Kolumne

Wo bleibt die Kohärenz in der Menschenrechtspolitik?

von Matthias Hui und Thomas Braunschweig | August 2017
Die Schweiz ist ambitiös, wenn sie in der UNO oder in der OSZE von Menschenrechten spricht. In der Handels- oder Klimapolitik, der Steuer- oder Asylpolitik,  der Gleichstellungs-, Gesundheits- oder Rohstoffpolitik fehlt oft ein klares Engagement.  NGOs fordern mehr Kohärenz.

«Das Profil der Schweiz wird durch die Glaubwürdigkeit ihres Engagements bestimmt, die ihrerseits von der Kohärenz ihrer Politik abhängt. Die Schweiz achtet darauf, Menschenrechtsfragen bei der Planung und Umsetzung ihrer gesamten Aussenpolitik zu berücksichtigen.» Diese Zielsetzung vertritt das Eidgenössische Departement für aus- wärtige Angelegenheiten EDA in seiner ersten Menschenrechtsstrategie 2016–2019. Die alte Debatte über menschenrechtliche Kohärenz in der Aussenpolitik ist damit neu lanciert.

Die Arbeitsgruppe Aussenpolitik der schweizerischen NGO-Plattform Menschenrechte hat im Juni 2017 das Diskussionspapier: «Wo bleibt die Kohärenz? Menschenrechte und Schweizer Aussenpolitik» veröffentlicht. In einem Dutzend Fällen aus der Arbeit verschiedener Menschenrechtsorganisationen zeigt die Studie aktuelle menschenrechtliche Inkohärenzen auf. Einige Beispiele: Die Schweiz setzt sich international gegen die Straflosigkeit von Kriegsverbrechern ein, das EJPD und die Bundesanwaltschaft verfügen aber selber nur über ungenügend Mittel zu deren Verfolgung. Die Schweiz leistet gute Entwicklungszusammenarbeit, lässt aber die Geheimhaltungsmechanismen weitgehend unangetastet, welche die um ein Mehrfaches höheren unlauteren Finanzflüsse aus Entwicklungsländern unentdeckt lassen. SECO und DEZA finanzieren nationale Menschenrechtsinstitutionen in aller Welt, selber verfügt die Schweiz jedoch über keine solche Institution. Und der Vorschlag, den der Bundesrat soeben in die Vernehmlassung schickte, will ausgerechnet die Aussenpolitik von den Aufgaben der Institution ausnehmen.

Was ist eine menschenrechtlich kohärente Aussenpolitik?
Menschenrechtliche Kohärenz in der Aussenpolitik bedeutet, dass alle Politikbereiche und Verwaltungseinheiten ihre Mitverantwortung für die Achtung und Förderung der universellen Menschenrechte aktiv wahrnehmen. Die Studie der NGO-Plattform Menschenrechte zeigt auf der Grundlage der Bundesverfassung, der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz, des Berichts des Bundesrates zur Menschenrechtsaussenpolitik 2011-2014 oder auch Studien der EU drei Dimensionen einer menschenrechtlich kohärenten Aussenpolitik auf:

  1. Die vertikale Dimension: Jedes aussenpolitische Handeln ist daran zu messen, ob es die Menschenrechte respektiert und den Menschenrechtsschutz stärkt.

  2. Die horizontale Dimension: Keine sektorielle Aussenpolitik (Aussenwirtschaft, Handel, Sicherheit, Frieden, Entwicklung, Migration, Gender, Umwelt, Gesundheit usw.) darf Massnahmen ergreifen, welche im Widerspruch zu den Schwerpunkten und Zielen der schweizerischen Menschenrechtsaussenpolitik stehen.

  3. Die transversale Dimension: Widersprüche zwischen der Aussenpolitik und Bereichen der Innenpolitik müssen systematisch bearbeitet werden.


Seit 25 Jahren verlangen parlamentarische Aufsichtsorgane, Fachpersonen innerhalb und ausserhalb der Bundesverwaltung sowie der Bundesrat in strategischen Dokumenten eine verbesserte Politikkohärenz. Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 kommt einer kohärenten Politik ein zentraler Stellenwert zu. Dennoch herrscht Treten an Ort: Über die rhetorische Ebene hinaus sind kaum Verbesserungen auf institutioneller und politischer Ebene zu verzeichnen. Im Gegenteil: In verschiedenen Politikbereichen wächst gar die Kluft zwischen deklarierten Zielen und handfester Interessenpolitik.

Fünf Forderungen
Auf diesem Hintergrund stellt die NGO-Plattform Menschenrechte fünf Forderungen auf, um  die menschenrechtliche Kohärenz in der Aussenpolitik der Schweiz  zu verbessern.

  1. Auf strategischer Ebene braucht es in der Aussenpolitik eine übergreifende nationale Menschenrechtsstrategie, die vom Gesamtbundesrat verantwortet wird. Bundesrat Burkhalter hat eine solche in Aussicht gestellt, nun muss der/die Nachfolger/in übernehmen.

  2. Um die horizontale Kohärenz der Menschenrechtspolitik zu verbessern, muss ein wirksames Querschnittsorgan in der Verwaltung geschaffen werden. Eine solche interdepartementale Koordinationsstelle für Menschenrechte muss Zielkonflikte eruieren und dem Bundesrat Entscheidungsgrundlagen zu deren Bearbeitung bereitstellen.

  3. Um die vertikale Kohärenz der Menschenrechtspolitik zu verbessern, braucht es systematische Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen oder Wirkungsanalysen. Angelehnt werden kann ein solches – auch von UNO-Gremien und verschiedenen WissenschafterInnen vorgeschlagenes – Verfahren an die Umweltverträglichkeitsprüfung.

  4. Im Sinne einer Selbstevaluation muss der Bundesrat die mit den «Berichten über die Menschenrechtsaussenpolitik» bereits vorhandene Berichterstattung an das Parlament ausbauen. Diese sollte verstärkt der Transparenz, dem politischen Dialog und der strategischen Planung dienen. Und sie ist mit verwandten Berichterstattungs- und Strategieprozessen (Aussenpolitik, Nachhaltigkeit/Agenda 2030 usw.) zu synchronisieren.

  5. Schliesslich soll die künftige Nationale Menschenrechtsinstitution die Bemühungen um systematische menschenrechtliche Kohärenz in der Aussenpolitik begleiten und unterstützen.


Die Debatte läuft
Die NGO-Plattform Menschenrechte wird dafür sorgen, dass die Debatte über menschenrechtliche Kohärenz in der Aussenpolitik auch mit dem neuen EDA-Vorsteher oder der neuen EDA-Vorsteherin weitergeht. Denn konkrete Ergebnisse sind gefragt – für eine glaubwürdige Schweiz und all jene, die weltweit unter Menschenrechtsverletzungen leiden.

Matthias Hui, Mitarbeiter von humanrights.ch und Koordinator der Arbeitsgruppe Aussenpolitik der schweizerischen NGO-Plattform Menschenrechte

Thomas Braunschweig, Verantwortlicher Handelspolitik bei Public Eye und Mitglied der Arbeitsgruppe Aussenpolitik der schweizerischen NGO-Plattform Menschenrechte