Kolumne
Es wird eng um unsere Autonomie
von Hans-Jürg Fehr
| Januar 2014
Die Schweiz muss mit der EU institutionell ins Reine kommen, besser früher als später. Zu klären ist das politische Verhältnis unter den selbst gewählten Vorgaben des Bilateralismus. Drei Aktionsbereiche erfordern drei klare Lösungen. Viel Spielraum lassen sie uns allerdings nicht:
1. Rechtsanpassung: Die bilateralen Verträge regeln den Zugang der Schweizer Unternehmen zum europäischen Binnenmarkt. Die Marktregeln bestimmen selbstverständlich die Mitgliedstaaten der EU. Jeder einzelne bilaterale Vertrag bedeutet die Überführung von europäischem Recht ins schweizerische, und zwar jenes europäischen Rechts, das zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung gültig war. Da es sich aber dynamisch weiter entwickelt, stellt sich die Frage der späteren Anpassung des schweizerischen Rechts an diese Weiterentwicklungen. Eine in der Logik des Bilateralismus und im Interesse der Schweizer Wirtschaft liegende Antwort kann nur heissen: Die Schweiz übernimmt diese Änderungen, aber nicht automatisch, sondern autonom, das heisst auf dem üblichen Weg unserer Gesetzgebung. Das kommt zwar im Endeffekt auf dasselbe heraus, aber es hält die zum Bilateralismus gehörende Fiktion der Unabhängigkeit aufrecht. Zu dieser Logik des autonomen Nachvollzugs gehört aber auch, dass ihm sämtliche bilateralen Verträge unterstellt sein müssen, nicht nur die zukünftigen. Alles andere brächte das Vertragswerk zunehmend in Schieflage, zum Nachteil der Schweizer Wirtschaft.
2. Rechtsüberwachung und Rechtsauslegung: Die Anwendung von bilateralen Verträgen muss im Staatsgebiet beider Parteien auf ihre korrekte Umsetzung hin überwacht werden. In der EU ist dafür die Kommission zuständig, in der Schweiz der Bundesrat. Auslegungsunterschiede werden im zuständigen Gemischten Ausschuss besprochen und wenn möglich gütlich beigelegt. Dieses Vorgehen sollte beibehalten werden. Nicht beizubehalten ist aber das Vorgehen bei Nicht-Einigung. Bisher blieb der Konflikt einfach ungelöst. Rechtssicherheit erfordert aber Entscheide, nicht Hängepartien. Es braucht wie in jedem nationalen Rechtsstaat eine Gerichtsbarkeit, die Auslegungsdifferenzen abschliessend klärt.
3. Streitbeilegung: Das ist die eigentliche Knacknuss, denn die EU fordert die Unterwerfung unter ihr höchstes Gericht, den EUGH. Das hat die Schweiz schon einmal akzeptiert - beim bilateralen Luftverkehrsabkommen - und sie hat «fremde Richter» auch akzeptiert im Bereich der Menschenrechte (Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg). Beide Male hat es das Stimmvolk beschlossen. Aus dieser Praxis könnte ein Modell abgeleitet werden. In jedem alt en und neuen bilateralen Vertrag wird der EUGH als oberstes Gericht festgeschrieben und durch Volksentscheid festgelegt. Würde das einmal abgelehnt, hätte die EU das Recht auf angemessene Sanktionen.
Die andere Möglichkeit wäre, dass die Schweiz und die EU je an ihrem obersten Gericht als letzte Instanz festhalten und Streitfälle in einem Parallelverfahren dem Bundesgericht und dem EUGH unterbreiten. In Fortführung der bisher gängigen Praxis würde sich das Bundesgericht am EUGH- Urteil orientieren und dieses wenn immer möglich auch übernehmen. Käme es zu unterschiedlichen Urteilen, stünde der EU das Recht zu, das Ausscheren der Schweiz mit angemessenen Sanktionen zu bestrafen.
Beide Lösungen sind konform mit dem Bilateralismus, aber sie führen uns dessen fundamentale Schwäche unbarmherzig vor Augen: Die behauptete Autonomie verkommt bei der verhandelten wie bei der gerichtlich verordneten Rechtsübernahme weitgehend zur Fiktion. Die Furcht vor Sanktionen beschneidet massiv die Entscheidungsfreiheit von Parlament und Stimmvolk. Die behauptete Autonomie kommt dem abgelehnten Automatismus sehr nahe. Sie wird zur nationalen Lebenslüge.
1. Rechtsanpassung: Die bilateralen Verträge regeln den Zugang der Schweizer Unternehmen zum europäischen Binnenmarkt. Die Marktregeln bestimmen selbstverständlich die Mitgliedstaaten der EU. Jeder einzelne bilaterale Vertrag bedeutet die Überführung von europäischem Recht ins schweizerische, und zwar jenes europäischen Rechts, das zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung gültig war. Da es sich aber dynamisch weiter entwickelt, stellt sich die Frage der späteren Anpassung des schweizerischen Rechts an diese Weiterentwicklungen. Eine in der Logik des Bilateralismus und im Interesse der Schweizer Wirtschaft liegende Antwort kann nur heissen: Die Schweiz übernimmt diese Änderungen, aber nicht automatisch, sondern autonom, das heisst auf dem üblichen Weg unserer Gesetzgebung. Das kommt zwar im Endeffekt auf dasselbe heraus, aber es hält die zum Bilateralismus gehörende Fiktion der Unabhängigkeit aufrecht. Zu dieser Logik des autonomen Nachvollzugs gehört aber auch, dass ihm sämtliche bilateralen Verträge unterstellt sein müssen, nicht nur die zukünftigen. Alles andere brächte das Vertragswerk zunehmend in Schieflage, zum Nachteil der Schweizer Wirtschaft.
2. Rechtsüberwachung und Rechtsauslegung: Die Anwendung von bilateralen Verträgen muss im Staatsgebiet beider Parteien auf ihre korrekte Umsetzung hin überwacht werden. In der EU ist dafür die Kommission zuständig, in der Schweiz der Bundesrat. Auslegungsunterschiede werden im zuständigen Gemischten Ausschuss besprochen und wenn möglich gütlich beigelegt. Dieses Vorgehen sollte beibehalten werden. Nicht beizubehalten ist aber das Vorgehen bei Nicht-Einigung. Bisher blieb der Konflikt einfach ungelöst. Rechtssicherheit erfordert aber Entscheide, nicht Hängepartien. Es braucht wie in jedem nationalen Rechtsstaat eine Gerichtsbarkeit, die Auslegungsdifferenzen abschliessend klärt.
3. Streitbeilegung: Das ist die eigentliche Knacknuss, denn die EU fordert die Unterwerfung unter ihr höchstes Gericht, den EUGH. Das hat die Schweiz schon einmal akzeptiert - beim bilateralen Luftverkehrsabkommen - und sie hat «fremde Richter» auch akzeptiert im Bereich der Menschenrechte (Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg). Beide Male hat es das Stimmvolk beschlossen. Aus dieser Praxis könnte ein Modell abgeleitet werden. In jedem alt en und neuen bilateralen Vertrag wird der EUGH als oberstes Gericht festgeschrieben und durch Volksentscheid festgelegt. Würde das einmal abgelehnt, hätte die EU das Recht auf angemessene Sanktionen.
Die andere Möglichkeit wäre, dass die Schweiz und die EU je an ihrem obersten Gericht als letzte Instanz festhalten und Streitfälle in einem Parallelverfahren dem Bundesgericht und dem EUGH unterbreiten. In Fortführung der bisher gängigen Praxis würde sich das Bundesgericht am EUGH- Urteil orientieren und dieses wenn immer möglich auch übernehmen. Käme es zu unterschiedlichen Urteilen, stünde der EU das Recht zu, das Ausscheren der Schweiz mit angemessenen Sanktionen zu bestrafen.
Beide Lösungen sind konform mit dem Bilateralismus, aber sie führen uns dessen fundamentale Schwäche unbarmherzig vor Augen: Die behauptete Autonomie verkommt bei der verhandelten wie bei der gerichtlich verordneten Rechtsübernahme weitgehend zur Fiktion. Die Furcht vor Sanktionen beschneidet massiv die Entscheidungsfreiheit von Parlament und Stimmvolk. Die behauptete Autonomie kommt dem abgelehnten Automatismus sehr nahe. Sie wird zur nationalen Lebenslüge.
Veranstaltungsbericht
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