Handelspolitik wird Innenpolitik
von Christoph Wehrli
| April 2017
Freihandelsabkommen umfassen heute über den Zollabbau hinaus Bereiche innerstaatlicher Rechtsetzung. So sind sie auch vermehrt umstritten. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die demokratische Mitgestaltung erweitert werden sollte.
Professor Thomas Cottier, langjähriger Direktor des Welthandelsinstituts an der Universität Bern, und die «Zeit»-Redaktorin Petra Pinzler, Autorin von «Der Unfreihandel» (2015), haben im Rahmen der Aussenpolitischen Aula der SGA in Bern über Tendenzen und Probleme beim Abschluss neuer Freihandelsabkommen gesprochen. Das Thema, ein Kernelement der Globalisierung, ist allgemein wie auch für die Schweiz aktuell, auch wenn der amerikanische Präsident Donald Trump die Verhandlungen über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) sistiert hat.
Die Schweiz im Hintertreffen
Das Potenzial der scheinbar technischen Materie für politische Kontroversen ergibt sich aus dem, was Freihandelsabkommen der jüngeren «Generationen» mitumfassen und mitbetreffen: Abbau von technischen Handelshemmnissen wie unterschiedliche Vorschriften für Produkte, Beschaffungen der öffentlichen Hand, Schutz des geistigen Eigentums, Investitionsschutz, Arbeitnehmerrechte und Weiteres mehr. Auch werden die Weiterentwicklung eines Abkommens und die Zusammenarbeit der Partner bei der entsprechenden Gesetzgebung vertraglich geregelt.
Thomas Cottier zeigte, dass die Schweiz bei dieser Entwicklung ins Hintertreffen zu geraten droht oder bereits geraten ist. Die im Rahmen der EFTA geschlossenen Abkommen bewegten sich nur an der Oberfläche, seien demnach (als «Shallow Agreements») nicht mehr à jour. Den Bilateralen Schweiz - EU fehlten ihrerseits die Dynamik und die regulatorische Kooperation. Daraus ergebe sich ein besonderes Interesse an einem Abkommen mit Brüssel über institutionelle Fragen. Dieses könnte wiederum ein – wirtschaftlich vorteilhaftes - Parallelabkommen zu einer allfälligen TTIP vorbereiten.
Forderung nach Demokratisierung
Die gegenwärtigen Schwierigkeiten bei den Bemühungen, zu neuen internationalen oder regionalen Handelsabkommen zu gelangen, sind für Petra Pinzler ein Ausdruck tieferliegender Fragen und bieten Gelegenheit, zu diskutieren, welche Globalisierung wir eigentlich wollen. Denn was in der Perspektive einer Liberalisierung als Handelshemmnis gelte, sei je nach Land, Interesse und Standpunkt allenfalls eine Errungenschaft, die verteidigt werden sollte, beispielsweise Einschränkungen für gentechnische Produkte und das Verbot von «Hormonfleisch». Die Zusammenarbeit in der Rechtsetzung führe kaum zu höheren Standards, der Umweltschutz werde im TTIP-Entwurf nicht positiv erwähnt. Umgekehrt werde der Patentschutz, der für den Welt-Norden von Vorteil sei, jeweils vertraglich verstärkt.
Daraus ergibt sich die Forderung nach einer Demokratisierung der Handelspolitik und nach Transparenz. Denn die EU-Kommission, hielt Pinzler fest, konsultiere vor Verhandlungen fast nur Wirtschaftsverbände, aber kaum Umwelt- und Entwicklungsorganisationen. Auch betreibe sie eine überholte Geheimhaltung. Bezeichnend sei ebenso die problematische Absicht, das kanadisch-europäische Freihandelsabkommen (Ceta) in den Teilen, die allein in die Unionszuständigkeit fallen, provisorisch in Kraft zu setzen, bevor es nach dem EU-Parlament auch alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben. Grundsätzlicher Kritik ausgesetzt ist zudem bei Vereinbarungen über den Investitionsschutz die Konfliktregelung durch ein nichtstaatliches Schiedsgericht, zumal da ein Unternehmen einen Staat auch etwa wegen Umweltauflagen verklagen kann.
Cottier betonte die Unterscheidung zwischen protektionistischen Handelshemmnissen und solchen, die im öffentlichen Interesse lägen. Gesundheits- und Umweltanliegen würden von der Welthandelsorganisation (WTO) anerkannt, sollten aber gerade auf nationaler Ebene geregelt werden. Schiedsverfahren anstelle der nationalen Gerichtsbarkeit bezeichnete Cottier im Fall etablierter Rechtsstaaten als unnötig. Mit Pinzler traf er sich auch im Postulat, die Möglichkeit der politischen Auseinandersetzung über Handelsvorlagen zu erweitern. Wenn das Parlament über die Ratifikation zu entscheiden habe, sei es für eine Mitgestaltung zu spät. Daher brauche es analog zum amerikanischen Trade Act auch in der EU und in der Schweiz ein Gesetz mit Zielen und Leitplanken für die Exekutive. Es würde sie dazu verpflichten, vor dem Start von Verhandlungen über ein neues Abkommen eine offene Debatte darüber zu führen, was damit erreicht werden soll.
Professor Thomas Cottier, langjähriger Direktor des Welthandelsinstituts an der Universität Bern, und die «Zeit»-Redaktorin Petra Pinzler, Autorin von «Der Unfreihandel» (2015), haben im Rahmen der Aussenpolitischen Aula der SGA in Bern über Tendenzen und Probleme beim Abschluss neuer Freihandelsabkommen gesprochen. Das Thema, ein Kernelement der Globalisierung, ist allgemein wie auch für die Schweiz aktuell, auch wenn der amerikanische Präsident Donald Trump die Verhandlungen über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) sistiert hat.
Die Schweiz im Hintertreffen
Das Potenzial der scheinbar technischen Materie für politische Kontroversen ergibt sich aus dem, was Freihandelsabkommen der jüngeren «Generationen» mitumfassen und mitbetreffen: Abbau von technischen Handelshemmnissen wie unterschiedliche Vorschriften für Produkte, Beschaffungen der öffentlichen Hand, Schutz des geistigen Eigentums, Investitionsschutz, Arbeitnehmerrechte und Weiteres mehr. Auch werden die Weiterentwicklung eines Abkommens und die Zusammenarbeit der Partner bei der entsprechenden Gesetzgebung vertraglich geregelt.
Thomas Cottier zeigte, dass die Schweiz bei dieser Entwicklung ins Hintertreffen zu geraten droht oder bereits geraten ist. Die im Rahmen der EFTA geschlossenen Abkommen bewegten sich nur an der Oberfläche, seien demnach (als «Shallow Agreements») nicht mehr à jour. Den Bilateralen Schweiz - EU fehlten ihrerseits die Dynamik und die regulatorische Kooperation. Daraus ergebe sich ein besonderes Interesse an einem Abkommen mit Brüssel über institutionelle Fragen. Dieses könnte wiederum ein – wirtschaftlich vorteilhaftes - Parallelabkommen zu einer allfälligen TTIP vorbereiten.
Forderung nach Demokratisierung
Die gegenwärtigen Schwierigkeiten bei den Bemühungen, zu neuen internationalen oder regionalen Handelsabkommen zu gelangen, sind für Petra Pinzler ein Ausdruck tieferliegender Fragen und bieten Gelegenheit, zu diskutieren, welche Globalisierung wir eigentlich wollen. Denn was in der Perspektive einer Liberalisierung als Handelshemmnis gelte, sei je nach Land, Interesse und Standpunkt allenfalls eine Errungenschaft, die verteidigt werden sollte, beispielsweise Einschränkungen für gentechnische Produkte und das Verbot von «Hormonfleisch». Die Zusammenarbeit in der Rechtsetzung führe kaum zu höheren Standards, der Umweltschutz werde im TTIP-Entwurf nicht positiv erwähnt. Umgekehrt werde der Patentschutz, der für den Welt-Norden von Vorteil sei, jeweils vertraglich verstärkt.
Daraus ergibt sich die Forderung nach einer Demokratisierung der Handelspolitik und nach Transparenz. Denn die EU-Kommission, hielt Pinzler fest, konsultiere vor Verhandlungen fast nur Wirtschaftsverbände, aber kaum Umwelt- und Entwicklungsorganisationen. Auch betreibe sie eine überholte Geheimhaltung. Bezeichnend sei ebenso die problematische Absicht, das kanadisch-europäische Freihandelsabkommen (Ceta) in den Teilen, die allein in die Unionszuständigkeit fallen, provisorisch in Kraft zu setzen, bevor es nach dem EU-Parlament auch alle Mitgliedstaaten ratifiziert haben. Grundsätzlicher Kritik ausgesetzt ist zudem bei Vereinbarungen über den Investitionsschutz die Konfliktregelung durch ein nichtstaatliches Schiedsgericht, zumal da ein Unternehmen einen Staat auch etwa wegen Umweltauflagen verklagen kann.
Cottier betonte die Unterscheidung zwischen protektionistischen Handelshemmnissen und solchen, die im öffentlichen Interesse lägen. Gesundheits- und Umweltanliegen würden von der Welthandelsorganisation (WTO) anerkannt, sollten aber gerade auf nationaler Ebene geregelt werden. Schiedsverfahren anstelle der nationalen Gerichtsbarkeit bezeichnete Cottier im Fall etablierter Rechtsstaaten als unnötig. Mit Pinzler traf er sich auch im Postulat, die Möglichkeit der politischen Auseinandersetzung über Handelsvorlagen zu erweitern. Wenn das Parlament über die Ratifikation zu entscheiden habe, sei es für eine Mitgestaltung zu spät. Daher brauche es analog zum amerikanischen Trade Act auch in der EU und in der Schweiz ein Gesetz mit Zielen und Leitplanken für die Exekutive. Es würde sie dazu verpflichten, vor dem Start von Verhandlungen über ein neues Abkommen eine offene Debatte darüber zu führen, was damit erreicht werden soll.
Kolumne
Der EWR ist von gestern, nicht für morgen
von alt Nationalrat Hans-Jürg Fehr | April 2023
Vor dreissig Jahren wäre der Beitritt der Schweiz zum Europäische Wirtschaftsraum EWR eine gute Lösung gewesen. Das Stimmvolk wollte nicht. In jüngster Zeit wird er von gewissen politischen Kreisen wieder propagiert. Aber heute wäre er eine schlechte Lösung.
Kolumne
Schulterschluss zwischen Bund und Kantonen in der Europapolitik
von Thomas Moser* | April 2023
Der bilaterale Weg zwischen der Schweiz und der EU ist ein Spiel, das von den Verteidigungsreihen dominiert wird. Seit 2007 werden keine wichtigen Verträge mehr abgeschlossen. Die Verhandlungen enden torlos. Als der Bundesrat am 29. März 2023 in Aussicht stellte, die Sondierungsgespräche mit der EU abzuschliessen und bis Ende Juni ein Verhandlungsmandat zu erarbeiten, verwies er auf die Kantone. Der Dialog mit ihnen habe es ermöglicht, für die Staatsbeihilfen und Zuwanderungsfragen konkrete Lösungsansätze zu definieren.