Kolumne
Eine Schweizer Friedens-Initiative für die Rohingya
von
René Holenstein*
| Juni 2022
Friedensförderung ist eine Priorität der Schweizer Aussenpolitik. Im Fall der Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch könnte sie im Uno-Sicherheitsrat mit einer Initiative einen aktiven Beitrag dazu leisten.
Als Mitte 2017 mehr als 700 000 Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya aus Myanmar (Burma) vertrieben wurden, machte dies international Schlagzeilen. Bilder von Flüchtlingskolonnen, die sich durch Reisfelder schleppten, gingen um die Welt. Die Rohingya flüchteten vor der Verfolgung durch die burmesische Armee und suchten Schutz im Nachbarland Bangladesch. Die Flüchtlinge riskierten alles, um über das Meer oder zu Fuss einer Militäroffensive zu entkommen, die die Vereinten Nationen als «Lehrbuchbeispiel für ethnische Säuberung» bezeichneten. Seitdem leben vor allem Frauen, Kinder und Jugendliche in überfüllten Behelfslagern in der Nähe der bangladeschischen Küstenstadt Cox’s Bazar. Die Regierung von Bangladesch öffnete damals die Grenzen und leistet seitdem, unterstützt von internationalen Gebern, unter ihnen die Schweiz, lebensrettende Hilfe an die Flüchtlinge. Eine zwischen Myanmar und Bangladesch unterzeichnete Vereinbarung zur Repatriierung der Rohingya wurde bisher nicht umgesetzt. Fünf Jahre nach der Vertreibung ist weiterhin keine Lösung in Sicht. Die Rohingya-Frage droht zu einer weiteren «vergessenen Krise» zu werden.
Der Schlüssel für eine Lösung des Rohingya-Flüchtlingsproblems liegt in Myanmar. Viele Rohingya äussern weiterhin den Wunsch, in ihre Heimat zurückzukehren, wenn die Bedingungen dies zulassen. Aber an ihrer Rückkehr haben die burmesischen Militärs kein Interesse. Auch die bangladeschische Regierung hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass ein Verbleib der Rohingya in Bangladesch keineswegs möglich sei. Tatsächlich zuständig für die staatenlosen Rohingya fühlen sich weder Myanmar noch Bangladesch, noch irgendein anderer Staat auf der Welt.
Was geht das die Schweiz an?
Die Schweiz unterhält zu den Regierungen in Bangladesch und Myanmar enge bilaterale Beziehungen. Sie leistet in beiden Ländern humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Ein besonderes Augenmerk lag bis zum Militärputsch vom 1. Februar 2021 auf der Friedensförderung in Myanmar. Die ehemalige Uno-Sonderberichterstatterin für Myanmar, Christine Schraner Burgener, hat in der Region vermittelt und damit zum guten Ruf der Schweiz wesentlich beigetragen.
Dieses jahrelange Engagement gilt es weiterzuführen. Die Schweiz kann als Mitglied des Uno-Sicherheitsrats nun noch besser dazu beitragen, eine Lösung für die Rohingya zu finden. Zwei konkrete Vorschläge stehen im Vordergrund:
Die internationale Gemeinschaft und die Schweiz, auch viele Schweizer Hilfswerke und NGOs, leisten wichtige und notwendige humanitäre Hilfe an die über eine Million Rohingya-Flüchtlinge in Cox’s Bazar. Jährlich wird dazu rund eine Milliarde US-Dollars aufgewendet, und das arme Bangladesch trägt ebenso viel dazu bei. Humanitäre Hilfe an die Rohingya-Flüchtlinge zu leisten, ist also absolut dringlich und wichtig. Aber reicht das aus? Nach einem Besuch in Bangladesch sagte Uno-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi: «Die Rohingya-Flüchtlinge, die ich getroffen habe, haben ihren Wunsch bekräftigt, in ihre Heimat [Myanmar] zurückzukehren, sobald die Bedingungen es erlauben. Die Welt muss daran arbeiten (…), diesen Traum in die Realität umzusetzen.» Mit einer Friedensinitiative könnte sie die Schweiz dabei unterstützen.
*René Holenstein, ist promovierter Historiker und Buchautor. Er war bis 2020 Schweizer Botschafter in Bangladesh. Kürzlich ist von ihm erschienen: «Mein goldenes Bengalen», Gespräche in Bangladesch, Zürich 2021 (Chronos Verlag).
Als Mitte 2017 mehr als 700 000 Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya aus Myanmar (Burma) vertrieben wurden, machte dies international Schlagzeilen. Bilder von Flüchtlingskolonnen, die sich durch Reisfelder schleppten, gingen um die Welt. Die Rohingya flüchteten vor der Verfolgung durch die burmesische Armee und suchten Schutz im Nachbarland Bangladesch. Die Flüchtlinge riskierten alles, um über das Meer oder zu Fuss einer Militäroffensive zu entkommen, die die Vereinten Nationen als «Lehrbuchbeispiel für ethnische Säuberung» bezeichneten. Seitdem leben vor allem Frauen, Kinder und Jugendliche in überfüllten Behelfslagern in der Nähe der bangladeschischen Küstenstadt Cox’s Bazar. Die Regierung von Bangladesch öffnete damals die Grenzen und leistet seitdem, unterstützt von internationalen Gebern, unter ihnen die Schweiz, lebensrettende Hilfe an die Flüchtlinge. Eine zwischen Myanmar und Bangladesch unterzeichnete Vereinbarung zur Repatriierung der Rohingya wurde bisher nicht umgesetzt. Fünf Jahre nach der Vertreibung ist weiterhin keine Lösung in Sicht. Die Rohingya-Frage droht zu einer weiteren «vergessenen Krise» zu werden.
Der Schlüssel für eine Lösung des Rohingya-Flüchtlingsproblems liegt in Myanmar. Viele Rohingya äussern weiterhin den Wunsch, in ihre Heimat zurückzukehren, wenn die Bedingungen dies zulassen. Aber an ihrer Rückkehr haben die burmesischen Militärs kein Interesse. Auch die bangladeschische Regierung hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass ein Verbleib der Rohingya in Bangladesch keineswegs möglich sei. Tatsächlich zuständig für die staatenlosen Rohingya fühlen sich weder Myanmar noch Bangladesch, noch irgendein anderer Staat auf der Welt.
Was geht das die Schweiz an?
Die Schweiz unterhält zu den Regierungen in Bangladesch und Myanmar enge bilaterale Beziehungen. Sie leistet in beiden Ländern humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Ein besonderes Augenmerk lag bis zum Militärputsch vom 1. Februar 2021 auf der Friedensförderung in Myanmar. Die ehemalige Uno-Sonderberichterstatterin für Myanmar, Christine Schraner Burgener, hat in der Region vermittelt und damit zum guten Ruf der Schweiz wesentlich beigetragen.
Dieses jahrelange Engagement gilt es weiterzuführen. Die Schweiz kann als Mitglied des Uno-Sicherheitsrats nun noch besser dazu beitragen, eine Lösung für die Rohingya zu finden. Zwei konkrete Vorschläge stehen im Vordergrund:
- Gerechtigkeit für die Rohingya und Rechenschaftspflicht: Das Thema Rechenschaftspflicht bei schweren Verstössen gegen das Völkerrecht hat nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine an Aktualität gewonnen. Die Schweiz könnte sich verstärkt für die Rechenschaftspflicht für die an den Rohingya begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen und mutmasslichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord einsetzen. Diese sind im Fall der burmesischen Militärs von der Uno umfassend dokumentiert worden, so im Bericht der Untersuchungskommission des Uno-Menschenrechtsrats vom August 2019. Nebst dem Uno-Menschenrechtsrat befasst sich der Internationale Gerichtshof wegen angeblichen Völkermords mit den Rohingya.
- Staatenlosigkeit der Rohingya: Die Schweiz könnte die Initiative ergreifen, um den Bericht der Beratenden Kommission zum Rakhine-Staat in Myanmar aus dem Jahr 2017 zu aktualisieren. Diese vom ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen geleitete Kommission stellte die fehlende Staatsbürgerschaft der Rohingya ins Zentrum ihres Berichts und forderte, diesen Status zu ändern. Die Empfehlungen wurden zu einem Zeitpunkt erarbeitet, als der Grossteil der Rohingya noch in Myanmar lebte. Nach ihrer massenhaften Vertreibung hat sich die Situation grundlegend verändert, so dass eine Überarbeitung angezeigt ist.
Die internationale Gemeinschaft und die Schweiz, auch viele Schweizer Hilfswerke und NGOs, leisten wichtige und notwendige humanitäre Hilfe an die über eine Million Rohingya-Flüchtlinge in Cox’s Bazar. Jährlich wird dazu rund eine Milliarde US-Dollars aufgewendet, und das arme Bangladesch trägt ebenso viel dazu bei. Humanitäre Hilfe an die Rohingya-Flüchtlinge zu leisten, ist also absolut dringlich und wichtig. Aber reicht das aus? Nach einem Besuch in Bangladesch sagte Uno-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi: «Die Rohingya-Flüchtlinge, die ich getroffen habe, haben ihren Wunsch bekräftigt, in ihre Heimat [Myanmar] zurückzukehren, sobald die Bedingungen es erlauben. Die Welt muss daran arbeiten (…), diesen Traum in die Realität umzusetzen.» Mit einer Friedensinitiative könnte sie die Schweiz dabei unterstützen.
*René Holenstein, ist promovierter Historiker und Buchautor. Er war bis 2020 Schweizer Botschafter in Bangladesh. Kürzlich ist von ihm erschienen: «Mein goldenes Bengalen», Gespräche in Bangladesch, Zürich 2021 (Chronos Verlag).
Kolumne
Die Kantone – unverzichtbar für die Europapolitik des Bundes
von tmoser | Juli 2022
Die Aussenpolitik ist Sache des Bundes. Es gibt aber gute Gründe, warum die Kantone in der schweizerischen Europapolitik mitreden sollen. Sie sind durch die Verfassung dazu legitimiert und haben dafür die nötigen Kompetenzen, nutzen sie doch die föderalen Gestaltungsspielräume und wissen, wie man auf der übergeordneten Staatsebene wirksam Interessen vertritt. Sie haben Erfahrung mit Aufgabenteilungen, die sowohl der effizienten Zielerreichung wie auch den regionalen Eigenheiten Rechnung tragen. Damit sind sie in der Lage, tragfähige Lösungen für stabile Beziehungen mit der EU zu erarbeiten.
Kolumne
Die Neutralität – gedehnt, relativiert oder verletzt
von Hans Ulrich Jost* | Juli 2022
Die Übernahme der Sanktionen gegen Russland, als Verletzung der Neutralität kritisiert, hat einmal mehr die Debatte über den aussenpolitischen Spielraum der Schweiz aktiviert. Wieder einmal steht die Neutralität im Zentrum der öffentlichen Debatte. Die Frage, wie weit die Aussenpolitik neutralitätskonform sei, ist ein Dauerbrenner. Denn seit Jahrzehnten wird die Neutralität je nach Interessenlage gedehnt, relativiert oder schlicht verletzt. Hier einige historische Beispielen der widersprüchlichen und doppelbödigen Neutralität der Schweiz.
Kolumne
Nach Brüssel, aber zur EU
von Daniel Woker* | Juli 2022
Die Zeitenwende des Ukrainekriegs bringt auch die schweizerische Aussenpolitik in Bewegung. Allein bleiben ist keine Option mehr. Die Hinwendung muss primär Richtung EU erfolgen, welche allein eine umfassende Alternative zum Sonderweg Schweiz bietet.