Kolumne

Zusammenarbeit Schweiz–EU intensiver denn je

von Fabian Schmid & Thomas Cottier | Juli 2020
Die Covid-Pandemie führte überall in Europa zu einer Rückbesinnung auf den nationalen Kontext. Die politische Stimmung der Abschottung und Renationalisierung steht jedoch im Gegensatz zu den Erfahrungen auf dem Terrain während der Krise. Das zeigt eine Zusammenstellung der koordinierten Massnahmen.

Gemäss einer aktuellen Studie des Forschungsinstituts gfs.bern hat sich bei 45 Prozent der SchweizerInnen die Haltung gegenüber den vertraglichen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU in der Coronakrise ins Nachteilige verändert. Die Zusammenarbeit zwischen Bern und Brüssel war in der Bewältigung der Pandemie gleichzeitig so intensiv wie selten zuvor. Die Vereinigung La Suisse en Europe hat in einem Paper festgehalten, wie die Schweiz nämlich zu beidseitigem Vorteil eng in Dispositive der EU eingebunden wurde. Pandemien kennen keine nationalen Grenzen, und mit Blick auf die Gefahr weiterer Wellen von COVID-19 muss dies in der Gestaltung künftiger Politiken vermehrt Eingang ins Bewusstsein der Öffentlichkeit finden.

Koordinierte Massnahmen
Die Schweiz wurde sehr früh in Koordinationsbemühungen auf Ebene der EU integriert. Die zuständigen BundesrätInnen oder ihre ChefbeamtInnen waren bei Videokonferenzen der Gesundheits- und InnenministerInnen zugeschaltet. Die Schweiz erhielt Zugang zum EU-Ausschuss für Gesundheitssicherheit, der die nationalen Massnahmen im Kampf gegen das Coronavirus koordiniert. Und der Schweiz wurde Zugang zum Early Warning and Response System EWRS gewährt, über welches die EU und ihre Mitgliedstaaten Gesundheitsdaten austauschen und Massnahmen koordinieren. Weiter koordinierten die Schweiz und die EU ihre Kapazitäten bei Repatriierungsflügen.
In spontaner, effizienter und unbürokratischer Kooperation konnten in einer Geste der transnationalen Solidarität knapp 50 PatientInnen aus Frankreich in Schweizer Spitälern aufgenommen werden. Zudem unterstützte die Schweiz Italien mit Schutzmaterial. Corona hat überdies die zentrale Bedeutung des Freizügigkeitsabkommens für unser Gesundheitssystem verdeutlicht: Die Krise hätte in den Spitälern im Tessin, in Basel, Neuenburg oder Genf ohne die zahlreichen GrenzgängerInnen aus der Nachbarschaft nicht bewältigt werden können.

Brüsseler Hilfe
Nationale Ausfuhrverbote von Schutzmaterial durch einige Nachbarstaaten trafen die Schweiz zu Beginn der Krise hart. Das Intervenieren der EU-Kommission war deshalb wichtig. Einzelstaatliche Ansätze wurden vereinheitlicht und die Schweiz wurde in das Dispositiv der EU aufgenommen und von sämtlichen Ausfuhrbeschränkungen ausgenommen. Ausserdem verschob die EU die für den 26. Mai 2020 geplante Anwendbarkeit einer revidierten Medizinalprodukteverordnung um ein Jahr. Damit verzichtete sie in der Krisensituation auf eine einseitige Massnahme, natürlich weiterhin verbunden mit der Hoffnung auf eine rasche Unterzeichnung des Rahmenabkommens. Für die Schweizer Medtech-Branche bedeutet die Entscheidung, dass sie vorerst den Zugang zum europäischen Binnenmarkt nicht verliert.

Die Grenzregime
Ende April beschloss der Bundesrat, die Corona-bedingten Einreisebeschränkungen parallel zu den wirtschaftlichen Öffnungsetappen schrittweise zu lockern. Nachdem erst eine koordinierte Grenzöffnung zu Deutschland, Österreich und Frankreich in Aussicht gestellt wurde, beschloss der Bundesrat die vollständige Öffnung der Landesgrenzen für EU- und Efta-BürgerInenn am 15. Juni. Diese Öffnung geschah in Koordination mit den anderen Schengen-Staaten, sodass die Gefahr eines Flickenteppichs im Schengen-Raum verhindert werden konnte.

Mental Borders
Die Krise bestätigt einmal mehr, dass die Schweiz und die EU dicht vernetzt sind – kulturell, politisch, wirtschaftlich. Gerade die Grenzregionen leben vom gemeinsamen Austausch und Handel. Die EU kam der Schweiz während der Hochphase der Corona-Krise in vielen Bereichen entgegen. Trotzdem gilt nach wie vor, dass die Schweiz zu häufig ad hoc um temporären Zutritt und Mitbestimmung bitten muss. Zur Verbesserung dieser Situation und für den Abschluss von wichtigen neuen Abkommen führt nichts an der Grundsatzentscheidung vorbei, das durch die Krise aufgeschobene institutionelle Rahmenabkommen mit der EU abzuschliessen.
Abseits der tagespolitischen Herausforderungen böten die Erfahrungen während Corona die Möglichkeit, festgefahrene Überzeugungen über mental borders zwischen der Schweiz und dem restlichen Europa zu hinterfragen und aufzuweichen. Gerade in diesem Bereich muss jedoch noch sehr viel Arbeit geleistet werden.

Das Paper der Vereinigung La Suisse en Europe in voller Länge

*Thomas Cottier ist emeritierter Professor für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht und Präsident der Vereinigung La Suisse en Europe. Fabian Schmid ist Sekretär der Vereinigung La Suisse en Europe und betreut auch die Geschäftsstelle der SGA-ASPE.