichtung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, wenn die Umsetzung gelingen soll. Eine an internationaler Fairness orientierte IZA soll Innovationen inspirieren und Investitionen in Richtung Nachhaltigkeit lenken.

Doch der «Erläuternde Bericht» argumentiert für einen Alleingang der Schweiz ausserhalb des internationalen Konsens. Das einzigartige Modernisierungs-, Gerechtigkeits- und Friedensprojekt der Agenda 2030 mit erheblichen aussen- und entwicklungspolitischen sowie wirtschaftlichen Chancen wird nicht erkannt.

Die Suche nach klimaverträglichen Entwicklungspfaden ist nunmehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Damit eröffnen sich Möglichkeiten, den Übergang zu einer klimaverträglichen und nachhaltigen Wirtschaftsweise zu beschleunigen. Zumindest fünf Gründe sprechen für eine weitsichtig angelegte Politik, um die Nachhaltigkeitswende (z.B. Energie, Landnutzung, Urbanisierung) mit IZA-Massnahmen voranzubringen:

  1. Mit ihrem Lebensstandard und Konsum sowie ihrer Steuerpolitik verursacht die Schweiz in Drittländern weltweit die höchsten externen Kosten («spillover») in den Bereichen Umwelt, Sicherheit und Wirtschaft1. Für eine ambitionierte Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele sollte sie sich deshalb besonders verpflichtet fühlen.

  2. Die Schweiz verfügt über erhebliche komparative Vorteile wie z.B. mit ihrer wettbewerbsfähigen exportorientierten Wirtschaft und der erfolgreichen IZA. Sie kann diese für die Unterstützung von sozio-ökologischen Strukturreformen verknüpfen, um Armut und soziale Ungleichheit zu mindern sowie gleichzeitig den Übergang zu klimaverträglichen Wirtschaften bewerkstelligen zu helfen.

  3. Die Schweiz verfügt über viele Voraussetzungen für die dringliche und machbare Wende zur Nachhaltigkeit, wie z.B. Technologien, Leitbilder, Netzwerke von Akteuren des Wandels, nachhaltige Geschäftsmodelle, usw. Sie kann ihre Erfahrungen in Vorreiter-Allianzen von wohlhabenden und armen Ländern einbringen und Initiativen zur Beschleunigung der Transformation voranbringen. Damit kann sie ihre internationale Handlungsfähigkeit erweitern.

  4. Die Schweiz kann im Rahmen der IZA mit Forschung und internationalen Wissenskooperationen die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele unterstützen. Sie kann Wissensressourcen und soft-power-Fähigkeiten zur Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft nutzen, Impulse für eine engere Zusammenarbeit mit Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft geben und ihre Rolle in internationalen Zukunftsmärkten verstärken. Ohne starkes Engagement der Privatwirtschaft kann die Umsetzung der Agenda 2030 schwerlich gelingen.

  5. Die für die IZA eingesetzten Finanzmittel sind Zukunftsinvestitionen, die im aufgeklärten Eigeninteresse der Schweiz erbracht werden.


Der «Erläuternde Bericht» weist Lücken und Versäumnisse auf. Als Entwicklungsfaktoren bleiben drastische Umweltveränderungen (Bodenverlust, beschleunigte Urbanisierung, Verlust von Biodiversität, Verschiebung von Klimazonen) ausgespart. Kooperationsinhalte sind auf kurzfristige Opportunitäten und migrationspolitische Interessen beschränkt. Die angestrebte verstärkte Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft bleibt ohne Bezug zur Nachhaltigkeitspolitik. Es fehlen Ausführungen über strategische Partnerschaften (bilateral, multilateral), um Massnahmen mit grosser Hebelwirkung zu unterstützen. Länder- und Themen-Schwerpunkte vermitteln den Eindruck des «weiter-so-wie-bisher». Der DEZA-Ausstieg in Lateinamerika wird mit buchhalterischen Argumenten begründet. Die Verantwortlichkeiten anderer Politikbereiche für eine erfolgreiche Umsetzung der Agenda 2030 bleiben ausgespart. Eine auf «Switzerland first» ausgerichtete IZA unterläuft schliesslich auch das Ziel des Entwicklungshilfe-Gesetzes2.

Für ein Land, das jeden zweiten Franken im Ausland erwirtschaftet, ist «Trittbrettfahren» keine zukunftsfähige Option. Nationales und globales Gemeinwohl sind über die globalen Güter Klima und Biodiversität untrennbar miteinander verbunden. Es liegt deshalb im Interesse der Schweiz, zum Gelingen der Agenda 2030 und des Pariser Klimavertrages beizutragen.

*Martin Fässler, unabhängiger Spezialist für Fragen zu Nachhaltigkeit und Entwicklung, ehemaliger Stabschef und Mitglied der Direktion der DEZA.

1)  Bertelsmann Stiftung & Sustainable Development Solutions Network (Hrsg.), Sustainable Development Report 2019, Transformations to achieve the Sustainable Development Goals
2) «Die Entwicklungszusammenarbeit unterstützt die Entwicklungsländer im Bestreben, die Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung zu verbessern. Sie soll dazu beitragen, dass diese Länder ihre Entwicklung aus eigener Kraft vorantreiben. Langfristig erstrebt sie besser ausgewogene Verhältnisse in der Völkergemeinschaft.» (EHG, Art. 5, Absatz 1)