Kolumne

Richtiger Weg gewählt

von Thomas Cottier | Februar 2015
Professor für Europa- und Wirtschaftsvölkerrrecht, Universität Bern

Die Kontraste könnten nicht stärker sein. Die Nationalbank beschliesst am 15. Januar 2015 ohne öffentlichen Diskurs mit der Aufhebung des Franken-Mindestkurses im Ergebnis eine massive Zollerhöhung von 10-20% für schweizerische Exporte in die EU und zahlreiche Drittländer. Der Entscheid folgt knapp ein Jahr nachdem Volk und Stände am 9. Februar 2014 nach eingehender Debatte die Beschränkung der Personenfreizügigkeit und damit eine massive Importrestriktion für Talente und Arbeitskräfte beschlossen haben. Die Entscheide machen gemeinsam dem Wirtschaftsstandort Schweiz enorm zu schaffen.

Die Verbindung eines starken Frankens mit Einwanderungsbeschränkungen ist ein wesentlicher Unterschied zur letzten Frankenhausse. Sie wird, wenn so umgesetzt, zu Auslagerungen von Arbeitsplätzen führen. Damit werden voraussichtlich ein wirtschaftlicher Abschwung, eine Zuspitzung der Lage in den Randregionen und ein Rückgang von Steuererträgen verbunden sein. Die Schweiz wird den Gürtel enger schnallen müssen. Das führt zu neuen Verteilungskämpfen. Die Streitigkeiten um die Zuteilung künftiger Kontingente lässt Ungutes erahnen.

Der Nationalbankentscheid hat eine gute Seite. Er macht klar, dass es keinen Spielraum mehr gibt für Spielereien, welche die bilateralen Verträge gefährden könnten. Die Einsicht setzt sich durch, dass diese unverzichtbar sind.

Beschränkung auf Drittstaatsangehörige
Der Bundesrat berücksichtigt dies in der Migrationspolitik mit dem am 11. Februar 2015 kommunizierten Vorgehen. Er beschränkt die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative praktisch auf Drittstaatsangehörige, während er die Rechtsstellung der EU/EWR-Bürgerinnen und -Bürger weiterhin dem Staatsvertragsrecht und damit den künftigen, aber unsicheren Verhandlungen anheimstellt. Diese Politik ist zu begrüssen. Sie entspricht der bisherigen Rechtslage und berücksichtigt, dass die Frage der Personenfreizügigkeit nicht im Alleingang, sondern gemeinsam auf übergeordneter Ebene entschieden werden soll. Faktisch ist das nicht anders als für die Kantone im 19. Jahrhundert, die Migrationsfragen innerhalb der Schweiz nicht mehr im Alleingang, sondern im Rahmen der Niederlassungsfreiheit des Bundes regeln mussten.

Es ist auch eine Sache der Fairness, dass darüber nicht im Alleingang entschieden wird. Der Grundsatz No taxation without representation gilt für einen Viertel der Schweizer Wohnbevölkerung nicht. Es ist gerecht, dass die EU die Interessen zumindest der EU- und EWR-Bürger wahrnimmt.

Der eingeschlagene Weg bedeutet freilich auch, dass das Freizügigkeitsabkommen mit grosser Wahrscheinlichkeit unverändert oder nur mit geringen Anpassungen auch nach 2017 in Kraft bleiben wird.

Selbstverständlich muss der Bundesrat seine Forderungen aus innen- und aussenpolitischen Gründen mit Nachdruck vertreten. Er muss die Frage verhandlungstaktisch offen lassen, wie er auf unbefriedigende Verhandlungsergebnisse reagieren wird. Materiell ist indessen davon auszugehen, dass für Inländervorrang und Kontingente kein Platz sein wird. Unwahrscheinlich ist, dass die EU einer Art Plafonierung oder Schutzklausel zustimmen wird. Vielmehr wird sich die Überwachung und die gerichtliche Durchsetzung auf EU-Ebene im Rahmen einer neuen institutionellen Architektur verstärken. Denn die EU moniert seit langem, dass verschiedene Kantone das Freizügigkeitsabkommen ungenügend beachten.

Das Vorgehen des Bundesrates ist verfassungsrechtlich einwandfrei. Art 121a BV ist nicht direkt anwendbar, mit Ausnahme des Verbotes, neue, der Bestimmung widersprechende Verträge abzuschliessen. Die Bundesversammlung hat sich allerdings im Fall des Freihandelsabkommens Schweiz-China nicht daran gehalten und zu Recht eine weiche, die Gesamtinteressen wahrende Auslegung praktiziert.

Der Bundesrat wird der auf einen Verhandlungsauftrag beschränkten Verfassungsbestimmung gerecht. Denn diese kann selbst keine Anpassung der Verträge gewährleisten. Dazu braucht es die Zustimmung der EU. Und eine Kündigung verlangt die Verfassung nicht, sondern vielmehr eine Migrationspolitik, welche die Gesamtinteressen des Landes wahrt. Realpolitisch müssen nicht-diskriminierende Förderungsmassnahmen in Ausbildung, Wiedereingliederung und die längst fällige Aufhebung eines zu starren Pensionierungsalters im Vordergrund stehen.

Reputation steht auf dem Spiel
Andere Optionen bestehen nicht, ohne das Freizügigkeitsabkommen und damit die Bilateralen I zu gefährden. Eine Umsetzung im Widerspruch mit dem Abkommen würde früher oder später zur Aussetzung seitens der EU führen, ohne dass dazu eine Kündigung erforderlich ist. Solche Massnahmen sind nicht auf die Freizügigkeit beschränkt. Sie können auch andere Abkommen betreffen, selbst das Freihandelsabkommen von 1972 und damit verbundene Vereinbarungen. Die Folge wäre eine zusätzliche Rechtsunsicherheit, welche sich negativ auf den Standort und die Reputation der Schweiz als Vertragspartner auswirken würde. Dieser Weg führte die Schweiz in die wirtschaftspolitische Isolation, die sich durch das in Aushandlung stehende Freihandelsabkommen der EU mit den USA noch weiter verstärkte. Der eingeschlagene Weg des Bundesrates verhindert dies.