Kolumne
Den bilateralen Kollaps verhindern
von Hans-Jürg Fehr
| Februar 2014
Die Masseneinwanderungs-Initiative ist ein Ansammlung von Gummiartikeln, aber in einem Punkt ist sie stahlhart: Sie verlangt die Rückkehr zu Kontingenten und das zwingt den Bundesrat, das Personenfreizügigkeitsabkommen zu kündigen. Wer glaubt, dieser Schritt lasse sich durch diplomatisches Geschick vermeiden, täuscht sich gewaltig. Die Initiantin will es so, die Mehrheit des Stimmvolkes will es so und natürlich haben es die EU und ihre Mitgliedstaaten so verstanden. Sie interpretieren den Schweizer Volksentscheid zu Recht als Angriff auf eine der Grundfesten der Union. Sie werden sich hüten, ausgerechnet wegen einem Nicht-Mitglied ausgerechnet ihr Fundament zu schwächen.
Die Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens würde einen Mechanismus auslösen, den die Schweiz selbst in diesem Abkommen verankert haben wollte. Die anderen sechs bilateralen Verträge des ersten Pakets (Landverkehr, Luftverkehr, Forschung, öffentliches Beschaffungswesen, Agrarabkommen und Abkommen über technische Handelshemmnisse) sind untrennbar mit dem Freizügigkeitsabkommen verknüpft worden. Dessen Artikel 25 legt nämlich fest: «Die sieben Abkommen treten sechs Monate nach Erhalt der Notifikation über die Nichtverlängerung oder über die Kündigung ausser Kraft». Das ist die nur allzu gern verschwiegene oder übersehene «Guillotine-Klausel». Sie macht mit dem automatischen Kündigungs-Domino aus den bilateralen Verträgen eine aussenpolitische Doktrin – den Bilateralismus.
Mit dieser Doktrin fährt die Schweiz seit Anfang Februar auf eine Wand zu. Sie hat drei Jahre Zeit, um die Frontalkollision zu verhindern. Dabei wird sie nicht davon ausgehen können, dass ihr die EU hilft, aus dem Schlamassel herauszukommen. Die Union ist in den letzten Jahren als Folge ihres Wachstums und ihrer Demokratisierung (Stärkung des Parlaments) deutlich auf Distanz gegangen zur Schweiz. Ungelöste Probleme wie die Unternehmensbesteuerung und die institutionelle Verwaltung des ganzen Vertragswerks haben die Distanz vergrössert und den Bilateralismus an sich zunehmend in Zweifel gezogen. Wenn nun die Schweiz selbst das Kernstück der bilateralen Verträge zerstören will, hat sie mit Verhärtung zu rechnen nicht mit Entgegenkommen. In Brüssel fragt man sich, warum ausgerechnet die EU den schweizerischen Sonderweg retten solle, den die Schweiz nun offensichtlich beenden will.
Ein Ausweg mit zwei Fahrspuren
Aus dieser bedrohlichen Lage gibt es einen Ausweg mit zwei Fahrspuren. Die erste Fahrspur besteht darin, eine neue Volksabstimmung herbeizuführen, dieses Mal aber nicht über die Freizügigkeit allein, sondern über alle sieben bilateralen Verträge, um die es effektiv geht. So wäre sicher gestellt, dass das Schweizer Stimmvolk über die Fortsetzung des Bilateralismus entscheidet, nicht die EU.
Die zweite Fahrspur besteht darin, parallel zur ersten innerhalb der Schweiz eine Politik der Zuwanderungsbremsen umzusetzen. Sie stellen die Personenfreizügigkeit nicht in Frage, sondern setzen sie als gegeben voraus. Diese Politik der Zuwanderungsbremsen besteht aus einem Massnahmenbündel, das die Anziehungskraft des schweizerischen Arbeitsmarktes als Zuwanderungsmagneten schwächt. Sie zielt darauf ab, das in der Schweiz selbst vorhandene Arbeitskräfte- Potenzial besser auszuschöpfen. Dafür eignen sich folgende Massnahmen:
1. Deutliche Erhöhung der Erwerbsquote der Frauen durch den zügigen Ausbau der ausserfamiliären Kinderbetreuung. Der Bremseffekt wäre bedeutend, die gesellschaftlichen Nebennutzen ebenfalls.
2. Bessere Ausschöpfung des Arbeitskraft-Potenzials bei den älteren Erwerbstätigen. Zu viele der 55 bis 65jährigen Männer und Frauen scheiden heute unfreiwillig ganz oder teilweise aus dem Erwerbsleben aus.
3. Bessere Ausschöpfung des Arbeitskraft-Potenzials bei den Arbeitslosen durch zielgerichtete Nach-Qualifizierungsprogramme.
4. Aufhebung der ohnehin fragwürdigen Steuerprivilegien von reichen Ausländern (Pauschalsteuer) und ausländischen Konzernen (Gewinnsteuer).
5. Weitere Verstärkung der flankierenden Massnahmen gegen die mit der Zuwanderung verbundenen Lohnmissbräuche, begangen durch schweizerische und ausländische Arbeitgeber.
6. Annahme der gewerkschaftlichen Mindestlohn-Initiative als wirksame Massnahme gegen die Anwerbung von Tieflohn-Arbeitskräften in der EU.
Die Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens würde einen Mechanismus auslösen, den die Schweiz selbst in diesem Abkommen verankert haben wollte. Die anderen sechs bilateralen Verträge des ersten Pakets (Landverkehr, Luftverkehr, Forschung, öffentliches Beschaffungswesen, Agrarabkommen und Abkommen über technische Handelshemmnisse) sind untrennbar mit dem Freizügigkeitsabkommen verknüpft worden. Dessen Artikel 25 legt nämlich fest: «Die sieben Abkommen treten sechs Monate nach Erhalt der Notifikation über die Nichtverlängerung oder über die Kündigung ausser Kraft». Das ist die nur allzu gern verschwiegene oder übersehene «Guillotine-Klausel». Sie macht mit dem automatischen Kündigungs-Domino aus den bilateralen Verträgen eine aussenpolitische Doktrin – den Bilateralismus.
Mit dieser Doktrin fährt die Schweiz seit Anfang Februar auf eine Wand zu. Sie hat drei Jahre Zeit, um die Frontalkollision zu verhindern. Dabei wird sie nicht davon ausgehen können, dass ihr die EU hilft, aus dem Schlamassel herauszukommen. Die Union ist in den letzten Jahren als Folge ihres Wachstums und ihrer Demokratisierung (Stärkung des Parlaments) deutlich auf Distanz gegangen zur Schweiz. Ungelöste Probleme wie die Unternehmensbesteuerung und die institutionelle Verwaltung des ganzen Vertragswerks haben die Distanz vergrössert und den Bilateralismus an sich zunehmend in Zweifel gezogen. Wenn nun die Schweiz selbst das Kernstück der bilateralen Verträge zerstören will, hat sie mit Verhärtung zu rechnen nicht mit Entgegenkommen. In Brüssel fragt man sich, warum ausgerechnet die EU den schweizerischen Sonderweg retten solle, den die Schweiz nun offensichtlich beenden will.
Ein Ausweg mit zwei Fahrspuren
Aus dieser bedrohlichen Lage gibt es einen Ausweg mit zwei Fahrspuren. Die erste Fahrspur besteht darin, eine neue Volksabstimmung herbeizuführen, dieses Mal aber nicht über die Freizügigkeit allein, sondern über alle sieben bilateralen Verträge, um die es effektiv geht. So wäre sicher gestellt, dass das Schweizer Stimmvolk über die Fortsetzung des Bilateralismus entscheidet, nicht die EU.
Die zweite Fahrspur besteht darin, parallel zur ersten innerhalb der Schweiz eine Politik der Zuwanderungsbremsen umzusetzen. Sie stellen die Personenfreizügigkeit nicht in Frage, sondern setzen sie als gegeben voraus. Diese Politik der Zuwanderungsbremsen besteht aus einem Massnahmenbündel, das die Anziehungskraft des schweizerischen Arbeitsmarktes als Zuwanderungsmagneten schwächt. Sie zielt darauf ab, das in der Schweiz selbst vorhandene Arbeitskräfte- Potenzial besser auszuschöpfen. Dafür eignen sich folgende Massnahmen:
1. Deutliche Erhöhung der Erwerbsquote der Frauen durch den zügigen Ausbau der ausserfamiliären Kinderbetreuung. Der Bremseffekt wäre bedeutend, die gesellschaftlichen Nebennutzen ebenfalls.
2. Bessere Ausschöpfung des Arbeitskraft-Potenzials bei den älteren Erwerbstätigen. Zu viele der 55 bis 65jährigen Männer und Frauen scheiden heute unfreiwillig ganz oder teilweise aus dem Erwerbsleben aus.
3. Bessere Ausschöpfung des Arbeitskraft-Potenzials bei den Arbeitslosen durch zielgerichtete Nach-Qualifizierungsprogramme.
4. Aufhebung der ohnehin fragwürdigen Steuerprivilegien von reichen Ausländern (Pauschalsteuer) und ausländischen Konzernen (Gewinnsteuer).
5. Weitere Verstärkung der flankierenden Massnahmen gegen die mit der Zuwanderung verbundenen Lohnmissbräuche, begangen durch schweizerische und ausländische Arbeitgeber.
6. Annahme der gewerkschaftlichen Mindestlohn-Initiative als wirksame Massnahme gegen die Anwerbung von Tieflohn-Arbeitskräften in der EU.
Kolumne
Der EWR ist von gestern, nicht für morgen
von alt Nationalrat Hans-Jürg Fehr | April 2023
Vor dreissig Jahren wäre der Beitritt der Schweiz zum Europäische Wirtschaftsraum EWR eine gute Lösung gewesen. Das Stimmvolk wollte nicht. In jüngster Zeit wird er von gewissen politischen Kreisen wieder propagiert. Aber heute wäre er eine schlechte Lösung.
Kolumne
Schulterschluss zwischen Bund und Kantonen in der Europapolitik
von Thomas Moser* | April 2023
Der bilaterale Weg zwischen der Schweiz und der EU ist ein Spiel, das von den Verteidigungsreihen dominiert wird. Seit 2007 werden keine wichtigen Verträge mehr abgeschlossen. Die Verhandlungen enden torlos. Als der Bundesrat am 29. März 2023 in Aussicht stellte, die Sondierungsgespräche mit der EU abzuschliessen und bis Ende Juni ein Verhandlungsmandat zu erarbeiten, verwies er auf die Kantone. Der Dialog mit ihnen habe es ermöglicht, für die Staatsbeihilfen und Zuwanderungsfragen konkrete Lösungsansätze zu definieren.