Veranstaltungsbericht

Autonome Solidarität bei Russland-Sanktionen

von Christoph Wehrli | Oktober 2023
Die Schweiz setzt die Sanktionen der EU gegen Russland nach Kräften um. An einer Veranstaltung der SGA und des Europa Instituts an der Universität Zürich kamen aber auch Schwächen zur Sprache, die politisch in der Sorge oder Angst um die Autonomie gründen dürften.

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 hat sich der Bundesrat nach kurzem Zögern den wirtschaftlichen Sanktionen der Europäischen Union gegenden Friedensbrecher angeschlossen. Auch die folgenden Pakete von Zwangsmassnahmen wurden unverändert nachvollzogen. Zweifel an der konkreten Durchsetzung fanden im vergangenen April Ausdruck in einer Intervention seitens der G-7. Die Botschafter der grossen westlichenWirtschaftsmächte einschliesslich der EU legten der Schweiz «weitere Schritte» nahe, besonders die Beteiligung an der G-7-Taskforce REPO (Russian Elites, Proxies, and Oligarchs). Letzteres lehnte der Bundesrat in seiner Antwort ab. In einer Aussenpolitischen Aula in Zürich, die vom SGA-Präsidenten, Nationalrat Roland Fischer, eingeleitet und von Markus Mugglin, SGA-Vorstandsmitglied, moderiert wurde, äusserten sich nun vier Akteure von unterschiedlichen Positionen aus zu dem Verdacht mangelhafter Solidarität, unter dem die offizielle Schweiz einmal mehr extern wie intern zu stehen scheint.

Kritik und Wille zur Kooperation

Michael Flügger, deutscher Botschafter in Bern, war klar bemüht, das Ungewöhnliche des kollektiven Vorstosses vom Frühjahr herunterzuspielen. Der Eindruck einer Konfrontation sei den Medien zuzuschreiben, für die der Brief der G-7 nicht bestimmt gewesen sei (an die er aber bald gelangte). Es gehe vielmehr um Kooperation und Koordination bei der möglichst wirksamen Umsetzung der Sanktionen, die Russland die Ressourcen für die Kriegführung entziehen sollen. Die Bedeutung der Zusammenarbeit mit der Schweiz ergibt sich aus deren Stellung als Finanzplatz, Rohstoff-Handelsplatz und Technologiestandort sowie als «Handels- und Wertepartner»der EU.

Der Dialog sei in den letzten Monaten vertieft worden, sagte Flügger und flocht ein, dass von der Schweiz auch gelernt werden könne. Nichtsdestoweniger wiederholte er die Fragen der G-7, ob nicht noch mehr Vermögen sanktionierter Russen gesperrt werden könnten und ob es das schweizerische Recht nicht erleichtere, die wirtschaftlich Berechtigten von Unternehmen zu verschleiern. Mit den Mitgliedern der REPO-Taskforce bei den geheimen Beratungen am Tisch zu sitzen, wäre besser als eine (nachträgliche) Kooperation von Fall zu Fall. Was die Information aus Brüssel betrifft, bemerkte Flügger in der Diskussion, man habe in Bern schon vor dem russischen Überfall von den Absichten der EU gewusst.

Interesse an einem freien Entscheid

Auch Simon Plüss, Leiter des Seco-Bereichs Exportkontrollen und Sanktionen, wandte sich gegen den Eindruck eines Schlagabtauschs. Er betonte, wie rasch das Staatssekretariat für Wirtschaft die Sanktionsbeschlüsse der EU umgesetzt habe, und gab einen Überblick über die umfangreichen Vorschriften und Verbote. Zu den Durchsetzungsinstrumenten gehören auch Kontrollen vor Ort bei Finanzintermediären sowie die internationale Amts- und Rechtshilfe. Grenzen setzt in der Praxis namentlich die personelle Kapazität der zuständigen Verwaltungseinheit, auch nach einer Aufstockung auf 17 Stellen, von denen zwei Drittel für den Vollzug der Russland-Sanktionen eingesetzt werden.

Was die Beteiligung an der Taskforce der G-7 betrifft, gab Plüss die offizielle Position wieder, wie sie Bundesrat Guy Parmelin ähnlich gegenüber einer Zeitung dargelegt hatte – mit Vorsicht und unter dem Vorbehalt einer Neubeurteilung, falls Finanzplätze wie zum Beispiel Singapur beitreten sollten. Die G-7, wird argumentiert, sei ein politisches Gremium mit Interessen, die sich nicht unbedingt mit denen der Schweiz deckten. Einem neutralen Land sei an einer gewissen Zurückhaltung gelegen. Es sei von Vorteil, über einzelne Massnahmen selber entscheiden zu können. Ausserdem könnte die Beteiligung, statt als Befreiungsschlag zu wirken, ihrerseits Druck, etwa zur Übernahme von Sanktionen der USA, auslösen. Die Zusammenarbeit soll aber intensiviert werden; Ziel ist speziell ein Informationsaustausch über komplexe Trusts und grenzüberschreitende Unternehmensstrukturen.

Symbolisch-politische Dimensionen

Nationalrätin Franziska Ryser (Grüne, St. Gallen) hatte im Mai vor einem Jahr eine Motion für einen Beitritt zur G-7-Taskforce eingereicht. Wie sie in Zürich ausführte, sieht sie das Problem nicht zuletzt in der Wahrnehmung der Schweiz beziehungsweise in deren eigenem Auftritt. Der Bundesrat wecke den Eindruck, zu zögern, er habe die Beteiligung viele Monate lang «geprüft» und hebe stets den technischen Charakter der Zusammenarbeit hervor. Auch der Nationalrat habe, als er im September über die Motion aus dem Vorjahr entscheiden sollte, mit der Überweisung an eine Kommission eher wahltaktisch als sachlich begründet entschieden. Ryser fehlt ein «Bekenntnis». Für sie wäre der Beitritt im Zuge der Kooperation ein konsequenter, symbolisch wichtiger Schritt, der auf weitere Sicht dem Ansehen der Schweiz zugutekäme.

Für Nationalrat Hans-Peter Portmann (FDP, Zürich) ist demgegenüber der Mehrwert einer Mitwirkung im REPO-Gremium nicht erwiesen. Vielmehr bestehe das Risiko, sich Beschlüssen unterziehen zu müssen, die in den Kompetenzbereich des Parlaments gehörten – dieses habe in der Schweiz mehr zu sagen als in anderen Staaten. Dass die USA und die EU «natürlich» Druck ausgeübt hätten, bezeichnete Portmann als unanständig. Die Kritiker sähen den Splitter im Auge der Schweiz und nicht den Balken im eigenen, sagte der beruflich als Bankdirektor tätige Politiker und wies darauf hin, dass die Schweiz etwa bezüglich Umgehungsgeschäften weit besser dastehe als wichtige Mitglieder der EU. Er betonte auch, dass die wirtschaftlich Berechtigten von Firmen durchaus bekannt seien – eine doch etwas kühne These angesichts der umfangreichen Vernehmlassungsvorlage für ein «Bundesgesetz über die Transparenz juristischer Personen und die Identifikation der wirtschaftlich berechtigen Personen».

Hier können Sie die Aufzeichnung der Veranstaltung ansehen