Kolumne
Einfluss kleinerer Staaten im Sicherheitsrat
von
Markus Heiniger
| April 2020
Der Einsitz im UNO-Sicherheitsrat bietet Chancen in zweifacher Hinsicht. Kleinere Staaten können zum einen mit Initiativen mehr bewirken als allgemein vermutet. Die Mitgliedschaft bietet auch die Möglichkeit, das Bewusstsein über die Rolle der Uno zu schärfen.
Anfangs Juli 2020 will die Schweiz die Schlussphase ihrer Kandidatur für den Uno-Sicherheitsrat für die Periode 2023/2024 mit einem grossen Event in New York einläuten. Aussen-, friedens- und menschenrechts- und klimapolitische Kreise der Zivilgesellschaft können das zu erwartende politische und mediale Aufmerksamkeitsfenster vor und während des geplanten Schweizer Einsitzes nutzen. In der Schweiz kann das Interesse für die Uno, den bedeutendsten multilateralen Zusammenschluss und insbesondere dessen für Krieg und Frieden führendes Gremium, den Sicherheitsrat, geweckt und vertieft werden. Auch sollte die Arbeit der Schweiz im Sicherheitsrat innenpolitisch unterstützt und kritisch begleitet werden.
Vom Beispiel Schweden lernen
Der Bundesrat hat 2011 beschlossen, dass sich die Schweiz für einen Sitz im Sicherheitsrat bewirbt. Nachdem am 12. März 2020 der Nationalrat eine SVP-Motion gegen die Kandidatur der Schweiz für den Uno-Sicherheitsrat deutlich abgelehnt hat, sollte die Kandidatur nun auch in der Schweizer Bevölkerung thematisiert werden. Das EDA hat sich mit Informationsarbeit leider noch fast vollständig zurückgehalten. Es sollte sich nun am Beispiel Schweden orientieren, das im Rahmen seiner Sicherheitsratsmitgliedschaft 2017/2018 viel an öffentlicher Diplomatie gemacht hat: „Während der Mitgliedschaft fand ein regelmässiger Dialog über die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat mit Organisationen der Zivilgesellschaft statt. Treffen wurden im schwedischen Aussenministerium in Stockholm (…) organisiert. Dies war ein wichtiger Teil der Arbeiten zur Erhöhung der Transparenz. Dies war auch eine Möglichkeit, das Wissen der Öffentlichkeit über die Vereinten Nationen und den Sicherheitsrat zu schärfen.“ (Schlussbericht Schweden, 2019)
Der Sicherheitsrat kann jede Situation, die den internationalen Frieden bedroht, untersuchen und u.a verbindliche Beschlüsse (Resolutionen) fassen. Zu 70% befasst er sich mit Länder-Konflikten. Er verlängert auch die Mandate der UNO-Friedensoperationen, hört die Geschäftsberichte der UNO-Tribunale an oder debattiert über Themen wie Mediation, Kinder in bewaffneten Konflikten oder Frauen, Frieden und Sicherheit, sowie auch schon über Auswirkungen des Klimawandels auf Frieden und Sicherheit.
Er besteht aus fünfzehn Mitgliedern. China, Frankreich, Russland, die USA und Grossbritannien sind permanente Mitglieder (P-5), die über ein Vetorecht verfügen. Zehn nichtständige Mitglieder (die sogenannten E-10, für elected) werden von der Generalversammlung mit Zweidrittelmehrheit für jeweils zwei Jahre gewählt. Zwei dieser Sitze erhalten die westeuropäischen/westlichen Staaten (WEOG). Von diesen bewirbt sich auch Malta für die Periode 2023/2024.
Das Gremium ist wegen der Gegensätze der Grossmächte öfters gelähmt. «Multilateralism is under fire precisely when we need it most», sagt UNO-Generalsekretär António Guterres. Dass der Sicherheitsrat nicht in guter Form ist, bestätigt auch die „International Crisis Group“ (ICG): Insbesondere verschlechterten sich die Verhältnisse innerhalb der P-5. Laut ICG ist es eine wichtige Aufgabe der E-10, vermehrt am Abbau dieser Spannungen zu arbeiten.
Gemeinsam haben Kleinere Einfluss
Allein kann ein Staat in diesem Gremium kaum etwas erreichen, wie auch sonst im multilateralen Umfeld. Die Studie «A necessary voice» des International Peace Institute IPI von 2019 über das Wirken von Kleinstaaten zeigt aber, dass es Chancen gibt. Als Beispiel wird der Zugang für humanitäre Hilfe in Syrien erwähnt, wozu 2014 trotz Zerstrittenheit der P-5 dank geschicktem Vorgehen von Kleinstaat-Sicherheitsratsmitgliedern eine Resolution verabschiedet wurde. Sie spielten auch 2016 eine Schlüsselrolle bezüglich des Schutzes der medizinischen Versorgung in bewaffneten Konflikten. Schweden führt im oben erwähnten Bericht aus: “Schweden führte z.B. die Verhandlungen an, die sowohl 2017 als auch 2018 zu Vereinbarungen über grenzüberschreitende humanitäre Hilfe für Millionen von Syriern führten. Schweden drängte ausserdem auf eine Lösung des Konflikts im Jemen, was im Dezember 2018 zum Stockholmer Abkommen zwischen den Kriegsparteien beitrug.“ Einfluss gibt auch, dass ohne die Mitwirkung der E-10 die für einen Ratsentscheid notwendige Mehrheit von 9 Stimmen (inkl. die P5) nicht zustande kommt.
Wird die Schweiz einen Mehrwert für den Frieden in den Sicherheitsrat bringen? Dass die Brückenfunktion und Vermittlungsfähigkeit bei Konflikten bzw. die Neutralität durch die Sicherheitsratsmitgliedschaft eingeschränkt würde, ist eine nicht belegte Annahme. Der Einsitz im Sicherheitsrat ist vielmehr ein zusätzliches Handlungsfeld, um friedensfördernd noch mehr zu wirken. Die Schweiz kann daran anknüpfen, dass sie eine beachtliche Friedensförderungskapazität aufgebaut hat. Der nächste Schritt, von der Friedensförderung zu einer umfassenden Friedenspolitik, müsste aber folgen. Er kann sich an der Uno-Resolutionen zu „Sustaining Peace“ orientieren: Die Friedenssorge wird als Daueraufgabe im Sinn von Prävention konzipiert und soll umfassend verstanden alle anderen Politikfelder beeinflussen. Damit könnte die Sicherheitsratsmitgliedschaft effektiv friedensrelevant werden.
*Markus Heiniger arbeitete 2002-2017 im EDA, in der Friedensförderungs- und Menschenrechtspolitik, sowie im Bereich Fragilität, Konflikt, Menschenrechte (DEZA)
Anfangs Juli 2020 will die Schweiz die Schlussphase ihrer Kandidatur für den Uno-Sicherheitsrat für die Periode 2023/2024 mit einem grossen Event in New York einläuten. Aussen-, friedens- und menschenrechts- und klimapolitische Kreise der Zivilgesellschaft können das zu erwartende politische und mediale Aufmerksamkeitsfenster vor und während des geplanten Schweizer Einsitzes nutzen. In der Schweiz kann das Interesse für die Uno, den bedeutendsten multilateralen Zusammenschluss und insbesondere dessen für Krieg und Frieden führendes Gremium, den Sicherheitsrat, geweckt und vertieft werden. Auch sollte die Arbeit der Schweiz im Sicherheitsrat innenpolitisch unterstützt und kritisch begleitet werden.
Vom Beispiel Schweden lernen
Der Bundesrat hat 2011 beschlossen, dass sich die Schweiz für einen Sitz im Sicherheitsrat bewirbt. Nachdem am 12. März 2020 der Nationalrat eine SVP-Motion gegen die Kandidatur der Schweiz für den Uno-Sicherheitsrat deutlich abgelehnt hat, sollte die Kandidatur nun auch in der Schweizer Bevölkerung thematisiert werden. Das EDA hat sich mit Informationsarbeit leider noch fast vollständig zurückgehalten. Es sollte sich nun am Beispiel Schweden orientieren, das im Rahmen seiner Sicherheitsratsmitgliedschaft 2017/2018 viel an öffentlicher Diplomatie gemacht hat: „Während der Mitgliedschaft fand ein regelmässiger Dialog über die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat mit Organisationen der Zivilgesellschaft statt. Treffen wurden im schwedischen Aussenministerium in Stockholm (…) organisiert. Dies war ein wichtiger Teil der Arbeiten zur Erhöhung der Transparenz. Dies war auch eine Möglichkeit, das Wissen der Öffentlichkeit über die Vereinten Nationen und den Sicherheitsrat zu schärfen.“ (Schlussbericht Schweden, 2019)
Der Sicherheitsrat kann jede Situation, die den internationalen Frieden bedroht, untersuchen und u.a verbindliche Beschlüsse (Resolutionen) fassen. Zu 70% befasst er sich mit Länder-Konflikten. Er verlängert auch die Mandate der UNO-Friedensoperationen, hört die Geschäftsberichte der UNO-Tribunale an oder debattiert über Themen wie Mediation, Kinder in bewaffneten Konflikten oder Frauen, Frieden und Sicherheit, sowie auch schon über Auswirkungen des Klimawandels auf Frieden und Sicherheit.
Er besteht aus fünfzehn Mitgliedern. China, Frankreich, Russland, die USA und Grossbritannien sind permanente Mitglieder (P-5), die über ein Vetorecht verfügen. Zehn nichtständige Mitglieder (die sogenannten E-10, für elected) werden von der Generalversammlung mit Zweidrittelmehrheit für jeweils zwei Jahre gewählt. Zwei dieser Sitze erhalten die westeuropäischen/westlichen Staaten (WEOG). Von diesen bewirbt sich auch Malta für die Periode 2023/2024.
Das Gremium ist wegen der Gegensätze der Grossmächte öfters gelähmt. «Multilateralism is under fire precisely when we need it most», sagt UNO-Generalsekretär António Guterres. Dass der Sicherheitsrat nicht in guter Form ist, bestätigt auch die „International Crisis Group“ (ICG): Insbesondere verschlechterten sich die Verhältnisse innerhalb der P-5. Laut ICG ist es eine wichtige Aufgabe der E-10, vermehrt am Abbau dieser Spannungen zu arbeiten.
Gemeinsam haben Kleinere Einfluss
Allein kann ein Staat in diesem Gremium kaum etwas erreichen, wie auch sonst im multilateralen Umfeld. Die Studie «A necessary voice» des International Peace Institute IPI von 2019 über das Wirken von Kleinstaaten zeigt aber, dass es Chancen gibt. Als Beispiel wird der Zugang für humanitäre Hilfe in Syrien erwähnt, wozu 2014 trotz Zerstrittenheit der P-5 dank geschicktem Vorgehen von Kleinstaat-Sicherheitsratsmitgliedern eine Resolution verabschiedet wurde. Sie spielten auch 2016 eine Schlüsselrolle bezüglich des Schutzes der medizinischen Versorgung in bewaffneten Konflikten. Schweden führt im oben erwähnten Bericht aus: “Schweden führte z.B. die Verhandlungen an, die sowohl 2017 als auch 2018 zu Vereinbarungen über grenzüberschreitende humanitäre Hilfe für Millionen von Syriern führten. Schweden drängte ausserdem auf eine Lösung des Konflikts im Jemen, was im Dezember 2018 zum Stockholmer Abkommen zwischen den Kriegsparteien beitrug.“ Einfluss gibt auch, dass ohne die Mitwirkung der E-10 die für einen Ratsentscheid notwendige Mehrheit von 9 Stimmen (inkl. die P5) nicht zustande kommt.
Wird die Schweiz einen Mehrwert für den Frieden in den Sicherheitsrat bringen? Dass die Brückenfunktion und Vermittlungsfähigkeit bei Konflikten bzw. die Neutralität durch die Sicherheitsratsmitgliedschaft eingeschränkt würde, ist eine nicht belegte Annahme. Der Einsitz im Sicherheitsrat ist vielmehr ein zusätzliches Handlungsfeld, um friedensfördernd noch mehr zu wirken. Die Schweiz kann daran anknüpfen, dass sie eine beachtliche Friedensförderungskapazität aufgebaut hat. Der nächste Schritt, von der Friedensförderung zu einer umfassenden Friedenspolitik, müsste aber folgen. Er kann sich an der Uno-Resolutionen zu „Sustaining Peace“ orientieren: Die Friedenssorge wird als Daueraufgabe im Sinn von Prävention konzipiert und soll umfassend verstanden alle anderen Politikfelder beeinflussen. Damit könnte die Sicherheitsratsmitgliedschaft effektiv friedensrelevant werden.
*Markus Heiniger arbeitete 2002-2017 im EDA, in der Friedensförderungs- und Menschenrechtspolitik, sowie im Bereich Fragilität, Konflikt, Menschenrechte (DEZA)
Kolumne
Das Rahmenabkommen – Chance für die Demokratie?
von Christoph Wehrli | April 2021
An einer Online-Veranstaltung der SGA hat Thomas Pfisterer ausgeführt, welche Chancen das Institutionelle Abkommen Schweiz – EU (InstA) für die europapolitische Mitwirkung des Parlaments und für die Demokratie überhaupt bieten würde. «Mitte»-Präsident Gerhard Pfister stimmte ihm in vielem zu, ohne deswegen seine Skepsis gegenüber dem Abkommen aufzugeben.
Kolumne
Nachhaltigkeitspolitik der Schweiz genügt nicht
von Martin Fässler* | März 2021
Ökologische Fragen sind in den «Global Risk Reports» des WEF nach ganz oben gerutscht. Der Klimawan-del ist tägliches Thema geworden. Er stellt die Leitideen der Moderne wie Wirtschaftswachstum und Be-herrschung der Natur auf den Prüfstand. Die Covid-19 Pandemie lässt die internationale Verantwortung für Problemlösungen noch schärfer hervortreten.
Kolumne
Die falsch verstandene Souveränität
von Jean-Daniel Gerber | März 2021
Es ist ein Irrtum zu glauben, die Souveränität der Schweiz bleibe ohne Rahmenabkommen mit der EU besser bewahrt. Souverän ist nicht, wer sich nicht bindet, sondern wer seine bestehenden Abhängigkeiten erkennt und durch vertraglich geregelte Zusammenarbeit lenkt.