Kolumne

Die EU, Macron, «soft Brexit» und die Schweiz

von Daniel Woker | Juni 2017
Die Wahlresultate in Grossbritannien und in Frankreich zeigen, dass eine Mehrheit «Europa» will. Um Sicherheit und Wohlstand zu garantieren auch mehr Europa. Das gilt auch in den Verhandlungen für den Brexit und mit der Schweiz.

Links- und vor allem Rechtsextreme, beide mit der ihnen eigenen populistisch-nationalistischen Giftbrühe sind in Frankreich vom Europäer Macron vernichtend geschlagen worden.  Die EU, getrieben von der traditionellen Achse Berlin-Paris rollt damit wieder in Richtung europäische Verteidigungsmacht, um ihre Grenzen im Süden gegen unkontrollierte Armutsemigration aus Afrika und im Osten gegen den aggressiven Zaren in Moskau besser zu schützen. Und in Richtung Fiskalunion, um das Wirtschaftsgefälle vom Norden und Westen zum Süden und Osten des Kontinentes auszugleichen sowie dem Krebsübel Korruption  -  die Mafia in Italien, Geld und Macht im regierenden  Klan in Osteuropa, die Finanzindustrie als Selbstbedienungsladen für Privilegierte  in Italien, Spanien und Südosteuropa  -   übernational entgegen zu treten.

Das Wahlresultat in England hat Grossbritannien in seinen eben begonnenen Austrittsverhandlungen der Option «no deal is better than a bad deal» beraubt. Premierministerin May wird einen «hard Brexit» nicht durchs Parlament bringen, da sie dort über keine entsprechende Mehrheit verfügt und eine  Volksmehrheit - ganz abgesehen von den Wirtschaftsverbänden und der Londoner Finanzindustrie  -  für den Verbleib innerhalb  eines Hauptpfeilers  europäischer Zusammenarbeit eintritt: den Binnenmarkt.

Mit diesem untrennbar verknüpft sind aber auch die Binnenwanderung von Arbeitskräften und eine übergeordnete Rechtsinstanz, der Europäische Gerichtshof EuGH. Beide zu respektieren ist für Grossbritannien unumgänglich. Dass dies die englischen Unterhändler bereits begriffen haben, zeigt ihre Akzeptanz des von Brüssel vorgegebenen Verhandlungsablaufs. Zuerst müssen die volle Freizügigkeit der bereits im UK lebenden EU Bürger geregelt sowie die vollen Austrittskosten aus dem Binnenmarkt von rund 100 Mia. Euro von London anerkannt werden. Weil dabei europäisches Recht zur Diskussion steht, ist die Zuständigkeit des EuGH gegeben.

Letzterer wird auch bei allfällig folgenden Verhandlungen über den London vorschwebenden «grossen Freihandelsvertrag» als Schiedsinstanz unumgänglich sein. Wenn es wirklich zu einem solchen Vertrag kommt. Und die nüchtern urteilenden Briten aus wirtschaftlichen, unionspolitischen (Schottland, Nordirland) und verteidigungspolitischen - Gründen  nicht doch noch zum Schluss gelangen, dass ein wirklicher Brexit nur Verlierer zurücklässt. Vor allem und in einschneidender Schärfe Grossbritannien, welches zu Kleinengland schrumpfen könnte.

Damit würde offensichtlich, was der knappe britische Referendumsentscheid im Juni 2016 war: ein direktdemokratischer Fehler, welcher nur Verlierer zurücklässt und im Landesinteresse korrigiert werden sollte.  Entweder durch Neuentscheid oder durch einen Vollzug, der die offensichtlichsten Nachteile vermeidet.

So wie etwa in der Schweiz nach der Abstimmung über die sogenannte «Masseneinwanderungsinitiative», die – wie sich zeigte -die bilateralen Abkommen in Frage stellte. Diese sind aber für den Wohlstand der Schweiz grundlegend und unumgänglich, was eine klare Mehrheit des Volkes verschiedentlich festgestellt hat. Sie zu erhalten, und damit den Verbleib der Schweiz im Binnenmarkt zu sichern ist seit Jahren das Hauptbemühen offizieller schweizerischer Europapolitik. Zurecht, wie auch alle verantwortungsbewussten politischen Parteien dieses Landes meinen.

Bei aller Verschiedenheit in politischer und historischer Hinsicht zwischen Grossbritannien und der Schweiz, frappiert doch die Ähnlichkeit der gegenwärtigen europapolitischen Herausforderung an beide Länder: Der Verbleib im Binnenmarkt ist im Landesintresse der Variante «no deal» absolut vorzuziehen.

Dies gilt auch für die Schiedsgerichtsbarkeit im Binnenmarkt. Da dabei europäisches Recht zur Anwendung gelangt, kann die EU gar nicht anders als auf der Rolle des EuGH zu bestehen. Je rascher und je klarer dies Regierung und Parteien der schweizerischen Öffentlichkeit darlegen, je besser. Sich auf historische Schlagwörter von «fremden Richtern» - oder ähnliche Aussagen, welche der dieses Jahr gefeierte Bruder Klaus gar nie gemacht hat - zurückzuziehen, leistet lediglich einem erneuten Stillstand in der schweizerischen Europapolitk Vorschub.  Und damit auch gefährlicher Unsicherheit für Exportwirtschaft, Wirtschaftsstandort und Hochschulen der Schweiz.

Dr. Daniel Woker, ehemaliger Botschafter und Lehrbeauftragter der Universität St. Gallen.