Wochenrückblick

Schweiz im Sicherheitsrat KW 17/2024

von Johann Aeschlimann | April 2024
Schutz des humanitären Personals: Die Genfer Konventionen stellen die humanitären Helfer in Konflikten unter besonderen Schutz. Vor zehn  Jahren hat der Rat diese Verpflichtungen namentlich in Bezug auf das UNO-Personal bekräftigt. Aber die werden in immer grösserem Stil missachtet. In Mali, Sudan, Kongo und Gaza werden humanitäre Hilfsoperationen zum Teil gezielt angegriffen und verunmöglicht. Die Schweiz unternimmt nun einen Anlauf, dieser Erosion des humanitären Völkerrechts zu begegnen. Sie hat einen Resolutionsentwurf vorgelegt, über den sie zurzeit verhandelt. Er schliesst über die UNO-Angehörigen hinaus auch den Schutz des «nationalen und lokal rekrutierten Personals» ein, wie der Schweizer Vertreter in einer Debatte erklärte. Die Schweiz kann sich auf Vorarbeiten von Brasilien stützen, das bis 2023 im Rat war und gemeinsam mit der Schweiz das humanitäre Dossier “Syrien” federführend betreut hat.

Weltraum: Die Besetzung des Weltraums als Kriegsschauplatz ist in Sichtweite und wird im Rat zum politischen Zankapfel. Eine von den USA und Japan vorgelegte Resolution, welche die Stationierung und Anwendung von Massenvernichtungswaffen im All verboten hätte, wurde von Russland mit dem Veto belegt. Die Schweiz stimmte zu, China enthielt sich. Ein von Russland und China vorgelegter Zusatz, der das Verbot auf alle Waffenarten, auch die konventionellen, ausgedehnt hätte, erhielt keine Mehrheit. 7 Mitglieder stimmten dafür, 7 dagegen, die Schweiz enthielt sich der Stimme. Nach der Abstimmung erklärte die Schweiz, sie sei für ein «rechtlich bindendes» Verbot von Waffen im Weltraum, «eingeschlossen die konventionellen». Warum sie sich in der Abstimmung über den russisch-chinesischen Zusatz enthielt, erläuterte sie nicht.

Kosovo: Der von der Europäischen Union geführte Vermittlungsprozess sei der aussichtsreichste Weg, die schwelenden Spannungen zwischen der Regierung in Pristina und der serbischen Minderheit zu bewältigen, erklärte die Chefin der UNO-Mission UNMIK. Wie die grosse Mehrzahl der Ratsmitglieder – darunter die Schweiz – forderte sie beide Parteien auf, sich in diesem Dialog zu engagieren, bestehende Abmachungen zu honorieren und ausstehende Streitpunkte – so über die Ausschaltung des serbischen Dinars als Zahlungsmittel - beizulegen. Die Kontrahenten zeigten wenig Bereitschaft zum Kompromiss. Kosovo erklärte, die serbische Minderheit geniesse «beispiellose» Privilegien. Serbien sprach vom «sogenannten Kosovo».

Haiti: Das erste Vierteljahr 2024 war «für Haitianer das tödlichste» und «die schlimmsten Szenarien werden Realität». Das erklärte die Chefin der UNO-Mission BINUH dem Rat. Das Land bleibt im Griff krimineller Banden (gangs), die sich teilweise bekämpfen, aber mehr und mehr auch zusammenarbeiten. Eine vom Sicherheitsrat autorisierte «multinationale Sicherheitsunterstützungsmission» besteht seit Monaten nur auf dem Papier, weil kein Geld da ist, um die anvisierten Polizeikräfte zu bezahlen und die Führungsnation Kenia erst vor kurzem ein entsprechendes Abkommen mit Haiti unterzeichnet hat. Dort ist erst in der Berichtswoche ein «Vorläufiger Präsidialrat» etabliert worden, der – vielleicht – den lahmgelegten politischen Betrieb wieder in Gang bringen soll.

Grosse Seen: Die Kämpfe zwischen der von Rwanda unterstützten M23-Bewegung und der Regierungsarmee im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRC – Democratic Republic oft the Congo) intensivieren sich, und Spannungen zwischen Rwanda und dem Nachbarland Burundi gefährden die Umsetzung eines seit zehn Jahren bestehenden «Stabilisierungsrahmens» für die Region weiter. UNO-Spezialorganisationen schilderten die grosse humanitäre Not und den weit verbreiteten Einsatz von sexueller Gewalt durch bewaffnete Gruppen. «Für eine Frau oder ein Mädchen ist der Osten der DRC heute einer der gefährlichsten Orte der Welt», sagt die Vertreterin des UNO-Nothilfebüros. Die Blauhelmtruppe MONUSCO gewährleiste «zu einem gewissen Grad» Schutz, aber deren für Ende Jahr vereinbarte Abzug sorge für Beunruhigung.   Die anschliessende Debatte war von Appellen zur «De-Eskalation» geprägt. Der MONUSCO-Abzug aus DRC blieb weitgehend aussen vor. Die Schweiz konzentrierte sich auf den stärkeren Einbezug von Frauen in den Friedensprozess: les femmes doivent être en première ligne dans tous les processus politiques. Mit zehn anderen Ratsmitgliedern unterstrich sie die Forderung im Anschluss mit einer gemeinsamen Erklärung vor dem UNO-Mikrophon.

Sexuelle Gewalt: Jedes Jahr berichtet das UNO-Sekretariat über «konfliktbezogene sexuelle Gewalt» in 21 Konfliktsituationen. Bei der Präsentation des Berichts erklärte die UNO-Sondergesandte, die Anzahl verifizierter Fälle (3888) sei im vergangenen Jahr um fünfzig Prozent gestiegen, und die Tötung von Überlebenden («Anwendung tödlicher Gewalt, um Überlebende zum Schweigen zu bringen») sei so häufig wie nie. Die meisten Täter blieben ungestraft. Die grosse Mehrzahl der Delikte werde unter Einsatz von Waffen begangen. Aus diesem Grund müssten die Bestimmungen zum Waffenhandel verschärft werden. Die Schweiz stimmte zu. Sie stellte das Thema in den Rahmen von «Frieden, Frauen, Sicherheit» - die UNO-Resolution 1325 zum Zusammenhang zwischen Gewaltvermeidung und weiblicher Teilnahme an politischen Prozessen – und lieferte so eine konzise Kurzfassung des Konzepts «feministische Aussenpolitik».

Gaza: Die «Höhere Koordinatorin» für Humanitäres und Wiederaufbau der UNO hat dem Rat berichtet, was andere UNO-Vertreter seit Wochen sagen: Gaza ist am Verhungern, ein israelischer Angriff auf das südlichste Grenzgebiet Rafah wäre verheerend, die Nothilfe tröpfelt nur ungenügend, Israel als Besatzungsmacht muss Hand zu mehr Lieferungen bieten. Alle Ratsmitglieder stimmten mit ein. Die Schweiz forderte Israel auf, «endlich die bindenden Resolutionen umzusetzen», die der Rat seit den Hamas-Terroranschlägen vom 7. Oktober («die die Schweiz deutlich verurteilt») verhängt hat. Das gelte ebenfalls für die Anordnung des Internationalen Gerichtshofs, wonach Israel in Zusammenarbeit mit der UNO alles Nötige zur Versorgung der Zivilbevölkerung unternehmen muss.

Syrien: Der UNO-Sondergesandte erklärte, Syrien sei für ausländische Mächte das «freie Spielfeld, um Rechnungen zu begleichen». Diplomatisches Stückwerk führe zu keinem Ziel, um die 13jährige Dauerkrise zu beenden. Er forderte einen ganzheitlicher Ansatz, der die humanitären, politischen, ökonomischen und sicherheitsbezogenen Aspekte verbinde. Das betrifft die Schweiz. Sie ist im Rat für das humanitäre Syrien-Dossier zuständig. Über 16 Millionen Personen sind in Not, namentlich auch im Norden des Landes  ausserhalb der Kontrolle der Regierung in Damaskus. Zahlreiche  Ratsmitglieder forderten wie die Schweiz die verlässliche Offenhaltung der türkisch-syrischen Grenzübergänge für humanitäre Lieferungen. Die Schweiz warnte vor einem weiteren Ausgreifen des israelisch-palästinensischen Kriegs auf die gesamte Region und  appellierte an die Bereitschaft zu einer Waffenruhe in den inner-syrischen Konflikten. Zu deren Bewältigung sei die Aufklärung der Verantwortlichkeiten für Kriegsverbrechen «conditio sine qua non». Die Schweiz  brachte Genf ins Spiel, wo vor kurzem «eine neue unabhängige Institution für verschwundene Personen» geschaffen worden sei. Genf war der Ort von inner-syrischen Verhandlungen unter Vermittlung der UNO, aber seit dem russischen Überfall auf die Ukraine (und der russischen Kritik an der Schweizer Haltung) weigert die Regierung in Damaskus sich, in Genf weiter zu verhandeln. Der UNO-Sondergesandte forderte zur Wiederaufnahme der Gespräche in Genf auf, erklärte sich offen für einen anderen Verhandlungsort.

Nord Stream: Auf russischen Antrag hat der Rat sich ein weiteres Mal zu den Ermittlungen über die Sabotage der russisch-deutschen Gaspipeline Nord Stream II unterrichten lassen. Der Vertreter des politischen Sekretariats der UNO erklärte, er verfüge nur über die öffentlich zugänglichen Informationen. Der Vertreter des UNO-Büros für Terrorismusbekämpfung sagte, dieses habe kein Mandat, eine Untersuchung zu führen. Auf nationaler Ebene haben Schweden und Dänemark ihre Untersuchungen mit dem Ergebnis abgeschlossen, keine Täterschaft zu finden. Deutschland ist noch am Ermitteln. Russland verlangte mehrfach die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission, drang aber nicht durch. Die Schweiz erklärte, sie warte die Ergebnisse aus Deutschland ab. Sie teilte mit, eine russische Anfrage “im Zusammenhang” mit den Konventionen gegen Terror-Attentate und Terror-Finanzierung werde geprüft.

 

 
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