Veranstaltungsbericht

Vereint gegen zu viel Innen- in der Aussenpolitik

von Christoph Wehrli | September 2023
An einer Wahlveranstaltung, die eine Auslegeordnung verspricht, würde man kaum erwarten, dass die beteiligten Politikerinnen und Politiker vor allem Harmonie zeigen, und zwar recht oft in Abhebung von der Mehrheitsmeinung der eigenen Partei. Ein solches Bild ergab sich indessen an der Podiumsdiskussion, die von der SGA in Bern veranstaltet und von Jennifer Covo (Fernsehen RTS) und Oliver Washington (Radio SRF) moderiert worden ist. Die beteiligten Mitglieder des Nationalrats – Sibel Arslan (Grüne, Basel-Stadt), Roland Fischer (GLP, Luzern), Eric Nussbaumer (SP, Baselland), Elisabeth Schneider-Schneiter (Die Mitte, Baselland) und Laurent Wehrli (FDP, Waadt) – gehören alle der Aussenpolitischen Kommission (APK) an und mit Ausnahme von Schneider-Schneiter auch dem Vorstand der SGA. Anfragen bei SVP-Vertretern waren erfolglos geblieben.

EU-politische Frustration

Als Priorität schien eine Regelung des Verhältnisses mit der Europäischen Union unbestritten zu sein. Es dominierte dabei der Rückblick, das Bedauern über den Verhandlungsabbruch im Mai vor zwei Jahren. Nussbaumer bezeichnete es als schweren staatspolitischen Fehler, dass der Bundesrat das Rahmenabkommen nicht dem Parlament vorlegte, weil er einen negativen Volksentscheid befürchtet habe. Arslan teilte an sich diese Kritik, hielt aber auch fest, dass der Vertragsentwurf keine Mehrheit erhalten hätte. Wehrli konstatierte, das Dossier sei zur rein innenpolitischen Angelegenheit geworden, bestimmt von der Angst vor dem Volksentscheid. Dabei werde es namentlich von den Gewerkschaften instrumentalisiert für die Forderung nach einem allgemeinen Mindestlohn.

Ob sein Parteifreund Ignazio Cassis der richtige Mann für die Aufgabe sei? Die Frage, sagte Wehrli, könne nur dieser selbst beantworten, wenn nach der Neuwahl im Dezember die Departemente zugeteilt würden. Es gehe allerdings um die Politik des gesamten Bundesrats. «Das Desaster war ein Gemeinschaftswerk», pointierte es Schneider-Schneiter. Die Bundesratsparteien hätten die Exekutive damals unterstützt. Die Lage sei inzwischen nicht einfacher geworden, indem der Paket-Ansatz mit einem Stromabkommen das heikle Thema der Liberalisierung aufbringe. Auch habe man Probleme um die Unionsbürger-Richtlinie herbeigeredet, die sich mit dem Rahmenabkommen noch nicht gestellt hätten. Fischer kann seinerseits keine wirkliche Strategie des Bundesrats erkennen. Ausserdem fühle er sich als APK-Mitglied schlechter informiert als die Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften.

Wodurch könnte Bewegung in die Europapolitik kommen? Die Folgen der Blockade sind erst zu punktuell spürbar, um Einstellungen entscheidend zu verändern. Fundamental wäre laut Nussbauer die Einsicht, dass es um die langfristige Stellung des Standortes Schweiz gehe. Die einzelnen betroffenen Industrieunternehmen könnten sich hingegen arrangieren, indem sie einfach mehr im Ausland investierten. Die Parlamentswahlen dürften an der Situation nichts ändern, meinte Wehrli. Schneider-Schneiter glaubt, dass der Bundesrat danach doch, wie in Aussicht gestellt, das Verhandlungsmandat entwerfen werde. Arslan verwies auf den von den Grünen unterstützten Plan für eine Volksinitiative, wonach die Verfassung um einen Europa-Artikel ergänzt würde. (Der Text ist inzwischen im Dialog der interessierten Organisationen etwas allgemeiner als der erste Entwurf gefasst, aber noch nicht definitiv verabschiedet worden; die Lancierung ist erst nächstes Jahr zu erwarten.)

Keine starre Neutralität

Gewisse Schattierungen zeigten sich im Meinungsbild zur Neutralität, die seit Russlands Krieg gegen die Ukraine wieder zur Debatte steht. Mehrere Votanten betonten, die Neutralität sei, schon in der Vergangenheit unterschiedlich praktiziert, neu zu definieren und keinesfalls im restriktiven Sinn der SVP-Initiative in der Verfassung festzuschreiben. Während Wehrli einschränkend bemerkte, die Schweiz sei im internationalen Kontext nicht völlig frei, sagte Fischer, sie sollte sich im Fall eines Angriffskriegs mehr an der Uno-Charta als am alten Haager Kriegsrecht orientieren. Ländern, die Waffen in der Schweiz gekauft haben, die Weiterlieferung an die Ukraine zu ermöglichen, sei eine Frage der Solidarität, hiess es wiederholt. Arslan forderte demgegenüber primär mehr Konsequenz bei den Sanktionen gegen Russland.

Zusammenhänge erkennen

Auf der globalen Ebene, die als drittes Thema zur Sprache kam, geben die Schwächung der Uno, überhaupt des Multilateralismus, und die Tendenz zu neuen Machtpolen gerade kleineren Staaten Anlass zu Sorge. In diesen Kontext stellte Wehrli auch die Putsch-Serie in Afrika. Die sich ergebenden Postulate waren eher allgemein: Die Schweiz sollte von dem ausgehen, was sie einzigartig mache, der Funktion als Zentrum des Roten Kreuzes (Wehrli), sie sollte in den Aussenbeziehungen nicht nur wirtschaftliche Aspekte beachten, sondern kohärent mit ihren politischen Grundsätzen agieren (Fischer, Nussbaumer), und sie müsse in der Klimapolitik und der unter Kürzungsdruck geratenen Entwicklungszusammenarbeit ihre Verantwortung als eines der reichsten Länder wahrnehmen (Arslan).

Die Aussenpolitik komme im Wahlkampf zu kurz, wurde bedauert. Dabei sei etwa die Kaufkraft in einem derart verflochtenen Land keine rein interne Angelegenheit. Eigene und globale Interessen hingen zusammen, unterstrich Schneider-Schneiter. Trotz ihrem strengen Urteil «Wir können keine Aussenpolitik» sieht sie Anzeichen, dass das Bewusstsein für die Bedeutung speziell der Europapolitik wächst.