Kolumne

Was haben US-Stahlzölle mit einem Rahmenabkommen Schweiz-EU zu tun?

von Thomas Cottier | März 2018
Die Abkehr der USA von einer regelbasierten Handelspolitik ist eine historische Zäsur. Sie wird die EU zu einer härteren Gangart und stärkeren Besinnung auf den eigenen Binnenmarkt zwingen. Für die Schweiz wird dies nicht ohne Folgen bleiben. Um sie zu vermeiden, braucht es das Rahmenabkommen.  

Am 8. März 2018 proklamierte die US Regierung unter Berufung auf Art. 232 des 1962 Trade Expansion Act die Einführung von Einfuhrzöllen auf Stahl (25%) und Aluminium (15%). Sie treten am 22. März in Kraft. Die US Regierung begründet die Massnahmen mit globalen Überkapazitäten und mit sicherheitspolitischen Überlegungen, obgleich der grosse Teil der Einfuhren aus den verbündeten Staaten Kanada, Deutschland/EU und Südkorea stammt. China liefert nur einen kleinen Teil. In Tat und Wahrheit schlägt hier eine neue merkantilistische und protektionistische Politik durch. Die Massnahmen dienen dazu, die andern Staaten zu «freiwilligen» Exportbeschränkungen zu zwingen, die WTO-rechtlich verboten sind. Sie sind geprägt durch Machtpolitik und Abkehr von einem regelbasierten System. Dazu passt, dass die USA die Erneuerung des Berufungsorgans in der WTO verhindern, um es lahmzulegen.

Ein Wendepunkt in der Geschichte

Sollte der US Kongress die Zollmassnahmen nicht noch aufheben, werden sie als Wendepunkt in die Geschichte des Welthandels eingehen. Das multilaterale System von Bretton Woods und GATT wurde nach dem 2. Weltkrieg wesentlich von den USA begründet und gemeinsam mit vielen Staaten entwickelt, darunter auch die Schweiz. Die Gründung der WTO mit ihrem ausgeprägten und erfolgreichen Streitbeilegungsverfahren bildete einen Höhepunkt in der Entwicklung eines regelbasierten und rechtsstaatlichen Systems mit bislang über 500 Streitfällen, die gerichtlich und friedlich entschieden wurden. All dies ist jetzt in hohem Masse gefährdet. Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass die Regeln weltweit respektiert werden.

Die Abkehr der USA vom multilateralen System blieb bis heute ohne Auswirkungen auf die Handels- und Integrationspolitik der Schweiz. Das Verhältnis zur Europäischen Union blieb davon unberührt. Die Bereitschaft, das Rahmenabkommen endlich voranzutreiben und in diesem Jahr abzuschliessen, geht auf den Druck Brüssels mit der zeitlich nur beschränkten Anerkennung der Börsenäquivalenz zurück. Nach wie vor herrscht die Meinung vor, dass wir keine neuen Abkommen brauchen, schon gar nicht im Bereich der Dienstleistungen, von denen das schweizerische Bruttonationalprodukt zu 70% abhängt.

Geopolitische Überlegungen sind im Verhältnis zur EU offiziell nicht auszumachen. Es ist aber an der Zeit, solche Überlegungen ernsthaft anzustellen.

Die Entwicklung in den USA und die Hinwendung zu machtpolitisch geprägten Beziehungen werden nicht ohne Folgen bleiben. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Schwächung der WTO und des Regelsystems auch in andern Staaten zu Verschlechterungen des Markzuganges führen wird. Die Freihandelsverträge der Schweiz – ohnehin ohne gerichtliche Durchsetzungsmöglichkeiten – unterliegen der Gefahr einer Erosion in diesem neuen Umfeld, wo jeder nur mehr für sich schaut.

Die EU wird nicht ohne Reaktion und Retorsionen auskommen können. Sie wird sich stärker auf den Binnenmarkt als ihr Kernstück konzentrieren, auch um die grossen Herausforderungen und Baustellen in den Bereichen der Klimapolitik, Migration und der Währungsunion besser zu meistern. L’Europe qui protège, hat dies Präsident Macron genannt. Der wohl unvermeidliche Austritt Grossbritanniens wird eine gewisse Abschottung verstärken und die alte Festung Europa wieder aufleben lassen, gerade auch als Antwort auf die populistischen Strömungen und die Fremdenfeindlichkeit. Dazu kommen sicherheitspolitische Überlegungen: mit der Brüchigkeit der transatlantischen Beziehungen ist die Union stärker auf sich gestellt im Umgang mit autokratischen Regierungen in Russland, der Türkei und auch der Volksrepublik Chinas. Sie wird zwangsläufig ihre Aussengrenzen mental und real verstärken müssen. Für den Marktzugang Dritter werden vertraglich geregelte Beziehungen im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik an Bedeutung gewinnen.

Von Offenheit der EU profitiert – aber wie lange noch?

Die Schweiz als Drittstaat hat bislang von der Offenheit der EU profitiert. Das erklärt auch, weshalb sie in einer Schönwetterzeit ohne Dienstleistungsabkommen ausgekommen ist und die Wirtschaft noch heute ein solches Abkommen in Kumulation von vielen Sonderinteressen als nicht erforderlich hält. Das könnte sich ändern, wenn die EU im Zuge einer stärkeren Besinnung auf den Binnenmarkt und die eigenen Grenzen vermehrt rechtliche Anforderungen und Zulassungsbewilligungen gegenüber Drittstaaten verlangt. Die Erfahrung mit der Börsenäquivalenz könnte Fanal einer längeren Entwicklung sein.

Überall dort, wo der Marktzugang von einer Anerkennung und Äquivalenz abhängt, genügt die seit 1988 verfolgte Politik des autonomen Nachvollzugs nicht. Denn damit lassen sich keine rechtlichen Garantien erreichen. Diese bedürften einer vertraglichen Absicherung. Das gilt nicht nur für bestehende Verträge, sondern vor allem für künftige Abmachungen im Bereich der Netzwerkindustrien und der Dienstleistungen. Zentraler Gegenstand dieser Verträge sind gemeinsame Regulierungen und dazu muss ein angemessener institutioneller Rahmen geschaffen werden, der diese Verträge zu betreiben vermag.

Es zeigt sich klar, dass ein institutionelles Abkommen in erster Linie im Interesse der Schweiz selbst ist. Die geopolitischen Entwicklungen müssen zu einem Umdenken führen, wegführen von der Obsession einer falsch verstandenen Souveränität im Sinne des Alleingangs und einer Angstmache vor fremden Richtern. Die Schweiz wird lernen, dass sie nur im Rahmen Europas stark bleiben kann.

Thomas Cottier ist emeritierter Professor für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht und Präsident der Vereinigung «Die Schweiz in Europa»