Schweiz und EU – Konsenssuche als Schlüsselprinzip
von Christoph Wehrli
| Mai 2015
Die Verständigung innerhalb der Schweiz und die Verständigung innerhalb der EU haben mehr mit Aussenpolitik zu tun, als es scheint. Das machten Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf und Gilles Grin, Direktor der Jean-Monnet-Stiftung, an der Jahresversammlung der sga-aspe deutlich. Ihre Ausführungen und die anschliessende Diskussion legen den Schluss nahe, dass ein Konsens zwischen den bilateralen Partnern auch von der Pflege der internen Verständigung abhängt.
Parallelen in der politischen Kultur
Demokratie, Rechtsstaat und Föderalismus sind nicht nur ein Produkt von staatlichen Institutionen, sondern auch eine Frage der in der Praxis gezeigten Gesinnung. Bundesrätin Widmer-Schlumpf zählt dazu die Respektierung anderer Meinungen, die Ablehnung unverhältnismässiger und radikaler Lösungen und eine positive Wertung des Kompromisses. Auf dieser Grundlage illustrierte sie vor der SGA mit Erfahrungen als frühere Präsidentin der kantonalen Finanzdirektoren und heutige eidgenössische Finanzministerin, wie im Föderalismus, zu dem eben auch die Solidarität gehört, neue Lösungen gefunden werden können. So wurden bei der Neuverteilung der Aufgaben und dem Finanzausgleich zwischen Bund und Kantonen (NFA) in langer Arbeit und geduldigem Aushandeln klarere Verantwortungsbereiche, aber auch spezifische «Töpfe» mit Finanzmitteln geschaffen. Nun sei allerdings auch am vereinbarten Härteausgleich, der erst nach 20jähriger Degression auslaufen soll, festzuhalten, betonte Widmer-Schlumpf.
Sie erinnerte im Weiteren an das erfolgreiche Referendum – das erste auf Verlangen einer Reihe von Kantonen - gegen das damalige Finanzpaket des Bundes, das kantonale Domänen einschloss. «Völlig falsch» wäre dieser Weg nach Ansicht der Finanzministerin hingegen im Fall der jetzt fälligen Reduktion bestimmter NFA-Verpflichtungen, wo es die Nehmerkantone mit ihrer Verweigerung einer Anpassung «auf die Spitze treiben». Vielmehr sei eine Verständigung zu suchen. Stabilität und Berechenbarkeit brauche die Schweiz nicht zuletzt auch für ihre Europapolitik, in der sie selbstbewusst, aber nicht überheblich auftreten solle.
Die Europäische Union ist, wie Gilles Grin an der Veranstaltung deutlich machte, in mehrfacher Hinsicht ein andersartiges Gebilde als die Eidgenossenschaft: kein Staat, sondern eine Gemeinschaft auf vertraglicher Basis, auch nach 57 Jahren noch in einem Prozess des Werdens. Gerade auch weil das gegenseitige Vertrauen noch weiter wachsen muss, hat das Prinzip der Konsenssuche eine grössere Bedeutung, als der Eindruck oder das Zerrbild des Zentralismus erwarten liessen. Nicht nur verlangen Vertragsänderungen Einstimmigkeit; auch die Möglichkeit von Mehrheitsentscheiden des Rates wird eher selten benützt. Die Kommission hat, insbesondere weil von ihr die Vorschläge ausgehen, eine starke Stellung inne, ist aber auch nur eine der Institutionen im Gefüge von Parlament, Rat und Gerichtshof. Rücksicht auf nationalstaatliche Interessen sollte unter anderem die Form der Richtlinie erlauben, die im Unterschied zum Verordnungsrecht für die Umsetzung einen Spielraum offen lässt.
Die Vorträge und die anschliessende Diskussion bestätigten die Annahme, dass es sich bei der Verständigung gewissermassen um ein unteilbares Prinzip handelt. Wer sich gegen eine Verständigung mit der EU wende, gefährde auch die politische Kultur innerhalb der Schweiz, resümierte SGA-Präsidentin Gret Haller. Die positive Kehrseite: Die Bedeutung des Konsenses bei beiden Partnern sollte es erleichtern, deren Beziehungen wieder zu verbessern.
Präsentation von Gilles Grin zum Thema «Culture politique de l'entente en Europe»
Parallelen in der politischen Kultur
Demokratie, Rechtsstaat und Föderalismus sind nicht nur ein Produkt von staatlichen Institutionen, sondern auch eine Frage der in der Praxis gezeigten Gesinnung. Bundesrätin Widmer-Schlumpf zählt dazu die Respektierung anderer Meinungen, die Ablehnung unverhältnismässiger und radikaler Lösungen und eine positive Wertung des Kompromisses. Auf dieser Grundlage illustrierte sie vor der SGA mit Erfahrungen als frühere Präsidentin der kantonalen Finanzdirektoren und heutige eidgenössische Finanzministerin, wie im Föderalismus, zu dem eben auch die Solidarität gehört, neue Lösungen gefunden werden können. So wurden bei der Neuverteilung der Aufgaben und dem Finanzausgleich zwischen Bund und Kantonen (NFA) in langer Arbeit und geduldigem Aushandeln klarere Verantwortungsbereiche, aber auch spezifische «Töpfe» mit Finanzmitteln geschaffen. Nun sei allerdings auch am vereinbarten Härteausgleich, der erst nach 20jähriger Degression auslaufen soll, festzuhalten, betonte Widmer-Schlumpf.
Sie erinnerte im Weiteren an das erfolgreiche Referendum – das erste auf Verlangen einer Reihe von Kantonen - gegen das damalige Finanzpaket des Bundes, das kantonale Domänen einschloss. «Völlig falsch» wäre dieser Weg nach Ansicht der Finanzministerin hingegen im Fall der jetzt fälligen Reduktion bestimmter NFA-Verpflichtungen, wo es die Nehmerkantone mit ihrer Verweigerung einer Anpassung «auf die Spitze treiben». Vielmehr sei eine Verständigung zu suchen. Stabilität und Berechenbarkeit brauche die Schweiz nicht zuletzt auch für ihre Europapolitik, in der sie selbstbewusst, aber nicht überheblich auftreten solle.
Die Europäische Union ist, wie Gilles Grin an der Veranstaltung deutlich machte, in mehrfacher Hinsicht ein andersartiges Gebilde als die Eidgenossenschaft: kein Staat, sondern eine Gemeinschaft auf vertraglicher Basis, auch nach 57 Jahren noch in einem Prozess des Werdens. Gerade auch weil das gegenseitige Vertrauen noch weiter wachsen muss, hat das Prinzip der Konsenssuche eine grössere Bedeutung, als der Eindruck oder das Zerrbild des Zentralismus erwarten liessen. Nicht nur verlangen Vertragsänderungen Einstimmigkeit; auch die Möglichkeit von Mehrheitsentscheiden des Rates wird eher selten benützt. Die Kommission hat, insbesondere weil von ihr die Vorschläge ausgehen, eine starke Stellung inne, ist aber auch nur eine der Institutionen im Gefüge von Parlament, Rat und Gerichtshof. Rücksicht auf nationalstaatliche Interessen sollte unter anderem die Form der Richtlinie erlauben, die im Unterschied zum Verordnungsrecht für die Umsetzung einen Spielraum offen lässt.
Die Vorträge und die anschliessende Diskussion bestätigten die Annahme, dass es sich bei der Verständigung gewissermassen um ein unteilbares Prinzip handelt. Wer sich gegen eine Verständigung mit der EU wende, gefährde auch die politische Kultur innerhalb der Schweiz, resümierte SGA-Präsidentin Gret Haller. Die positive Kehrseite: Die Bedeutung des Konsenses bei beiden Partnern sollte es erleichtern, deren Beziehungen wieder zu verbessern.
Präsentation von Gilles Grin zum Thema «Culture politique de l'entente en Europe»
Kolumne
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Vor dreissig Jahren wäre der Beitritt der Schweiz zum Europäische Wirtschaftsraum EWR eine gute Lösung gewesen. Das Stimmvolk wollte nicht. In jüngster Zeit wird er von gewissen politischen Kreisen wieder propagiert. Aber heute wäre er eine schlechte Lösung.
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Schulterschluss zwischen Bund und Kantonen in der Europapolitik
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