Kolumne

Tag der Aussenpolitik: Die EU, Problem oder Mittel für die Souveränität?

von Christoph Wehrli | Juni 2019
Am „Tag der Aussenpolitik“ wurde im ersten Teil über die Europapolitik diskutiert. Die österreichische Botschafterin Ursula Plassnik referierte über die positiven Erfahrungen Österreichs in der EU. Im Kontrast dazu stand die anschliessende Diskussion über die Mühen der Schweiz, durch ein Rahmenabkommen ihr Verhältnis zur EU zu stabilisieren.

Anderthalb Jahre nachdem das Schweizervolk den Schritt in den Europäischen Wirtschaftsraum abgelehnt hatte, am 12. Juni 1994, entschieden sich die Stimmberechtigten im östlichen Nachbarland mit Zweidrittelmehrheit für den Beitritt zur EU (damals EG). Nach 25 Jahren, in denen sich sehr viel verändert hat, liegen gewiss genug Erfahrungen vor, um Vor- und Nachteile der Mitgliedschaft solide zu beurteilen. In ihrem Vortrag an dem von der SGA-ASPE zusammen mit foraus organisierten „Tag der Aussenpolitik“ im Berner Rathaus erinnerte Ursula Plassnik, Botschafterin Österreichs in der Schweiz, an die damaligen Widerstände von Gewerkschaften, Bauern, Grünen und anderen Gruppen. Heute finden laut Umfragen 80 Prozent der Bevölkerung, eine noch grössere Mehrheit als damals, der Beitritt sei richtig gewesen.

Nicht vor der Türe sitzen
Das wirtschaftliche Wachstum, führte Plassnik aus, war stärker, als es in der vermeintlichen Komfortzone ausserhalb der EU gewesen wäre. Das Land, in dem manches verkrustet war, erlebte einen Liberalisierungsschub oder -schock, etliche Monopole verschwanden. Hinzu kamen Freiheitsgewinne zum Beispiel für Studierende und Touristen. Die Rednerin wies auch auf die Gestaltungsmacht der EU hin, sei es in der Entwicklungszusammenarbeit oder gegenüber internationalen Konzernen. Durch Aufgabe des Insulanertums habe Österreich volle aussenpolitische Handlungsfreiheit erhalten, sagte die frühere Aussenministerin. Überhaupt könne das Land seine Interessen im europäischen Konzert besser wahren als ausserhalb. Gewiss werde gestritten, seien oft Abstriche nötig. Aber man sei nicht vor der Türe, sondern habe Sitz und Stimme, wo (auch) über Österreichs Schicksal entschieden werde. Denn „übrigbleiben wollen wir nicht“.

Flavia Kleiner, Co-Präsidentin der Plattform Schweiz – Europa, plädierte ihrerseits dafür, sich weniger auf eine Selbstbestimmung zu fixieren, bei der die Mehrheit über die Einzelnen bestimme, sondern die Rechte des Individuums, die gerade auch durch das Völkerrecht geschützt würden, ins Zentrum zu rücken. Nationale Souveränität könne nur Mittel zum Zweck sein. Es sei an der Zivilgesellschaft, auf das Interesse an einer Kooperation mit der EU als liberaler Wertegemeinschaft hinzuweisen und dafür eine neue Sprache, neue Bilder und Emotionen zu finden.

Zuversicht zum Rahmenabkommen
In der Paneldiskussion zur EU-Politik der Schweiz befürwortete SP-Nationalrat Eric Nussbaumer, Mitglied des SGA-Vorstands, im Sinn der Mitentscheidung eine „sorgfältige Annäherung“ an die Mitgliedschaft in der Union. Hauptthema war allerdings das Rahmenabkommen für Verträge über den Marktzutritt. Es geht dabei um die Zukunft des Bilateralismus, des wichtigen europapolitischen Kompromisses der Schweiz, wie Cenni Najy, Vizepräsident des Forums Aussenpolitik (foraus), betonte. Monika Rühl, Direktorin von Economiesuisse, sprach von einem Scheidepunkt. Es sei nötig, bald zu einem Abschluss zu gelangen, denn in zwei oder drei Jahren wäre nicht mehr mit den gleichen Konzessionen der EU zu rechnen.

EU-Botschafter Michael Matthiessen, der als Zuhörer anwesend war, bestätigte auf eine Frage: „Jetzt (nach vielen Jahren der Verhandlungen) muss man sich beeilen.“ Ende Oktober trete nicht nur die bisherige Kommission in Brüssel ab; die Union werde sich dann auch mit dem eventuell vertragslosen Brexit zu beschäftigen haben, und es frage sich, ob sie noch Zeit für die Schweiz hätte. Daraus lässt sich indirekt schliessen, dass nicht alle strittigen Fragen sofort (kurz nach dieser Veranstaltung) geklärt werden müssen, sondern dass es genügen könnte, wie Rühl vorschlug, die Themen Unionsbürgerrichtlinie und Beihilfen rasch zu bereinigen. Den Vertragsparteien und den Sozialpartnern bliebe also Zeit über den Sommer hinaus, eine Lösung für den Lohnschutz zu finden. Diese muss europarechtskonform sein, doch im Übrigen könnte die Schweiz eigenständig zusätzliche Massnahmen treffen.

Trotz Kritik sowohl am Vorgehen des Bundesrats im letzten Sommer als auch am Verhalten von Gewerkschafts- und SP-Spitzen ist Nussbaumer zuversichtlich. Najy verwies auf eine allgemeine Konvergenz zwischen EU und der Schweiz im Entsenderecht, d.h. in der Regelung von grenzüberschreitenden Arbeitsleistungen. Die Direktorin von Economiesuisse, die für die Sozialpartnerschaft nicht direkt zuständig ist, hielt fest, dass die Wirtschaft nicht jeden Preis akzeptieren würde, und ermahnte dazu, das Vertragswerk gesamthaft zu betrachten.

Nach Meinung der SGA könnte das Abkommen bereits unterzeichnet werden, wie die Präsidentin, FDP-Nationalrätin Christa Markwalder, bekräftigte. Es sei eine Illusion zu glauben, die EU richte sich einfach nach dem innenpolitischen Zeitplan der Schweiz. Das schliesst ergänzende Klärungen keineswegs aus.