«Aussenpolitische Aula» in Bern: Kleine Lichtblicke auf dem bilateralen Weg
von Christoph Wehrli
| November 2016
Elmar Brok, EU-Parlamentarier seit 1980, hat an der Universität Bern auf Spielräume bei der Personenfreizügigkeit hingewiesen. Ein Rahmenabkommen Schweiz – EU lasse sich aber nicht mehr lange aufschieben. In der Diskussion sprachen auch die Nationalräte Roger Nordmann und Christian Wasserfallen über den Stand des Bilateralismus.
Den bilateralen Weg der Schweiz mit der EU in ihrer «Aussenpolitischen Aula» auf den Prüfstand zu stellen, hatte die SGA nur allzu gute Gründe. Die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative hat einen zumindest potenziellen Konflikt mit dem Freizügigkeitsabkommen hervorgerufen, und bis in den Bundesrat hinein verbreitet sich die Scheu vor dem Rahmenabkommen über institutionelle Fragen, das die EU zur Bedingung für neue Verträge gemacht hat. Ob der Brexit die Flexibilität der EU vergrössert, ist sehr ungewiss.
Elmar Brok, Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments, konnte an der Veranstaltung weder die Gegebenheiten ändern noch Versprechen abgeben. Doch zeichnete er ein differenziertes Bild, das gewisse Perspektiven offen liess. In erster Linie betonte der CDU-Politiker das grosse Interesse der EU an einer engen Zusammenarbeit mit der Schweiz. Gegenwärtig könne die Union aber nichts tun, was die bevorstehenden Verhandlungen mit Grossbritannien präjudizieren könnte. Unauflösbar ist für sie besonders der Zusammenhang der vier Freiheiten untereinander sowie des Binnenmarkts mit der Beteiligung an den Strukturfonds – diese sollen einen Ausgleich zugunsten der schwachen Regionen schaffen und so der Kohäsion der ganzen Gemeinschaft dienen.
Kein Sozialtourismus
Der deutsche Gastredner stellte aber auch klar, dass Personenfreizügigkeit primär für Erwerbstätige gilt und nicht «Sozialtourismus» bedeutet. Zu dessen Verhinderung lasse das EU-Recht den Mitgliedstaaten manchen Spielraum. So hat Deutschland vor kurzem den Anspruch auf Sozialleistungen in den ersten fünf Aufenthaltsjahren einschränkt. Ob – ein zweites Beispiel – Nichterwerbstätige, wie verlangt, wirklich selber für sich aufkommen können, wird nach Brok in der Praxis zu wenig konsequent geprüft. Ein Einfallstor sei auch die Scheinselbständigkeit.
Für die Schweiz stehen allerdings weniger die Möglichkeiten des Missbrauchs als die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt im Zentrum. Den «Inländervorrang light», an dem die eidgenössischen Räte arbeiten, nannte Brok vorsichtig «eine gute Idee». Ein Einvernehmen mit der EU werde darüber umso leichter zu erreichen sein, je deutlicher es sich bei den vorgesehenen Pflichten und Abläufen um eine Förderung einheimischer Stellensuchender und nicht um einen Ausschluss von Bewerbern aus der EU handle.
Im schweizerischen Parlament wird diese (beschränkte) Umsetzung des Einwanderungsartikels recht breit unterstützt, wie die Stellungnahmen von Christian Wasserfallen (FDP, Bern) und Roger Nordmann (SP, Waadt) bestätigten. Der Liberale räumte ein, dass die obligatorischen Bewerbungsgespräche mit geeigneten Arbeitslosen ein «Bürokratiepotenzial» bergen, während der Chef der sozialdemokratischen Fraktion diese Verschärfung durch die Ständeratskommission ausdrücklich als Verbesserung betrachtet.
SGA für Rahmenabkommen
Wird das Freizügigkeitsabkommen durch die Einwanderungsregelung nicht angetastet, so entfällt aus schweizerischer Sicht eine Verknüpfung dieses Dossiers mit dem Abschluss eines Rahmenabkommens. Elmar Brok betonte demgegenüber, es bestehe ein innerer Zusammenhang; es gehe um Rechtssicherheit und Verlässlichkeit in den Beziehungen. Auf die Frage des Gesprächsleiters Markus Mugglin, ob nicht mit Rücksicht auf innenpolitische Schwierigkeiten ein Aufschub möglich wäre, sagte der EU-Parlamentarier, wenn es beispielsweise um drei Jahre gehen sollte, hätte dies nichts mehr mit Flexibilität zu tun. Eine Paketlösung unter Einschluss neuer Kohäsionsbeiträge würde grundsätzlich Vorteile versprechen.
Wasserfallen wies speziell auf den Widerspruch zwischen automatischer Rechtsübernahme und Referendumsrecht hin und billigte dem – gegenwärtig blockierten – Stromabkommen keinen grossen Nutzen zu. Nordmann hingegen zeigte Verständnis für den Wunsch der EU, favorisierte eine Lösung Schritt für Schritt und hofft auf einen Zeitgewinn infolge des Brexit.
Die Präsidentin der SGA, Gret Haller, wandte sich in ihrem Schlusswort klar dagegen, auf die «Angstmacherei» mit «fremden Richtern» einzusteigen. Die Diskussion über ein Rahmenabkommen könne nicht einfach aufgeschoben werden, und die Befürchtungen seien unbegründet, da bei Streitfällen der letzte Entscheid politisch gefällt werde.
Den bilateralen Weg der Schweiz mit der EU in ihrer «Aussenpolitischen Aula» auf den Prüfstand zu stellen, hatte die SGA nur allzu gute Gründe. Die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative hat einen zumindest potenziellen Konflikt mit dem Freizügigkeitsabkommen hervorgerufen, und bis in den Bundesrat hinein verbreitet sich die Scheu vor dem Rahmenabkommen über institutionelle Fragen, das die EU zur Bedingung für neue Verträge gemacht hat. Ob der Brexit die Flexibilität der EU vergrössert, ist sehr ungewiss.
Elmar Brok, Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments, konnte an der Veranstaltung weder die Gegebenheiten ändern noch Versprechen abgeben. Doch zeichnete er ein differenziertes Bild, das gewisse Perspektiven offen liess. In erster Linie betonte der CDU-Politiker das grosse Interesse der EU an einer engen Zusammenarbeit mit der Schweiz. Gegenwärtig könne die Union aber nichts tun, was die bevorstehenden Verhandlungen mit Grossbritannien präjudizieren könnte. Unauflösbar ist für sie besonders der Zusammenhang der vier Freiheiten untereinander sowie des Binnenmarkts mit der Beteiligung an den Strukturfonds – diese sollen einen Ausgleich zugunsten der schwachen Regionen schaffen und so der Kohäsion der ganzen Gemeinschaft dienen.
Kein Sozialtourismus
Der deutsche Gastredner stellte aber auch klar, dass Personenfreizügigkeit primär für Erwerbstätige gilt und nicht «Sozialtourismus» bedeutet. Zu dessen Verhinderung lasse das EU-Recht den Mitgliedstaaten manchen Spielraum. So hat Deutschland vor kurzem den Anspruch auf Sozialleistungen in den ersten fünf Aufenthaltsjahren einschränkt. Ob – ein zweites Beispiel – Nichterwerbstätige, wie verlangt, wirklich selber für sich aufkommen können, wird nach Brok in der Praxis zu wenig konsequent geprüft. Ein Einfallstor sei auch die Scheinselbständigkeit.
Für die Schweiz stehen allerdings weniger die Möglichkeiten des Missbrauchs als die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt im Zentrum. Den «Inländervorrang light», an dem die eidgenössischen Räte arbeiten, nannte Brok vorsichtig «eine gute Idee». Ein Einvernehmen mit der EU werde darüber umso leichter zu erreichen sein, je deutlicher es sich bei den vorgesehenen Pflichten und Abläufen um eine Förderung einheimischer Stellensuchender und nicht um einen Ausschluss von Bewerbern aus der EU handle.
Im schweizerischen Parlament wird diese (beschränkte) Umsetzung des Einwanderungsartikels recht breit unterstützt, wie die Stellungnahmen von Christian Wasserfallen (FDP, Bern) und Roger Nordmann (SP, Waadt) bestätigten. Der Liberale räumte ein, dass die obligatorischen Bewerbungsgespräche mit geeigneten Arbeitslosen ein «Bürokratiepotenzial» bergen, während der Chef der sozialdemokratischen Fraktion diese Verschärfung durch die Ständeratskommission ausdrücklich als Verbesserung betrachtet.
SGA für Rahmenabkommen
Wird das Freizügigkeitsabkommen durch die Einwanderungsregelung nicht angetastet, so entfällt aus schweizerischer Sicht eine Verknüpfung dieses Dossiers mit dem Abschluss eines Rahmenabkommens. Elmar Brok betonte demgegenüber, es bestehe ein innerer Zusammenhang; es gehe um Rechtssicherheit und Verlässlichkeit in den Beziehungen. Auf die Frage des Gesprächsleiters Markus Mugglin, ob nicht mit Rücksicht auf innenpolitische Schwierigkeiten ein Aufschub möglich wäre, sagte der EU-Parlamentarier, wenn es beispielsweise um drei Jahre gehen sollte, hätte dies nichts mehr mit Flexibilität zu tun. Eine Paketlösung unter Einschluss neuer Kohäsionsbeiträge würde grundsätzlich Vorteile versprechen.
Wasserfallen wies speziell auf den Widerspruch zwischen automatischer Rechtsübernahme und Referendumsrecht hin und billigte dem – gegenwärtig blockierten – Stromabkommen keinen grossen Nutzen zu. Nordmann hingegen zeigte Verständnis für den Wunsch der EU, favorisierte eine Lösung Schritt für Schritt und hofft auf einen Zeitgewinn infolge des Brexit.
Die Präsidentin der SGA, Gret Haller, wandte sich in ihrem Schlusswort klar dagegen, auf die «Angstmacherei» mit «fremden Richtern» einzusteigen. Die Diskussion über ein Rahmenabkommen könne nicht einfach aufgeschoben werden, und die Befürchtungen seien unbegründet, da bei Streitfällen der letzte Entscheid politisch gefällt werde.
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Der EWR ist von gestern, nicht für morgen
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Vor dreissig Jahren wäre der Beitritt der Schweiz zum Europäische Wirtschaftsraum EWR eine gute Lösung gewesen. Das Stimmvolk wollte nicht. In jüngster Zeit wird er von gewissen politischen Kreisen wieder propagiert. Aber heute wäre er eine schlechte Lösung.
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