Editorial

Viele aussenpolitische Fragen und eine europapolitische Roadmap

von SGA-Präsidentin Christa Markwalder | Januar 2020
Das Jahr 2020 wird generell entscheidend werden für die Aussenpolitik mit ihren zahlreichen bilateralen und multilateralen Baustellen weltweit und für die schweizerische Europapolitik im Speziellen.

Bringen wir das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU endlich unter Dach und Fach und sichern wir damit den bilateralen Weg ab? Zeigen wir den wiederholten Attacken der SVP auf den bilateralen Weg mit einer wuchtigen Ablehnung ihrer Kündigungsinitiative erneut die rote Karte? Wie wird sich Grossbritannien am 31. Januar aus der EU verabschieden? Wird sich der Handelsstreit zwischen den zwei grössten Volkswirtschaften USA und China entspannen? Gelingt es uns nach 14 Jahren endlich mit den USA ein Freihandelsabkommen aufzugleisen? Kommt es zum Abschluss des Freihandelsabkommens mit den Mercosur-Staaten? Inwiefern können wir die Ausgestaltung der OECD-Unternehmenssteuerreform mitprägen? Kann die Schweiz eine besänftigende Rolle im eskalierenden Nahost-Konflikt zwischen den USA und Iran übernehmen? Und was bedeutet dieser für die künftige Rolle des Völkerrechts?

Viele dieser für die Schweiz wichtigen aussenpolitischen Fragen werden sich im Lauf des Jahres entweder entspannen, verschärfen oder klären. Die Schweiz sollte sich darauf konzentrieren, worauf wir konkret Einfluss nehmen können und was unseren Werten und aussenpolitischen Zielen entspricht. Dazu gehört eine konstruktive Europapolitik, eine proaktive Aussenwirtschaftspolitik, die internationale Zusammenarbeit zur Erreichung der UN-Sustainable Development Goals sowie die Wahrnehmung guter Dienste.

Erstens: Sicherung des bilateralen Wegs dank Ablehnung der Kündigungsinitiative
Die Kündigungsinitiative der SVP, über die am 17. Mai abgestimmt wird, hängt wie ein Damoklesschwert über dem erfolgreichen bilateralen Weg der Schweiz mit der EU. Zuversicht ist angebracht, dass die Schweizer Stimmbevölkerung die Grundfreiheit der Personenfreizügigkeit weiterhin anerkennt und schätzt, denn sie hat diese an der Urne schon drei Mal explizit befürwortet. Zudem sind die Zuwanderungszahlen gesunken und das Bewusstsein für die Wichtigkeit der bilateralen Marktzugangsabkommen für den schweizerischen Unternehmensstandort ist in breiten Teilen der Bevölkerung verankert. Überzeugungsarbeit für die Absicherung des bilateralen Wegs und die Ablehnung der Kündigungsinitiative bleibt äusserst wichtig und nötig.

Zweitens: Schulterschluss des Bundesrats bezüglich InstA
Seit mehr als einem Jahr kennen wir den Vertragstext des Institutionellen Rahmenabkommens, das den bilateralen Weg absichern soll und fortführen kann. Die Schweizer Unterhändler haben bezüglich Geltungsbereich, Rechtsübernahme, Streitbeilegung und selbst beim Lohnschutz beachtliche Verhandlungserfolge erzielt, die eine öffentliche positive Würdigung verdienen. Aus 20-jähriger Erfahrung wissen wir, dass ein geschlossen auftretender Bundesrat jeweils dann den bilateralen Weg erfolgreich vertreten und der Stimmbevölkerung erklären konnte, wenn er sich nicht durch parteipolitische Interessen auseinanderdividieren liess und die Interessen der Schweiz gegenüber der EU als der wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Partnerin der Schweiz herausstrich. Ein Schulterschluss im Bundesrat ist dringend nötig – auch unter kollegialem Einbezug der beiden SVP-Bundesräte. Schliesslich sind ihre beiden Departemente hinsichtlich der Standortqualität für Unternehmen und ihrer Arbeitsplätze, der fehlenden Börsenäquivalenz für den Finanzplatz Schweiz und des drohenden Ausschlusses aus dem nächsten EU-Forschungsprogramm besonders betroffen. Ebenso wichtig bleiben die beiden SP-Vertreter im Bundesrat für die traditionelle breite europapolitische Allianz: sie dürfen sich nicht länger von den auf Zeit spielenden Gewerkschaften gängeln lassen. Mit Simonetta Sommaruga ist eine neue Bundespräsidentin im Amt, die die europapolitische Klaviatur bestens kennt und die Fähigkeiten hat, gordische Knoten aufzulösen, ohne diese zu massiv überteuerten innenpolitischen Preisen erkaufen zu müssen.

Drittens: Rasche positive Signale gegenüber der EU
Anlässlich des WEF ergibt sich eine gute Gelegenheit gegenüber der neuen EU-Kommission zu signalisieren, dass die Schweizer Regierung bereit ist, das institutionelle Abkommen zu unterzeichnen und den Ratifizierungsprozess einzuleiten, sobald die Stolpersteine aus dem Weg geräumt sind. Dazu gehören die Entbürokratisierung von flankierenden Massnahmen ohne Aushöhlung deren Substanz und gewisse Zusicherungen der EU, sich nicht in die Subventionspolitik der Schweiz einzumischen, sofern keine Marktzugangsabkommen betroffen sind. Dies wäre derzeit nur beim Flugverkehrsabkommen der Fall. Doch hätte die Schweiz tatsächlich ein Interesse, die an die Lufthansa verkaufte Swiss mit Steuergeldern zu alimentieren? Wohl kaum. Vielmehr wird die Frage der staatlichen Beihilfen künftige Marktzugangsabkommen betreffen wie das Elektrizitäts-Abkommen, bei dem jedoch noch nicht alle Würfel gefallen sind.

Gleichzeitig muss die Schweiz signalisieren, dass sie bereit ist ihren Beitrag mittels Kohäsionszahlungen zur Verringerung wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheiten innerhalb der EU zu leisten, aber auch erwartet, dass bestehende diskriminierende Massnahmen seitens der EU eliminiert werden.

Schliesslich kann die Schweiz trotz all ihrer diplomatischen Kompetenzen die Welt nur soweit proaktiv friedlich und prosperierend mitgestalten wie es in unseren Möglichkeiten liegt. Sowohl betreffend bilateraler wie multilateraler aussenpolitischer Herausforderungen dürfen wir auch im neuen Jahr nicht der Verblendung erliegen, dass wir unilateral entscheiden können, was in bilateraler oder gar multilateraler Absprache zu erfolgen hat. In diesem Sinne: It takes two for a tango and it takes many for a Quadrille.