Kolumne

Xi ernst nehmen

von Daniel Woker* | April 2023
Wie das Desaster in der Ukraine zeigt, sind die Worte eines Autokraten ernst zu nehmen. Das gilt für Putin aber auch für Xi Jinping. Seit seiner Inthronisation als Mao II. sind Xis Rhetorik, seine politischen Initiativen und Aktionen besonders bedeutsam und als Ansage zu verstehen, dass der bereits im Gang befindliche Kalte Krieg 2.0 sich aufheizen könnte.

Die Reden

In seinen jüngsten Reden macht Xi überdeutlich, dass die Zurückhaltung in der chinesischen Aussenpolitik der Vergangenheit angehört. Deng Xiaopings Wort “versteckt unsere Fähigkeiten, wartet ab, gebt Euch Mühe ein tiefes Profil zu bewahren» wird durch aggressive Sprache ersetzt. Besondere Sorge bereitet Xis Mahnung «Wagt zu kämpfen”, die er auch seinen Generälen mitgibt.

Kontrolle – intern und extern

Die wichtigsten Elemente der Kontrolle über die gesamte chinesische Bevölkerung sind bekannt: “Sozialguthaben” (social credits) für strikte Beachtung der Verhaltensrichtlinien der Kommunistischen Partei, erzwungene Assimilierung ethnischer Minderheiten und Unterbindung von Dissens und Dissidenten. Die Kontrolle wird auch auf Personen mit Kontakten zum Westen ausgeweitet. Chinesische Studenten im Ausland müssen Ergebenheit gegenüber der Partei versprechen. Gut dokumentiert sind auch der chinesische Technologiediebstahl im Ausland und der erzwungene Wissens-Transfer von westlichen, in China tätigen Firmen.

China und die Dritte Welt

Xi ist im Verhältnis zu allen nichtwestlichen Ländern zur maoistischen Sprache zurückgekehrt. Es präsentiert sich als Führer aller Völker, die sich durch den Kolonialismus, durch monopolistisches Verhalten der USA und überhaupt westliche Strukturen internationaler Beziehung unterdrückt sehen. Seine pièce de maître ist die “neue Seidenstrasse” (Belt and Road Initiative BRI), eine gigantische Masse chinesischer Infrastruktur, die das Empire du Milieu mit dem Rest der Welt verbindet. Dabei ist in eine gewaltige Menge von Beton und Stahl – aus China kommend, mit chinesischen Krediten bezahlt und durch Chinesen installiert – investiert worden. Ein afrikanischer Teilnehmer einer internationalen Lehrveranstaltung sagte mir vor kurzem: “80-90 Prozent unseres Volkes wünschen sich China nicht als neokoloniale Macht im Land, aber die 10-20 Prozent, die herrschen, wollen es so». Der schwierigen Schuldenlage vieler Schwellenländer – auch im Nachgang zur BRI entstanden – wird gegenwärtig durch Notkredite begegnet, die beim Internationalen Währungsfonds 2 Prozent kosten, und das Doppelte, wenn China zu Hilfe eilt.

Auf der politischen Ebene agiert Xi als der Grosse Versöhner, wie unlängst zwischen Iran und Saudi-Arabien. Sein grösster Ehrgeiz gilt aber einem Friedensschluss zwischen seinem engen autokratischen Alliierten Putin und der um ihr Überleben kämpfenden Ukraine.

Ukraine

Nun ist aber der 'Chinesische Friedensplan für die Ukraine' nichts dergleichen, weil er wesentliche ukrainische Gebietsverluste vorsieht. Gegenüber der russischen Aggression ist Friede nur durch eine sichtbare Niederlage Russlands möglich, die in der Rückgabe zumindest eines grossen Teils des besetzten ukrainischen Staatsgebiets resultiert. Dies kann durch fortwährende massive Waffenlieferungen an Kiew erreicht werden – eine Tatsache, die von fast allen westlichen Ländern (Ausnahme: Schweiz) verstanden wird. Auf der anderen Seite könnten massive Waffenlieferungen von Xi an Putin das Spiel umkehren.

Bis anhin konzentriert Beijing seine Anstrengungen darauf, die EU-Staaten von den USA abzuspalten. Es setzt auf Kriegsmüdigkeit in Europa und die Hebelwirkung der ewig lockenden Geschäftsaussichten auf dem chinesischen Markt. Damit wird ein Schlaglicht auf das europäische Dilemma geworfen alle EU-Regierungen folgen der Auffassung, China sei ein «systemischer Widersacher» (systemic rival), aber keine gibt die ökonomischen Chancen leichten Herzens auf. Sollten die US-angeführten Sanktionen gegen China dereinst verstärkt werden – sei es nach einer offenen Aggression gegen Taiwan oder durch massive Waffenlieferungen an Putin – wird dieser Seiltanz schwierig aufrechtzuerhalten sein. Die von Managern oft gehörte Formel «China plus eins» - ausserhalb des chinesischen Festlandes ein zweiter Produktionsstandort als Alternative - funktioniert nur unter den gegenwärtig angewandten, relativ milden Sanktionen. Sollte der Kalte Krieg 2.0 zwischen den USA und China sich aufheizen, werden alle Karten neu verteilt. Alle Schiffsverbindungen zum Indo-Pazifik würden unterbrochen und Frachtversicherungsprämien und Exportfinanzierungen unhaltbar teuer werden, auch abgesehen von den Auswirkungen direkter militärischer Aktion.

 Die Wahl

Xis Plan ist, Amerikas militärische Stärke zu kontern, Europa durch goldene ökonomische Ketten weiter zu lähmen und sich als unbestrittener Führer des Rests der Welt zu etablieren. Er dürfte sich verschätzen, aber nur dann, wenn sich alle darüber im Klaren sind, was auf dem Spiel steht. Es wird auf militärische Stärke ankommen, gekoppelt mit Flexibilität, was die Wahl von geschäftlichen Beziehungen angeht.

Ein positives Beispiel dafür ist Australien. Konfrontiert mit chinesischen Boykotten gegenüber seinen Exporten, schaffte Australien es, seine hochwertige Kohle anderswo zu vermarkten. In sicherheitspolitischen Belangen hat es sich mit den USA als der einzigen glaubwürdigen Abschreckung gegen China verbunden. Canberra ist jetzt aktives Mitglied des «quadrilateralen Sicherheitsdialogs» mit Indien, Japan und den USA, der sich zum Embryo einer Ost-NATO entwickelt. Durch die Beschaffung amerikanischer Atom-U-Boote ist Australien zum vollwertigen Mitglied der AUKUS-Gruppe (Australien, Grossbritannien, USA) geworden. AUKUS ist durch eine ähnliche gegenseitige Sicherheitsgarantie wie Artikel 5 der NATO verbunden und kann als harter Kern des asiatischen Widerstands gegen China verstanden werden.

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Daniel Woker ist ehemaliger Schweizer Botschafter, Co-Gründer von «Share-an-Ambassador/Geopolitik von Experten» und Vizepräsident der «Groupe de Réflexion» der Plattform-Schweiz-Europa.