Kolumne
Achtet das Parlament unsere Grundwerte?
von René Rhinow
| März 2014
Die Staatspolitische Kommission beantragt dem Nationalrat, den durch die Ausschaffungsinitiative ergänzten Art. 121 BV in einem Bundesgesetz wortgetreu umzusetzen. Sie nimmt damit bewusst einen Verstoss gegen freiheitlich- rechtsstaatliche Grundsätze der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Kauf. So schiebt sie den schwarzen Peter bei der Frage der Verfassungs- und Völkerrechtswidrigkeit der Justiz zu, vor allem dem Bundesgericht und dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Erinnern wir uns: Es ist nicht lange her, seit die Bundesversammlung die Erweiterung der Verfassungsgerichtsbarkeit auf die Überprüfung von Bundesgesetzen hin abgelehnt hat. Als Argument wurde immer wieder vorgebracht, es sei an der Bundesversammlung als oberster Behörde des Bundes, die Bundesgesetze verfassungs- und völkerrechtskonform sowie rechtsstaatlich einwandfrei zu erlassen. Dieses Argument ist insofern richtig und gewichtig, als es dem Gesetzgeber obliegt, bei all seiner Tätigkeit die Schranken des Rechts, auch und vor allem der Bundesverfassung, zu wahren. Ihm ist aufgetragen, Freiheitsrechte im politischen Prozess präventiv zu schützen und auch weiterzuentwickeln. Ich habe diese essentielle Aufgabe des Parlamentes vor 33 Jahren als Grundrechtspolitik bezeichnet. Die Bundesversammlung ist das Aushängeschild des Rechtsstaates auf der politischen Bühne.
Diese Verantwortung für die Grundrechtspolitik ist umso bedeutungsvoller, als die von der Bundesversammlung erlassenen Bundesgesetze im Anwendungsfall vom Bundesgericht nicht oder nur in bestimmten Fallkategorien kontrolliert werden können. Nach der Ablehnung der Verfassungsgerichtsbarkeit muss sich die Bundesversammlung erst recht daran messen lassen, wie ernst sie es mit dem Schutz von Freiheit und Rechtsstaat nimmt. Wie sie mit den Grundrechten und Grundprinzipien der Bundesverfassung umgeht, aber auch mit den von der Schweiz rechtsgültig abgeschlossenen Verträgen (wie z.B. der EMRK).
Freiheitsrechte und andere elementare Wertgrundlagen unseres Verfassungsstaates bewähren sich dann, wenn sie im politischen (Gegen-) Wind stehen. Freiheitsrechte der (politischen) Mehrheit zu schützen, ist legislatorisch keine Hexerei. Im Liberalen Manifest der FDP Schweiz von 1991 heisst es unter dem Titel «Wir kämpfen für die persönliche Freiheit» ua.: «Freiheit ist immer auch die Freiheit der anderen. Sie erfordert Rücksichtnahme auf Würde und Freiheit der Mitmenschen von heute und morgen». Es entspricht einer langen Geschichte der Durchsetzung der Freiheitsidee, dass sie gegen Macht und Willkür erkämpft werden musste. Heute muss man sagen: die grosse Herausforderung besteht darin, elementare Freiheitsanliegen auch gegen die Interessen vermuteter oder aktueller Mehrheiten abzuschirmen, im Interesse der Menschenwürde aller Menschen und zum Schutz von Minderheiten. Rechtsstaat und Demokratie bedingen sich; sie bilden beide Grundpfeiler unseres Gemeinwesens. Die individuelle Freiheit steht nicht im Belieben der demokratischen Mehrheit.
Es braucht gegenwärtig offensichtlich wieder einen Kampf für die Freiheitsrechte. Es braucht Mut und Standfestigkeit, den Gegenwind auszuhalten. Es braucht eine felsenfeste Überzeugung für den politischen Liberalismus, der ohne Rechtsstaatlichkeit illusorisch ist. Es braucht Politiker und Politikerinnen, die jenseits des Mainstreams unerschrocken für die Sache der Freiheit und den Schutz von Minderheiten einstehen – ein urliberales Anliegen. Dies auch und gerade vor dem Volk, dem die konkreten wie auch längerfristigen Konsequenzen einer Gefährdung und Missachtung des Rechtsstaates aufzuzeigen sind. Dabei kann nicht genug wiederholt werden, dass es nicht primär um das Völkerrecht geht, das tatsachenwidrig als «fremdes Recht» disqualifiziert wird, sondern um die Achtung unserer eigenen Werte und Prinzipien, wie sie in der Bundesverfassung verankert sind. In der Debatte um den Erlass von verfassungs- und EMRK-widrigen Gesetzesbestimmungen wird sich weisen, wie es um die Achtung unserer Grundwerte steht.
Erinnern wir uns: Es ist nicht lange her, seit die Bundesversammlung die Erweiterung der Verfassungsgerichtsbarkeit auf die Überprüfung von Bundesgesetzen hin abgelehnt hat. Als Argument wurde immer wieder vorgebracht, es sei an der Bundesversammlung als oberster Behörde des Bundes, die Bundesgesetze verfassungs- und völkerrechtskonform sowie rechtsstaatlich einwandfrei zu erlassen. Dieses Argument ist insofern richtig und gewichtig, als es dem Gesetzgeber obliegt, bei all seiner Tätigkeit die Schranken des Rechts, auch und vor allem der Bundesverfassung, zu wahren. Ihm ist aufgetragen, Freiheitsrechte im politischen Prozess präventiv zu schützen und auch weiterzuentwickeln. Ich habe diese essentielle Aufgabe des Parlamentes vor 33 Jahren als Grundrechtspolitik bezeichnet. Die Bundesversammlung ist das Aushängeschild des Rechtsstaates auf der politischen Bühne.
Diese Verantwortung für die Grundrechtspolitik ist umso bedeutungsvoller, als die von der Bundesversammlung erlassenen Bundesgesetze im Anwendungsfall vom Bundesgericht nicht oder nur in bestimmten Fallkategorien kontrolliert werden können. Nach der Ablehnung der Verfassungsgerichtsbarkeit muss sich die Bundesversammlung erst recht daran messen lassen, wie ernst sie es mit dem Schutz von Freiheit und Rechtsstaat nimmt. Wie sie mit den Grundrechten und Grundprinzipien der Bundesverfassung umgeht, aber auch mit den von der Schweiz rechtsgültig abgeschlossenen Verträgen (wie z.B. der EMRK).
Freiheitsrechte und andere elementare Wertgrundlagen unseres Verfassungsstaates bewähren sich dann, wenn sie im politischen (Gegen-) Wind stehen. Freiheitsrechte der (politischen) Mehrheit zu schützen, ist legislatorisch keine Hexerei. Im Liberalen Manifest der FDP Schweiz von 1991 heisst es unter dem Titel «Wir kämpfen für die persönliche Freiheit» ua.: «Freiheit ist immer auch die Freiheit der anderen. Sie erfordert Rücksichtnahme auf Würde und Freiheit der Mitmenschen von heute und morgen». Es entspricht einer langen Geschichte der Durchsetzung der Freiheitsidee, dass sie gegen Macht und Willkür erkämpft werden musste. Heute muss man sagen: die grosse Herausforderung besteht darin, elementare Freiheitsanliegen auch gegen die Interessen vermuteter oder aktueller Mehrheiten abzuschirmen, im Interesse der Menschenwürde aller Menschen und zum Schutz von Minderheiten. Rechtsstaat und Demokratie bedingen sich; sie bilden beide Grundpfeiler unseres Gemeinwesens. Die individuelle Freiheit steht nicht im Belieben der demokratischen Mehrheit.
Es braucht gegenwärtig offensichtlich wieder einen Kampf für die Freiheitsrechte. Es braucht Mut und Standfestigkeit, den Gegenwind auszuhalten. Es braucht eine felsenfeste Überzeugung für den politischen Liberalismus, der ohne Rechtsstaatlichkeit illusorisch ist. Es braucht Politiker und Politikerinnen, die jenseits des Mainstreams unerschrocken für die Sache der Freiheit und den Schutz von Minderheiten einstehen – ein urliberales Anliegen. Dies auch und gerade vor dem Volk, dem die konkreten wie auch längerfristigen Konsequenzen einer Gefährdung und Missachtung des Rechtsstaates aufzuzeigen sind. Dabei kann nicht genug wiederholt werden, dass es nicht primär um das Völkerrecht geht, das tatsachenwidrig als «fremdes Recht» disqualifiziert wird, sondern um die Achtung unserer eigenen Werte und Prinzipien, wie sie in der Bundesverfassung verankert sind. In der Debatte um den Erlass von verfassungs- und EMRK-widrigen Gesetzesbestimmungen wird sich weisen, wie es um die Achtung unserer Grundwerte steht.
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