Meinungsbeitrag

Cluster Bombs

von Johann Aeschlimann | July 2023
Wo das Kriegsrecht (“humanitäres Völkerrecht”) verletzt wird, erhebt die Schweiz ihre Stimme, mutig und ohne Rücksicht auf Verluste. Wo die Menschenrechte verletzt werden, schweigt sie nicht, ausser ein Fall sei lange verjährt oder zu viel Lippe gefährde den courant normal der Geschäfte.

Vorliegt nun die Ankündigung der USA, der Ukraine cluster bombs («Streumunition») zur Verfügung zu stellen, um sich gegen die Russen zu wehren, die ihrerseits mit dem Einsatz derselben Geschosse drohen (und sie laut zuverässigen Berichten längst eingesetzt haben). Die dürfen das, weil sie der Konvention nicht beigetreten sind, welche den Besitz und den Einsatz derartiger Munition verbietet. Aber 111 Staaten haben ratifiziert.  halten sich an die Vereinbarung, die allgemeinen und bindenden Charakter hat. Eine gute Sache. «Streumunition» sind Geschosse, die im Ziel in eine grosse Zahl kleiner Bömblein (bomblets) zerplatzen und  «bei einer Ansammlung gegnerischer Truppen auf einer grösseren Fläche und wenn das Ziel nicht genau genug ermittelt werden kann, um es mit Präzisionsmunition zu treffen» («Neue Zürcher Zeitung») die gegnerischen Soldaten effizienter töten können als das Schrapnell herkömmlicher Granaten. Der Effekt ist ähnlich wie Giftgas, mit dem Unterschied, dass Giftgas, wenn einmal verpufft, keine nachhaltigeren Schäden anrichtet. Im Gegensatz zu den Blindgängern der Streumunition, die lange nach dem Beschuss treffen, wer das Gelände betritt. Spielende Kinder oder pflügende Bauern zum Beispiel. Für die Unterzeichner ist diese Art von Kriegführung deshalb verboten.

Die Schweiz gehörte – gute Sache – zu den treibenden Kräften hinter der Konvention. Eine EDA-Diplomatin «fazilitierte» die Verhandlungen, die 2008 in Dublin geführt wurden. Das Militär war damals nicht erbaut, da man erst in den neunziger Jahren Streugeschosse für die Artillerie im Wert von einer halben Milliarde Franken beschafft hatte. Im Parlament war das Verbot umstritten. Im Ständerat warnte der Beinahe-Bundesrat Bruno Frick, damit sei «die Artillerie praktisch kastriert». Im Nationalrat beantragte die sicherheitspolitische Kommission, die Konvention nicht zu ratifizieren. Es wurden rüstungstechnische Haare gespalten, die im heutigen Fall – mit dem Einsatz der geächteten Geschosse in der ukrainischen Offensive – keine Rolle mehr spielen. «Clustermunition eignet sich nicht für den Offensivkampf, wie er von jeder regulären Armee verstanden wird», erklärte der Militärexperte Roland Borer. Die Kommission unterlag, der Nationalrat stimmte der Ratifikation mit 146 zu 26 Stimmen zu.

Die Schweiz hat ihre Streumunition vernichtet. In ihren Verlautbarungen bezeichnet sie deren Einsatz als Kriegsverbrechen. Im April 2022 forderte das Aussenministerium die Aufklärung und Aburteilung russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine und schrieb dazu: «Gezielte und unterschiedslose Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Objekte sind verboten. Zu den unterschiedslosen Angriffen gehört zum Beispiel der Einsatz von Streumunition und anderer explosiver Munition in bewohnten Ortschaften, denn deren Auswirkungen sind in dieser Umgebung unkontrollierbar und können nicht gegen ein begrenztes militärisches Ziel gerichtet werden.»

Umgekehrt ist aber nicht gefahren. Der Einsatz amerikanischer cluster bombs zur Unterstützung der laufenden ukrainischen Offensive ist der Schweiz kein Wort wert. Keine «Presseerklärung», kein Tweet, kein Pieps, nichts. Anders als beispielsweise der Verteidigungsminister des NATO-Landes Spanien, der sich gegen den amerikanischen Schritt aussprach, hat sich kein Bundesrat verlauten lassen. Musste er auch nicht, da er nicht gefragt wurde. Man hält still – vielleicht, weil man es mit Konvention und Verbot im vorliegenden Fall nicht so genau nehmen, oder vielleicht, weil man sich gerade an die NATO schmiegen möchte und den guten Willen des Patenonkels in den USA zu brauchen glaubt. Aber Aussenpolitik ist Innenpolitik, wie Ignazio Cassis zu sagen pflegt . Und Innenpolitik ist in der direkten Demokratie Sache des Volks. Und das Volk ist nicht dumm. Es sieht  Widersprüche zwischen multilateral gepredigtem Hochamt und bilateral praktizierter Hasenfüssigkeit. Schweigen ist in diesem Fall nicht Gold, sondern Wasser auf die Mühle derjenigen, die in der Politik, Aussen- wie Innen-, nur Opportunismus und Volksveräppelung sehen.

Es muss kein Tweet sein und kein Communiqué. Nicht einmal eine 1.August-Rede. In der Generalversammlung und im Sicherheitsrat der UNO geht es dieser Tage um die Ukraine: Beste Gelegenheit für die Schweiz, zum Thema Streumunition ein paar Worte tacheles zu reden.