Kolumne
75 Jahre UNO - Zeit für die globale Revolution
von
Daniel Jositsch
| September 2020
Für die Lösung globaler Probleme braucht es ergänzend zur zwischenstaatlich organisierten UNO ein Weltparlament. Es soll möglich machen, bei globalen Problemen wie dem Klimawandel nationalstaatliche Blockaden zu überwinden.
Die Zusammenarbeit zwischen den Nationalstaaten erfolgt in internationalen Organisationen, namentlich der UNO, wo die Staatenvertreter als Interessenvertreter ihrer Staaten auftreten; eine globale Strategie wird nur teilweise verfolgt. Das zeigt sich im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, und das gleiche Bild erkennt man bei der fehlenden Bewältigung der Klima- und Umweltproblematik, um einen anderen globalen Problembereich zu nennen. Ganz nach dem Motto «Chacun pour soi, Dieu pour tous» tendieren die Staaten dazu, ihre Interessen zu verteidigen, wobei der globale Gesamtblick auf der Strecke bleibt. Was die globale politische Ebene betrifft, so müssen wir feststellen, dass ein grosses Handlungs- und Demokratiedefizit vorliegt.
UNO als Staatenbund
Die UNO ist auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs als Friedensprojekt gegründet worden. Die Charta der Organisation, ihre Verfassung, legt in Art. 2 Ziff. 1 fest, dass es sich um einen Zusammenschluss souveräner Staaten handelt. Dass damit nur der Anfang einer internationalen Zusammenarbeit geschaffen worden war, erkannte man bereits bei der Gründung der UNO, so dass in Art. 109 Abs. 3 der Charta explizit vorgesehen wurde, dass spätestens zehn Jahre nach deren Inkrafttreten eine Konferenz zur Revision der Charta stattfinden sollte. Das ist allerdings bis heute nicht geschehen.
Der UNO ist es in den vergangenen Jahren zwar gelungen, das internationale Recht stark weiter zu entwickeln. Die Organisation selbst bleibt aber weitgehend ein internationales Gremium, also ein Gremium, in dem die autonomen Staaten vertreten sind. Das oberste Gremium der UNO, die Generalversammlung, besteht mithin aus den Vertretern der Nationalstaaten resp. aus deren Regierungsvertretungen. Die politischen Entscheidungsmechanismen sind nach wie vor international organisiert; das heisst, dass es keine globalen Entscheidungs-, geschweige denn Durchsetzungsmechanismen auf der Stufe der UNO gibt. Dies zeigt sich exemplarisch am Beispiel der primären sich aktuell stellenden globalen Herausforderung, dem Umwelt- und Klimaproblem: Einerseits besteht weitestgehend die Einsicht und die Überzeugung, dass die Umwelt- und Klimaprobleme real sind, dass sie dringend sind und dass nur globale Strategien erfolgreich sind. Andererseits fehlt es den Nationalstaaten am Willen, globale Strategien zu beschliessen und umzusetzen. Denn dies würde je nachdem zu einem Autonomieverlust führen resp. zu Einschränkungen, die die Nationalstaaten innerstaatlich umsetzen müssten. Diese Haltung der Regierungen ist mit Blick auf die innerstaatlichen politischen Situationen durchaus verständlich, denn entsprechende Massnahmen haben innerstaatliche Auswirkungen, z.B. auf die Wirtschaft, die Gesellschaft etc. Es ist aber evident, dass in einem internationalen Gremium, in dem jeder Beteiligte primär die Interessen seines Landes verteidigt (und auch verteidigen soll), sich keine globalen Lösungen finden und verbindlich festlegen lassen.
Die Zeit ist reif für ein Weltparlament
Für die Lösung globaler Probleme braucht es eine globale politische Ebene in Ergänzung zur zwischenstaatlichen Ebene der UNO. Selbstverständlich muss diese Ebene nach demokratischen Grundsätzen aufgebaut werden. Am geeignetsten dazu erscheint ein Weltparlament. Ein solches muss man sich nicht zwingend als Institution vorstellen, die an einem einzigen geographischen Platz verortet ist. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass es heute ohne unlösbare Probleme möglich ist, grössere Versammlungen auf digitalem Weg durchzuführen. Es wäre denkbar, ein Weltparlament teilweise auf digitalem Weg tagen zu lassen. Die modernen Kommunikationsformen würden es auch zulassen, direktdemokratische Elemente zu integrieren, so dass globale Referendumsabstimmungen möglich wären. Ein solches Weltparlament wäre keine Konkurrenz zur zwischenstaatlichen Ebene der UNO, sondern vielmehr eine Ergänzung. Auch ein Weltparlament würde die Souveränität der Nationalstaaten anerkennen und wäre einzig für diejenigen Themen zuständig, die globale Ausmasse annehmen und die rein zwischenstaatliche Ebene übersteigen.
Das mag visionär tönen. Doch die Alternative zu einer globalen demokratischen Struktur ist keine globale demokratische Struktur. Die global zu lösenden Probleme aber bleiben. Globale Entscheidungsgremien sind daher keine Gedankenspiele, sondern eine zwingende Notwendigkeit. Es wird der Menschheit ohne sie nicht gelingen, die globalen Probleme, die sich ihr in einer modernen Welt stellen, zu lösen. Es gibt letztlich keine Alternative zur globalen Demokratie. Die UNO wurde vor 75 Jahren als Friedensprojekt gegründet. Wenn sie in den nächsten 75 Jahren eine ähnliche Rolle spielen will, dann wird sie sich zur globalen demokratischen Institution über die nationalstaatlichen Grenzen und Interessen hinweg entwickeln müssen.
Die Schweiz als neutraler Kleinstaat, der Kantonen eine besondere Bedeutung zumisst, könnte in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen. Zu Recht haben sich Bundesrat und Ständerat dafür ausgesprochen, Uno-Reformen mit dieser Zielsetzung zu unterstützen.
*Daniel Jositsch ist Ständerat des Kantons Zürichs und Präsident von Democracy without Borders Schweiz.
Am 20. Oktober 2020 organisieren das Zentrum für Demokratie Aarau und Democracy without Borders gemeinsam einen Diskussionsabend zum Thema «75 Jahre UNO – Die Welt in der Krise: Ist es Zeit für ein Weltparlament?». Weitere Informationen: www.zdaarau.ch. Link zur Veranstaltung: https://www.zdaarau.ch/veranstaltung/75-jahre-uno-die-welt-in-der-krise-ist-es-zeit-f%C3%BCr-ein-weltparlament
Die Zusammenarbeit zwischen den Nationalstaaten erfolgt in internationalen Organisationen, namentlich der UNO, wo die Staatenvertreter als Interessenvertreter ihrer Staaten auftreten; eine globale Strategie wird nur teilweise verfolgt. Das zeigt sich im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, und das gleiche Bild erkennt man bei der fehlenden Bewältigung der Klima- und Umweltproblematik, um einen anderen globalen Problembereich zu nennen. Ganz nach dem Motto «Chacun pour soi, Dieu pour tous» tendieren die Staaten dazu, ihre Interessen zu verteidigen, wobei der globale Gesamtblick auf der Strecke bleibt. Was die globale politische Ebene betrifft, so müssen wir feststellen, dass ein grosses Handlungs- und Demokratiedefizit vorliegt.
UNO als Staatenbund
Die UNO ist auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs als Friedensprojekt gegründet worden. Die Charta der Organisation, ihre Verfassung, legt in Art. 2 Ziff. 1 fest, dass es sich um einen Zusammenschluss souveräner Staaten handelt. Dass damit nur der Anfang einer internationalen Zusammenarbeit geschaffen worden war, erkannte man bereits bei der Gründung der UNO, so dass in Art. 109 Abs. 3 der Charta explizit vorgesehen wurde, dass spätestens zehn Jahre nach deren Inkrafttreten eine Konferenz zur Revision der Charta stattfinden sollte. Das ist allerdings bis heute nicht geschehen.
Der UNO ist es in den vergangenen Jahren zwar gelungen, das internationale Recht stark weiter zu entwickeln. Die Organisation selbst bleibt aber weitgehend ein internationales Gremium, also ein Gremium, in dem die autonomen Staaten vertreten sind. Das oberste Gremium der UNO, die Generalversammlung, besteht mithin aus den Vertretern der Nationalstaaten resp. aus deren Regierungsvertretungen. Die politischen Entscheidungsmechanismen sind nach wie vor international organisiert; das heisst, dass es keine globalen Entscheidungs-, geschweige denn Durchsetzungsmechanismen auf der Stufe der UNO gibt. Dies zeigt sich exemplarisch am Beispiel der primären sich aktuell stellenden globalen Herausforderung, dem Umwelt- und Klimaproblem: Einerseits besteht weitestgehend die Einsicht und die Überzeugung, dass die Umwelt- und Klimaprobleme real sind, dass sie dringend sind und dass nur globale Strategien erfolgreich sind. Andererseits fehlt es den Nationalstaaten am Willen, globale Strategien zu beschliessen und umzusetzen. Denn dies würde je nachdem zu einem Autonomieverlust führen resp. zu Einschränkungen, die die Nationalstaaten innerstaatlich umsetzen müssten. Diese Haltung der Regierungen ist mit Blick auf die innerstaatlichen politischen Situationen durchaus verständlich, denn entsprechende Massnahmen haben innerstaatliche Auswirkungen, z.B. auf die Wirtschaft, die Gesellschaft etc. Es ist aber evident, dass in einem internationalen Gremium, in dem jeder Beteiligte primär die Interessen seines Landes verteidigt (und auch verteidigen soll), sich keine globalen Lösungen finden und verbindlich festlegen lassen.
Die Zeit ist reif für ein Weltparlament
Für die Lösung globaler Probleme braucht es eine globale politische Ebene in Ergänzung zur zwischenstaatlichen Ebene der UNO. Selbstverständlich muss diese Ebene nach demokratischen Grundsätzen aufgebaut werden. Am geeignetsten dazu erscheint ein Weltparlament. Ein solches muss man sich nicht zwingend als Institution vorstellen, die an einem einzigen geographischen Platz verortet ist. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass es heute ohne unlösbare Probleme möglich ist, grössere Versammlungen auf digitalem Weg durchzuführen. Es wäre denkbar, ein Weltparlament teilweise auf digitalem Weg tagen zu lassen. Die modernen Kommunikationsformen würden es auch zulassen, direktdemokratische Elemente zu integrieren, so dass globale Referendumsabstimmungen möglich wären. Ein solches Weltparlament wäre keine Konkurrenz zur zwischenstaatlichen Ebene der UNO, sondern vielmehr eine Ergänzung. Auch ein Weltparlament würde die Souveränität der Nationalstaaten anerkennen und wäre einzig für diejenigen Themen zuständig, die globale Ausmasse annehmen und die rein zwischenstaatliche Ebene übersteigen.
Das mag visionär tönen. Doch die Alternative zu einer globalen demokratischen Struktur ist keine globale demokratische Struktur. Die global zu lösenden Probleme aber bleiben. Globale Entscheidungsgremien sind daher keine Gedankenspiele, sondern eine zwingende Notwendigkeit. Es wird der Menschheit ohne sie nicht gelingen, die globalen Probleme, die sich ihr in einer modernen Welt stellen, zu lösen. Es gibt letztlich keine Alternative zur globalen Demokratie. Die UNO wurde vor 75 Jahren als Friedensprojekt gegründet. Wenn sie in den nächsten 75 Jahren eine ähnliche Rolle spielen will, dann wird sie sich zur globalen demokratischen Institution über die nationalstaatlichen Grenzen und Interessen hinweg entwickeln müssen.
Die Schweiz als neutraler Kleinstaat, der Kantonen eine besondere Bedeutung zumisst, könnte in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen. Zu Recht haben sich Bundesrat und Ständerat dafür ausgesprochen, Uno-Reformen mit dieser Zielsetzung zu unterstützen.
*Daniel Jositsch ist Ständerat des Kantons Zürichs und Präsident von Democracy without Borders Schweiz.
Am 20. Oktober 2020 organisieren das Zentrum für Demokratie Aarau und Democracy without Borders gemeinsam einen Diskussionsabend zum Thema «75 Jahre UNO – Die Welt in der Krise: Ist es Zeit für ein Weltparlament?». Weitere Informationen: www.zdaarau.ch. Link zur Veranstaltung: https://www.zdaarau.ch/veranstaltung/75-jahre-uno-die-welt-in-der-krise-ist-es-zeit-f%C3%BCr-ein-weltparlament
Kolumne
Das Rahmenabkommen – Chance für die Demokratie?
von Christoph Wehrli | April 2021
An einer Online-Veranstaltung der SGA hat Thomas Pfisterer ausgeführt, welche Chancen das Institutionelle Abkommen Schweiz – EU (InstA) für die europapolitische Mitwirkung des Parlaments und für die Demokratie überhaupt bieten würde. «Mitte»-Präsident Gerhard Pfister stimmte ihm in vielem zu, ohne deswegen seine Skepsis gegenüber dem Abkommen aufzugeben.
Kolumne
Nachhaltigkeitspolitik der Schweiz genügt nicht
von Martin Fässler* | März 2021
Ökologische Fragen sind in den «Global Risk Reports» des WEF nach ganz oben gerutscht. Der Klimawan-del ist tägliches Thema geworden. Er stellt die Leitideen der Moderne wie Wirtschaftswachstum und Be-herrschung der Natur auf den Prüfstand. Die Covid-19 Pandemie lässt die internationale Verantwortung für Problemlösungen noch schärfer hervortreten.
Kolumne
Die falsch verstandene Souveränität
von Jean-Daniel Gerber | März 2021
Es ist ein Irrtum zu glauben, die Souveränität der Schweiz bleibe ohne Rahmenabkommen mit der EU besser bewahrt. Souverän ist nicht, wer sich nicht bindet, sondern wer seine bestehenden Abhängigkeiten erkennt und durch vertraglich geregelte Zusammenarbeit lenkt.