Kolumne

Gesundheitssystem braucht institutionelle Einbindung

von Thomas Hafen | Januar 2019
Das Statement des SVP-Parteipräsidenten Albert Rösti «Entweder sind wir souverän oder wir übernehmen dynamisch EU-Recht – beides geht nicht» ist ein Rohrkrepierer. Das zeigt sich am Beispiel der Medizinal- und in-vitro Diagnostikprodukte.

Die EU hat neue Bestimmungen zur Zulassung von Medizinalprodukten und von in-vitro Diagnostika erlassen. Die Medizinaltechnik wird neu in der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte (MDR) geregelt, die in-vitro Diagnostik in der Verordnung (EU) 2017/746 über In-vitro Diagnostika (IVDR). Die neuen Bestimmungen wurden im Mai 2017 verabschiedet, sind aber noch nicht in Kraft. Sie ersetzen im Mai 2020 (MDR) respektive im Mai 2022 (IVDR) die aktuell geltenden Richtlinien über Medizinprodukte 93/42/EWG (MDD) respektive über In-vitro-Diagnostika 98/79/EG (IVDD).

Während Richtlinien von den Mitgliedsländern umgesetzt werden, treten EU-Verordnungen direkt in Kraft und werden automatisch Bestandteil der nationalen Rechtsordnungen. Für die Schweiz greift das Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA), das als eines der sieben bilateralen Abkommen (Bilaterale I) am 1. Juni 2002 in Kraft trat. Da die Schweiz nicht Mitglied der EU ist, sind die neuen Verordnungen im Gegensatz zu den EU Staaten nicht direkt anwendbar. Sie müssen in Schweizer Recht überführt werden.

Das MRA, oft auch als Vertrag über technische Handelshemmnisse bezeichnet, ist eines der wichtigen Abkommen aus dem Paket der Bilateralen I. Gemäss seco deckt das Abkommen wertmässig mehr als einen Viertel aller Exporte der Schweiz in die EU und mehr als einen Drittel aller Warenimporte aus der EU ab. Es betrifft all jene Produkte, die mit einer «CE Markierung» versehen sind. Produkte mit einer «CE Markierung» signalisieren, dass sie einheitlichen Normen folgen, die im ganzen EU-Binnenmarkt gelten. Damit wird beispielsweise sichergestellt, dass ein im EU-Binnenmarkt gekaufter Kühlschrank in eine Einbauküche passt. Dank einheitlicher Normen wird vermieden, dass wir wie bei den Steckdosen je nach Land Adapter mitführen müssen.

Übernahme von EU-Bestimmungen öffnet Marktzugang
Schweizer Firmen in der Medizinaltechnik oder in der in-vitro-Diagnostik müssen die Bestimmungen der neuen EU-Verordnungen erfüllen, wenn sie ihre Produkte weiterhin in die EU verkaufen möchten. Das gilt auch ohne Rahmenabkommen und ohne bilaterale Vereinbarung über technische Handelshemmnisse. Es ist der Preis für den Zugang zu einem potenten Markt mit über 400 Mio. potentiellen Kunden.

Mit den Verordnungen gleicht die EU die Bestimmungen den Zulassungsbestimmungen in anderen führenden Gesundheitsmärkten wie den USA oder Japan an. Auslöser war ein Skandal um mangelhaft fabrizierte Brustimplantate in Frankreich, aber auch die bisher vergleichsweise lockere Zulassungspolitik für solche Produkte in der EU. Also kein Grund zum EU-Bashing.

Die Auflagen sind allerdings happig: Alle Produkte, selbst wenn sie seit Jahren erfolgreich im Markt verwendet werden, müssen neu registriert werden. Dafür müssen technische Dokumentationen und klinische Validierungen erarbeitet werden, die dem neusten Stand der Wissenschaft und Technik entsprechen. Für die Zulassung kommen nicht staatliche Strukturen zum Zug, sondern von den Behörden ernannte private Träger, sogenannte «benannte Stellen».

In der Schweiz bietet keine Firma die Dienstleistungen einer «benannten Stelle» an, zumindest nicht für in-vitro Diagnostika. Alle Schweizer Diagnostik-Firmen müssen mit ausländischen «benannten Stellen» arbeiten und ihre Produkte von deutschen, französischen oder holländischen Experten beurteilen lassen. Dazu zählen auch Inspektionen und Audits in der Schweiz.

Der EU-Binnenmarkt ist unser Heimmarkt
Die Ausgangslage ist damit genau umgekehrt wie von Souveränitätsfetischisten präsentiert: Denn kaum eine Schweizer Firma in der Medizinaltechnik oder in der in-vitro Diagnostik wird es sich erlauben können, den europäischen Markt aussen vor zu lassen. Der Europäische Binnenmarkt ist im heutigen globalisierten Wettbewerb der natürliche Heimmarkt. Es ist eine naive Vorstellung, dass ein innovatives Produkt aus dem Life Science Bereich nur für den Schweizer Markt entwickelt werden könnte. Also werden die Schweizer Firmen ihre Produkte mit Unterstützung von ausländischen benannten Stellen für den Europäischen Markt positionieren und registrieren müssen.

Der bilaterale Weg mit dem seit 2002 geltenden Vertrag über technische Handelshemmnisse, ergänzt durch ein Rahmenabkommen, das die von Zeit zu Zeit notwendige Anpassung der Gesetzgebung institutionell nachvollzieht, schafft für die Wirtschaft Sicherheit und garantiert den Inländern einen nicht diskriminierten Zugang zum EU-Binnenmarkt und auch zu Produkten aus der EU.

Ein Scheitern des Rahmenabkommens oder gar eine allfällige spätere Kündigung des bilateralen Agreements wäre für den Schweizer Markt verkraftbar, so lange der Gesetzgeber die Änderungen des EU-Rechts autonom nachvollzieht. Swissmedic als Zulassungsstelle müsste dann aber ein paar Dutzend Beamte mehr anstellen, die bei in Europa zugelassenen Produkten noch einen Schweizer Stempel aufdrückt. Es wäre eine «Stempelsouveränität» und im Vergleich zur institutionellen Regelung eine Scheinlösung.

«Stempelsouveränität» hätte beträchtliche Kosten
Sollte die Schweiz beschliessen, eigenständige «souveräne» Lösungen einzuführen, hätte das gravierende Folgen. Ein solcher «Swiss Finish» würde die Unternehmen zwingen, eine Zulassung für Europa und eine andere Zulassung für die Schweiz zu beantragen. Die Firmen müssten überlegen, ob sie diese zusätzlichen Kosten über höhere Preise einspielen können, oder ob sich das nicht lohnt und sie den Schweizer Markt mit bloss 8.5 Mio. potentiellen Kunden links liegen lassen. Im Bereich der Medizinalprodukte und in-vitro-Diagnostika müsste Swissmedic zu einer Art CH-FDA ausgebaut werden mit einem entsprechenden Stab an Experten und Administratoren. Diese zusätzlichen Kosten bei den Firmen und der Verwaltung würden zu einer Kostensteigerung im Gesundheitswesen führen oder zu in einer im internationalen Vergleich eingeschränkten Versorgung mit Medizinaltechnik oder in-vitro Diagnostika.

Fazit: Das bilaterale Abkommen über die technischen Handelshemmnisse ist von zentraler Wichtigkeit, damit Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten zum einen weiterhin von Produkten profitieren, die im Europäischen Markt zugelassen sind, und zum anderen die Bürokratie nicht ohne Not aufgebläht wird. Wir brauchen zudem eine Vereinbarung, die diesen Zugang institutionell absichert.

«Souveränität» einzufordern bei technischen Handelshemmnissen führt dagegen in die Sackgasse. Sie ist etwa so potent wie die Milchleistung der Neujahrs-Holzkuh von Bundespräsident Ueli Maurer.

Der Autor Thomas Hafen ist CEO von Bühlmann Laboratories AG.