Kolumne
Schweiz bald Drittstaat im Medtech-Bereich?
von
Lucius Dürr
| Februar 2021
Durch das Zögern des Bundesrates beim Rahmenabkommen mit der EU droht die Medtech-Branche zum Bauernopfer zu werden. Denn schon bald läuft eine Übergangslösung aus, die es den Schweizer Medtech-Unternehmen ermöglicht, ihre Produkte diskriminierungsfrei in die EU zu exportieren.
Ohne Rahmenabkommen wird die Schweiz ab dem 26. Mai 2021 im Medtech-Bereich zum Drittstaat für die EU. Für die vielen Startups und KMU in dieser Branche hat das schwerwiegende Folgen: Sie können ihre Produkte, wenn überhaupt, nur noch mit erheblichem Aufwand und Mehrkosten in die EU exportieren. Diese Situation führt dazu, dass nicht nur der Unternehmensstandort Schweiz geschwächt wird und potenziell viele Arbeitsplätze verloren gehen, sondern es leidet auch der Forschungs- und Innovationsstandort Schweiz darunter. Auf dem Spiel steht ein Umsatz von rund 18 Milliarden Franken.
Auswirkungen auf Schweizer Zertifizierer
Folgen hat diese Entwicklung auch für die Schweizerische Vereinigung für Qualitäts- und Management-Systeme (SQS), dem einzigen Schweizerischen Zertifizierer im Medtech-Bereich. Zertifikate der SQS erleichtern den Marktzugang und sind Garant für Qualität. Sollte das Rahmenabkommen scheitern und keine Übergangslösung erzielt werden, ist es den von der SQS-zertifizierten Unternehmen im Medtech-Bereich ab dem 26. Mai 2021 nicht mehr möglich, ihre Produkte rechtssicher in den EU-Binnenmarkt zu exportieren
Ein Grossteil der Zertifikate, welche die SQS ausstellt, befindet sich im regulierten Bereich. So auch die Zertifikate, welche die SQS im Medtech-Bereich ausstellt. Reguliert bedeutet, dass die SQS als Zertifizierer auf ihre Kompetenz geprüft und beaufsichtigt wird. Im Falle der Zertifikate für Medizinprodukte ist ihre Tätigkeit besonders streng geregelt, da es sich um Produkte handelt, bei denen der Schutz und die Sicherheit der Anwenderinnen und Anwender im Vordergrund steht. Bei Blutdruckmessern, Gelenkprothesen oder Insulinpumpen will der Gesetzgeber sicher gehen, dass die Zertifizierungsstelle ihr Handwerk versteht. Mit einem Zertifikat der SQS kann ein Hersteller von Medizinprodukten das CE-Kennzeichen für seine Produkte erlangen und sie damit in den EU-Raum exportieren.
Wofür steht das CE-Kennzeichen? Bei den Medizinprodukten, wie auch in anderen sensiblen Bereichen, steht das CE-Kennzeichen dafür, dass der Hersteller sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Produkts an die Rechtsvorschriften hält und dies durch Konformitätsbewertungsverfahren nachgewiesen wurde. Dies genügt im EU-Binnenmarkt als Grundlage für die Inverkehrbringung und für einen Handel ohne Einschränkung.
Im Falle der Medizinprodukte gilt noch bis zum 25. Mai dieses Jahres die Medical Device Directive (RL 93/42/EWG). Am 26. Mai wird diese durch eine neue EU-Verordnung abgelöst, die Medical Device Regulation (EU 2017/745), kurz MDR. Ab diesem Tag gelten ausschliesslich die neuen Vorgaben gemäss MDR und die alte Verordnung ist Geschichte.
Innerhalb der EU ist der Wechsel zur neuen Verordnung kein Problem, er geschieht in den EU-Staaten durch automatische Rechtsübernahme. Ausserhalb der EU ist dieser Mechanismus nicht automatisch sichergestellt. Konkret hat die Schweiz die MDR in die schweizerische Gesetzgebung übernommen. In der Schweiz wie in der EU gelten also die gleichen rechtlichen Bestimmungen bezüglich Medizinprodukte. Das allein genügt aber nicht. Damit wir in der Schweiz à jour sind, muss auch das Abkommen über die technischen Handelshemmnisse mit der EU im Bereich Medizinprodukte angepasst werden. Die EU weigert sich aber, für diesen Schritt Hand zu bieten, solange kein Rahmenabkommen geschlossen wurde. Damit bewegt sich die Schweiz ohne eine entsprechende vertragliche Vereinbarung ab dem 26. Mai dieses Jahres ausserhalb des EU-Rahmens.
Das bedeutet, dass die nach dem 26. Mai 2021 durch Schweizer Hersteller im EU-Binnenmarkt inverkehrgebrachten Produkte durch die EU nicht mehr anerkannt werden müssen. Ab dem 26. Mai 2021 wird die Schweiz ohne bilaterale Lösung von der EU zum Drittstaat degradiert und Hersteller von Medizinprodukten müssen die verschärften und kostspieligeren Drittstaat-Anforderungen erfüllen. Unter anderem muss im EU-Raum ein sogenannter Bevollmächtigter installiert werden, welcher für mögliche Produkthaftungsrisiken geradesteht.
Betroffen wären zahlreiche KMU
Für international tätige Grossunternehmen mit Niederlassungen in der EU bietet die Umsetzung der Drittsaat-Anforderungen keine grösseren Probleme; für innovative Start-ups sowie auch für national fokussierte Klein- und Mittelbetriebe stellen die zusätzlichen Anforderungen aber oft nicht überwindbare Hürden dar. Verzicht auf den EU-Markt, Abwanderung in die EU oder gar Geschäftsaufgaben sind Folgen, mit denen sich die Branche ohne zeitnahe politische Lösung auseinandersetzen muss. Zudem ist die Anerkennung von Schweizer MDR-Zertifikaten seitens der EU aufgrund der nach wie vor herrschenden Rechtsunsicherheit in Frage gestellt.
Ohne Rahmenabkommen oder eine anderweitige Lösung verliert der Wirtschafsstandort Schweiz für die Medtech-Branche an Attraktivität. In der Folge wird es zu Abwanderungen der Branche ins benachbarte Ausland kommen, Arbeitsplätze gehen verloren und der Innovationsstandort Schweiz ist grundsätzlich gefährdet. Erste Unternehmen haben die Schweiz bereits verlassen. Der 26. Mai 2021 ist morgen und das Risiko, dass das Rahmenabkommen nicht zustande kommt steigt von Tag zu Tag - entsprechend bedarf es dringlich einer politischen Lösung.
*Lucius Dürr ist Vorstandsmitglied der SGA und der SQS.
Ohne Rahmenabkommen wird die Schweiz ab dem 26. Mai 2021 im Medtech-Bereich zum Drittstaat für die EU. Für die vielen Startups und KMU in dieser Branche hat das schwerwiegende Folgen: Sie können ihre Produkte, wenn überhaupt, nur noch mit erheblichem Aufwand und Mehrkosten in die EU exportieren. Diese Situation führt dazu, dass nicht nur der Unternehmensstandort Schweiz geschwächt wird und potenziell viele Arbeitsplätze verloren gehen, sondern es leidet auch der Forschungs- und Innovationsstandort Schweiz darunter. Auf dem Spiel steht ein Umsatz von rund 18 Milliarden Franken.
Auswirkungen auf Schweizer Zertifizierer
Folgen hat diese Entwicklung auch für die Schweizerische Vereinigung für Qualitäts- und Management-Systeme (SQS), dem einzigen Schweizerischen Zertifizierer im Medtech-Bereich. Zertifikate der SQS erleichtern den Marktzugang und sind Garant für Qualität. Sollte das Rahmenabkommen scheitern und keine Übergangslösung erzielt werden, ist es den von der SQS-zertifizierten Unternehmen im Medtech-Bereich ab dem 26. Mai 2021 nicht mehr möglich, ihre Produkte rechtssicher in den EU-Binnenmarkt zu exportieren
Ein Grossteil der Zertifikate, welche die SQS ausstellt, befindet sich im regulierten Bereich. So auch die Zertifikate, welche die SQS im Medtech-Bereich ausstellt. Reguliert bedeutet, dass die SQS als Zertifizierer auf ihre Kompetenz geprüft und beaufsichtigt wird. Im Falle der Zertifikate für Medizinprodukte ist ihre Tätigkeit besonders streng geregelt, da es sich um Produkte handelt, bei denen der Schutz und die Sicherheit der Anwenderinnen und Anwender im Vordergrund steht. Bei Blutdruckmessern, Gelenkprothesen oder Insulinpumpen will der Gesetzgeber sicher gehen, dass die Zertifizierungsstelle ihr Handwerk versteht. Mit einem Zertifikat der SQS kann ein Hersteller von Medizinprodukten das CE-Kennzeichen für seine Produkte erlangen und sie damit in den EU-Raum exportieren.
Wofür steht das CE-Kennzeichen? Bei den Medizinprodukten, wie auch in anderen sensiblen Bereichen, steht das CE-Kennzeichen dafür, dass der Hersteller sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Produkts an die Rechtsvorschriften hält und dies durch Konformitätsbewertungsverfahren nachgewiesen wurde. Dies genügt im EU-Binnenmarkt als Grundlage für die Inverkehrbringung und für einen Handel ohne Einschränkung.
Im Falle der Medizinprodukte gilt noch bis zum 25. Mai dieses Jahres die Medical Device Directive (RL 93/42/EWG). Am 26. Mai wird diese durch eine neue EU-Verordnung abgelöst, die Medical Device Regulation (EU 2017/745), kurz MDR. Ab diesem Tag gelten ausschliesslich die neuen Vorgaben gemäss MDR und die alte Verordnung ist Geschichte.
Innerhalb der EU ist der Wechsel zur neuen Verordnung kein Problem, er geschieht in den EU-Staaten durch automatische Rechtsübernahme. Ausserhalb der EU ist dieser Mechanismus nicht automatisch sichergestellt. Konkret hat die Schweiz die MDR in die schweizerische Gesetzgebung übernommen. In der Schweiz wie in der EU gelten also die gleichen rechtlichen Bestimmungen bezüglich Medizinprodukte. Das allein genügt aber nicht. Damit wir in der Schweiz à jour sind, muss auch das Abkommen über die technischen Handelshemmnisse mit der EU im Bereich Medizinprodukte angepasst werden. Die EU weigert sich aber, für diesen Schritt Hand zu bieten, solange kein Rahmenabkommen geschlossen wurde. Damit bewegt sich die Schweiz ohne eine entsprechende vertragliche Vereinbarung ab dem 26. Mai dieses Jahres ausserhalb des EU-Rahmens.
Das bedeutet, dass die nach dem 26. Mai 2021 durch Schweizer Hersteller im EU-Binnenmarkt inverkehrgebrachten Produkte durch die EU nicht mehr anerkannt werden müssen. Ab dem 26. Mai 2021 wird die Schweiz ohne bilaterale Lösung von der EU zum Drittstaat degradiert und Hersteller von Medizinprodukten müssen die verschärften und kostspieligeren Drittstaat-Anforderungen erfüllen. Unter anderem muss im EU-Raum ein sogenannter Bevollmächtigter installiert werden, welcher für mögliche Produkthaftungsrisiken geradesteht.
Betroffen wären zahlreiche KMU
Für international tätige Grossunternehmen mit Niederlassungen in der EU bietet die Umsetzung der Drittsaat-Anforderungen keine grösseren Probleme; für innovative Start-ups sowie auch für national fokussierte Klein- und Mittelbetriebe stellen die zusätzlichen Anforderungen aber oft nicht überwindbare Hürden dar. Verzicht auf den EU-Markt, Abwanderung in die EU oder gar Geschäftsaufgaben sind Folgen, mit denen sich die Branche ohne zeitnahe politische Lösung auseinandersetzen muss. Zudem ist die Anerkennung von Schweizer MDR-Zertifikaten seitens der EU aufgrund der nach wie vor herrschenden Rechtsunsicherheit in Frage gestellt.
Ohne Rahmenabkommen oder eine anderweitige Lösung verliert der Wirtschafsstandort Schweiz für die Medtech-Branche an Attraktivität. In der Folge wird es zu Abwanderungen der Branche ins benachbarte Ausland kommen, Arbeitsplätze gehen verloren und der Innovationsstandort Schweiz ist grundsätzlich gefährdet. Erste Unternehmen haben die Schweiz bereits verlassen. Der 26. Mai 2021 ist morgen und das Risiko, dass das Rahmenabkommen nicht zustande kommt steigt von Tag zu Tag - entsprechend bedarf es dringlich einer politischen Lösung.
*Lucius Dürr ist Vorstandsmitglied der SGA und der SQS.
Kolumne
Leichtfertiges Zeuseln der EU-Skeptiker
von Daniel Woker | März 2021
Nachdem sich zuerst wirtschaftsnahe Nein-Komitees zum Institutionellen Abkommen lautstark zu Wort gemeldet haben, gibt nun ein breiteres Bündnis dem Bundesrat Rückhalt für einen Vertragsabschluss mit der EU.
Kolumne
EU: Comeback als Solidargemeinschaft
von Hans-Jürg Fehr | Januar 2021
Die EU war immer eine Marktgemeinschaft. Das war und ist sie sogar in erster Linie. Aber sie war auch mehr: Eine Friedensgemeinschaft, eine Wertegemeinschaft, eine Solidargemeinschaft. Das liess sie in den letzten zehn Jahren oft fast vergessen. Jetzt nicht mehr.
Kolumne
Abschied von alt Bundesrat Flavio Cotti
von Adrian Hadorn | Januar 2021
Gegen Ende letzten Jahres ist nach alt Bundesrat René Felber mit alt Bundesrat Flavio Cotti ein zweiter ehemaliger Aussenminister gestorben, der sich entschieden für eine Annäherung der Schweiz an die EU eingesetzt hatte.