Bundesrätlicher InstA-Paukenschlag demokratiepolitisch bedenklich

von SGA-Präsidentin Christa Markwalder | Juni 2021
Der Bundesratsentscheid vom 26. Mai, die Verhandlungen mit der EU zum InstA einseitig zu beenden, war ein einsamer Paukenschlag ohne institutionelle Orchestrierung. Das Parlament und die Kantone wurden nicht nur übergangen, die klaren Willensäusserungen der aussenpolitischen Kommissionen von National- und Ständerat sowie der Kantonsregierungen (KdK) wurden gar missachtet.

Der Einbezug der Stimmbevölkerung in diese grundsätzliche europapolitische Weichenstellung wurde dabei gar nicht erst in Betracht gezogen, weil der Bundesrat sich anmasst, den Ausgang einer Volksabstimmung – trotz anderslautenden Umfragen – zu kennen. Dies notabene in unserem Land, das seine partizipative Demokratie auf der ganzen Welt stolz anpreist und nun innenpolitisch diametral entgegengesetzt zu diesem (Selbst-)Verständnis handelt. Das ist nicht nur aus demokratiepolitischer Sicht höchst bedenklich sondern auch mit den verbundenen aussenpolitischen Schäden – notabene nicht alleine gegenüber der EU – so nicht hinnehmbar.

Weglaufen kann nie eine Flucht nach vorne sein – diese Regel lernen bereits Kinder auf dem Spielplatz. Doch was der Bundesrat am 26. Mai mit der Bekanntgabe seines Abbruchentscheids fabriziert hat, ist noch weitaus gravierender: Unsere Regierung sollte eigentlich genau wissen, dass die Interessen unsers Landes (allen voran unsere Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze, Innovationskraft, Bildung und Forschung) empfindlich geschwächt werden, sofern kein InstA und damit keine Basis zur längerfristigen Fortführung des bilateralen Wegs zustande kommt. Dennoch ist der Bundesrat unverständlicherweise vom Verhandlungstisch aufgestanden, hat das Tischtuch weggezogen, dabei viel Geschirr zerschlagen und beim Weggehen der EU noch zugerufen, dass wir interessiert seien an der Fortführung eines politischen Dialogs entlang gemeinsamer Interessen. Wer (mit einer einigermassen anständigen Kinderstube) macht denn sowas?

Besonders bedauerlich und höchst befremdend ist, dass:

  1. das vorliegende Verhandlungsergebnis vom Dezember 2018, das der Bundesrat damals als in «zu weiten Teilen im Interesse der Schweiz» gewürdigt hatte (und Aussenminister Ignazio Cassis in der SRF-Samstagsrundschau vom 29. Mai als zu 80% in Übereinstimmung der Schweizer Interessen bezeichnete) im Regierungsgremium nicht dazu führte, das Verhandlungsmandat so anzupassen (weg von «roten Linien» hin zu «beidseits akzeptablen Kompromisslösungen»), um das InstA über Verbesserungen in den umstrittenen Punkten erfolgreich abzuschliessen. Die Positionen beider Verhandlungsparteien lagen nämlich zuletzt weitaus näher beieinander als es öffentlich wahrnehmbar war. Das ist auch nicht verwunderlich, weil der Bundesrat immer nur gebetsmühlenartig die drei verbliebenen Differenzen betonte, statt die seit Anfang des Jahres erarbeiteten Kompromisse zu würdigen, die in weiten Teilen sogar zugunsten der Schweiz ausfielen.

  2. die Zukunftsperspektiven der Jugendlichen in unserem Land – je nach Standpunkt mutwillig oder fahrlässig – vom Bundesrat verbaut werden, indem ihnen der Bildungsaustausch an den europäischen Programmen oder die Teilnahme an den EU-Forschungsprogrammen erschwert oder gar verwehrt sein dürfte.

  3. der Bundesrat es der Schweizer Stimmbevölkerung offensichtlich nicht zutraut, den «richtigen Entscheid» zu treffen – ausgerechnet in unserem Land, in dem die Stimmberechtigten vier Mal pro Jahr sich zu unterschiedlichsten Themen an der Urne äussern können und sich bisher stets pragmatisch unterstützend für die Fortführung des bilateralen Wegs äusserten (ausser bei der MEI-Abstimmung 2014, wobei im Abstimmungskampf laut Initianten die Personenfreizügigkeit nicht per se zur Disposition stand. Sie verzichteten denn auch auf ein Referendum und lancierten stattdessen die Begrenzungsinitiative, die im September 2020 mit deutlichen 61.7% abgelehnt wurde, womit die Legitimation für die parlamentarische PFZ-konforme Umsetzung der MEI ebenfalls gegeben ist). Aus lauter Angst vor der eigenen Stimmbevölkerung will der Bundesrat die InstA-Verhandlungen nun abbrechen – und dies ohne Einbezug eben dieser Stimmbevölkerung und auch dem Parlament als ihrer Vertretung. Das ist dem schweizerischen (direkt-)demokratiepolitischen Verständnis unwürdig.

  4. persönliche Befindlichkeiten der Bundesratsmitglieder und (vermeintliche) parteipolitische Interessen offenbar den Landesinteressen übergeordnet wurden, was aus parlamentarischer Sicht (und damit aus Sicht des Wahlkörpers des Bundesrats) so nicht hinnehmbar ist. Wir brauchen eine Regierung, die Perspektiven aufzeigt anstatt verbaut und die zusätzlich zur anhaltenden Covid-Krise der Bevölkerung nicht noch weitere neue und langfristige Problemfelder auftut.

  5. das Legislaturprogramm 2019 – 2023 mit einem solch einsamen und aussenpolitisch in wörtlichem Sinne weltfremden Entscheid in weiten Teilen Makulatur geworden ist, da von Bundesrat und Parlament gemeinsam formulierte Ziele nun nicht mehr oder kaum erreicht werden können (InstA-Botschaft, Horizon Europe, Erasmus+, Creative Europe, Prüm-Abkomen, Strom-Abkommen). Zudem ist es schleierhaft, wie der Bundesrat eine neue Aussenwirtschaftsstrategie präsentieren kann, wenn er zuvor den Marktzugang mit der EU durch die Nicht-Aufdatierung bestehender Abkommen so leichtfertig aufs Spiel setzt.


Der Bundesrat hat mit diesem einsamen Paukenschlag der Schweiz und ihren Interessen einen Bärendienst erwiesen. Aber das institutionelle demokratische Orchester (Parlament und Stimmbevölkerung) ist auch imstande, ohne Dirigent zu spielen. Schliesslich ist die europapolitische Partitur dank Verfassung, Parlamentsgesetz und InstA-Entwurf vorhanden.