Kolumne

Tag der Aussenpolitik: Entwicklungspolitik über Hilfe hinaus

von Christoph Wehrli | Juni 2019
In den letzten Jahren haben sich die Lebensbedingungen sehr vieler Menschen in armen Ländern verbessert, auch wenn das kaum wahrgenommen werde. Das wurde im zweiten Teil des Tages der Aussenpolitik allseits betont. Das Ziel der Armutsbekämpfung dürfe trotzdem nicht relativiert werden. Auch sollten mehrere Politikbereiche auf die Ziele der nachhaltigen Entwicklung ausgerichtet werden.

Erstmals ist ein Bericht zu den nächsten Rahmenkrediten für die Internationale Zusammenarbeit (IZA; Entwicklungshilfe, Friedens- und Menschenrechtsförderung) in ein Vernehmlassungsverfahren gegeben worden. Dabei stellt das von Ignazio Cassis geleitete Aussendepartement auch Akzentverschiebungen zur Diskussion, die noch nicht durchwegs konkret, aber kontrovers sind.

Fortschritte und neue Probleme
Der Einstieg an der Tagung im Berner Rathaus war weiter gefasst. Der Geschäftsleiter der von sechs Hilfswerken getragenen Alliance Sud, Mark Herkenrath, wies darauf hin, dass im längerfristigen Rückblick enorme Entwicklungsfortschritte festzustellen sind, dass aber auch grosse Herausforderungen weiterbestehen oder hinzugekommen sind: In Afrika südlich der Sahara nimmt die Armut in letzter Zeit wieder zu, der Klimawandel wirkt sich vielerorts bereits auf die Landwirtschaft aus, und die erstarkte Zivilgesellschaft ist Einschränkungen oder der Repression ausgesetzt. Die Tätigkeit internationaler Unternehmen berge grosses Entwicklungspotenzial, aber auch Gefahren für die lokale Wirtschaft, für Menschenrechte und Umwelt. Zudem entzögen (legale) Gewinntransfers den Entwicklungsländern insgesamt etwa 200 Milliarden Dollar Steuern pro Jahr.

Gegenüber dem IZA-Bericht des EDA wünscht sich Herkenrath, dass die in der Uno beschlossene «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung» wegleitend wird. Im Sinn der Kohärenz sei jede Sektorpolitik auf ihre Wirkung bezüglich dieser Ziele zu prüfen. In der Entwicklungszusammenarbeit müsse die Armutsbekämpfung als eigenständiges und zentrales Ziel gelten. Wenn gemäss Bericht vor allem Arbeitsplätze geschaffen werden sollen, sei zu verdeutlichen, dass diese menschenwürdig und nachhaltig sein müssten.

Bei konkreten Entwicklungsaktionen erlauben es neue Forschungsmethoden, namentlich die digitale Sammlung von Daten, die Wirkung bestimmter Massnahmen besser zu erfassen. Wenn aus den Resultaten Lehren gezogen werden, lässt sich dann ein verbessertes Projekt reproduzieren. Adina Rom, Entwicklungsökonomin an der ETH Zürich, illustrierte dies mit teilweise überraschenden Befunden. So haben in Kenya arme Empfänger von Geldbeiträgen diese durchaus produktiv, nicht etwa zum Alkoholkonsum, eingesetzt, und in der Folge verbesserte sich sogar die psychische Gesundheit. Auch die Gratisabgabe von Moskitonetzen erwies sich als effektiv (während sonst eher auf das Prinzip der Eigenbeteiligung gesetzt wird).

Keine Feindbilder, keine generellen Rezepte
Werden Auseinandersetzungen um die Entwicklungszusammenarbeit in letzter Zeit oft mit Pauschalurteilen und Feindbildern geführt, so kamen an einem Panelgespräch unterschiedliche, aber nicht völlig polarisierte Positionen zum Ausdruck. Für CVP-Nationalrat Claude Béglé liegt eine ausgeglichene, stabile Welt in unserem Interesse (wogegen der IZA-Bericht die nationalen Interessen als solche zum Kriterium macht). Urs Leimbacher (Swiss Re) bejaht die Wirkung der Entwicklungszusammenarbeit, sieht indes wie die Behörden zusätzliche Möglichkeiten des Zusammenwirkens mit der Privatwirtschaft. So könnten Versicherer das bäuerliche Risiko von Ernteverlusten decken, sie brauchten dazu aber auch Akteure wie die Weltbank. Marianne Hochuli (Caritas) zeigte Skepsis, was die Rolle von Unternehmen bei der Armutsbekämpfung betrifft, wandte sich aber nicht generell gegen eine Kooperation, sofern Entwicklungsgelder nicht einfach zu privaten Investitionen in schwierigen Kontexten dienten. Wert legte sie im Weiteren auf zusätzliche, separate Gelder zur Anpassung an den Klimawandel und zu dessen Milderung.

Eine gewisse Übereinstimmung zeigte sich nicht zuletzt, was die Migration betrifft. Deren Ursachen sind vielfältig, und das mit moderner Kommunikation verbreitete Bild Europas übt eine Anziehungskraft aus, der schwer entgegenzuwirken ist. Weder Béglé noch Hochuli weckten Illusionen über entsprechende Möglichkeiten der Entwicklungszusammenarbeit. Unbestritten war, dass Chancen, in der Heimat etwas aufzubauen, den Druck zur Auswanderung vermindern. Generelle Befunde, wonach wirtschaftliche Verbesserungen vorerst mit zunehmender Migration korrelieren, werden laut Herkenrath durch neuere Studien differenziert: Ein wichtiger Faktor ist die Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft.

Alle drei Votanten unterstützten das Postulat der Kohärenz, sehen aber verschiedene Dringlichkeiten. Die Entwicklungsorganisationen wollen mit ihrer Konzernverantwortungsinitiative multinationale Unternehmen in die Pflicht nehmen. Swiss Re lehnt diese ab, da sie Schweizer Unternehmen im internationalen Wettbewerb benachteilige. Béglé unterstützt hingegen den indirekten Gegenvorschlag, wie er im Nationalrat gutgeheissen wird.