Kolumne
Leichtfertiges Zeuseln der EU-Skeptiker
Von Daniel Woker*
| März 2021
Nachdem sich zuerst wirtschaftsnahe Nein-Komitees zum Institutionellen Abkommen lautstark zu Wort gemeldet haben, gibt nun ein breiteres Bündnis dem Bundesrat Rückhalt für einen Vertragsabschluss mit der EU.
Bislang wurde das Feld der aktuellen Europadebatte in der Schweiz den verschiedensten Akteuren überlassen, welche aus Partikularinteressen das Rahmenabkommen verteufeln. Ohne es wirklich zu kennen. Oder auch, und öfter, weil sie ihre speziellen Interessen monetärer Art in Gefahr sehen. Und in besorgter vaterländischer Manier einen angeblichen Souveränitätsverlust anprangern. Ein weiterer Millionärsclub unter den Europagegnern namens 'Kompass/Schweiz' hat sich lautstark zu Wort gemeldet, mit immer denselben, weiterhin falschen Argumenten.
Souveränität verliert die Schweiz durch ein enges und vertrauensvolles Verhältnis zur EU keine, im Gegenteil. Den grossen Herausforderungen unserer Zeit kann der Staat Schweiz – vom Klima über zukünftige Pandemiebekämpfung bis zum Verhältnis mit China – nur im Verbund mit gleichgesinnten Partnern entgegentreten. Geteilte Souveränität bringt mehr reale Unabhängigkeit als nationalstaatlicher Nachvollzug.
Breite Palette
Das InstA sieht einheitliche Regeln für eine breite Palette von Zusammenarbeit der Schweiz mit den Mitgliedstaaten der EU vor. Eine Zusammenarbeit, welche der Schweiz den Status eines gleichberechtigten Teilnehmers am europäischen Binnenmarkt erlaubt hat und nicht mehr durch grossen papierenen Aufwand an den Zollübergängen erschwert wird. So war das Anfang der 1970er Jahre für die Schweiz der Fall. Heute gilt das wieder für Grossbritannien, welches nun plötzlich merkt, dass schottischer Lachs viel mehr Zeit für den Weg auf den Kontinent braucht als vor dem Brexit und riesige Flächen für Parkplätze bei Zollabfertigungsstellen asphaltieren musste.
Kein vernünftiger Wirtschaftsexperte, keine aufmerksame Bürgerin und kein aufmerksamer Bürger bestreitet heute, dass der europäische Binnenmarkt der Schweiz wirtschaftliche Sicherheit und auch zusätzlichen Wohlstand gebracht hat. Wenn dieses Nahverhältnis mit der EU durch leichtfertiges Zeuseln neu auftretender Europaskeptiker – zusätzlich zur traditionellen, beinharten Gegnerschaft der Rechten – nun unterminiert wird, drohen sehr reale Gefahren für wichtige Teile der schweizerischen Wirtschaft.
Medizinalprodukte
Aktuelles Beispiel liefert die blühende schweizerische Medizinalindustrie. Ein bilaterales Abkommen der Schweiz mit der EU, welches ihr problemlosen Zugang zum Binnenmarkt erlaubt hat, läuft Ende Mai aus. In einem alarmierenden Brief an den Bundesrat macht die entsprechende Branchenorganisation auf die potentiellen Schäden aufmerksam, welche beim Wegfallen dieser Übereinkunft der Schweiz drohen. Medizinalprodukte aus Mexiko hätten leichteren Zugang zu Europa als solche aus der Schweiz, weil die EU aus durchaus einsehbaren Gründen fordert, die breite Palette schweizerischer Sonderlösungen einheitlichen Regelungen zu unterstellen. Das käme auch der schweizerischen Seite entgegen. Die einzelnen Branchen könnten sich so an einem allgemeingültigen Rahmen orientieren.
Rahmen
Diesen Rahmen, in Form des InstA, aufrecht zu erhalten und auszubauen, dafür steht nun „progresuisse“ ein. Nach eigenem Bekunden will sich die Organisation „zugunsten des gesamten mehrheitsfähigen Rahmenvertrags und eine starke und konstruktive Beziehung mit der EU" einsetzen. Sie erwartet vom Bundesrat ein klares Bekenntnis zu einem Rahmenabkommen, mit Klärung seiner Tragweite, damit sich 'progresuisse' hinter den Bundesrat stellen kann.“
Die wahren Unternehmer
'Progresuisse' wird angeführt von Doris Leuthard und weiteren prominenten Namen aus der schweizerischen Politik (www.progresuisse.ch). Zu den Gründungsmitgliedern gehören auch die Rektoren einiger der grossen Universitäten der Schweiz, was unterstreicht, wie unverzichtbar enge Bande - konkret im Moment das InstA - sind für schweizerische Wissenschaft und Ausbildung mit Partnern in der EU. Geht man die Liste der Gründer weiter durch, wird offensichtlich, wo das Gros der schweizerischen Wirtschaft, und speziell der darin zentralen, kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) ihre wahren Interessen sieht. Weil sie eine Klärung unseres Verhältnisses zur EU dringend brauchen, stehen sie für das InstA ein.
Was immer Staatssekretärin Livia Leu aus Brüssel mitbringt, so müsste der Bundesrat jetzt und unmissverständlich, bestärkt durch den zivilgesellschaftlichen Rückhalt von „progresuisse“ endlich tätig werden, um den Schweizerinnen und Schweizer zu erklären, welch grundlegende Interessen hier auf dem Spiel stehen.
*Daniel Woker ist ehemaliger Botschafter und Co-founder von „Share-an-Ambassador /Geopolitik von Experten“ (swiss-ambashare.ch) und Mitglied des Komitees "progresuisse".
Bislang wurde das Feld der aktuellen Europadebatte in der Schweiz den verschiedensten Akteuren überlassen, welche aus Partikularinteressen das Rahmenabkommen verteufeln. Ohne es wirklich zu kennen. Oder auch, und öfter, weil sie ihre speziellen Interessen monetärer Art in Gefahr sehen. Und in besorgter vaterländischer Manier einen angeblichen Souveränitätsverlust anprangern. Ein weiterer Millionärsclub unter den Europagegnern namens 'Kompass/Schweiz' hat sich lautstark zu Wort gemeldet, mit immer denselben, weiterhin falschen Argumenten.
Souveränität verliert die Schweiz durch ein enges und vertrauensvolles Verhältnis zur EU keine, im Gegenteil. Den grossen Herausforderungen unserer Zeit kann der Staat Schweiz – vom Klima über zukünftige Pandemiebekämpfung bis zum Verhältnis mit China – nur im Verbund mit gleichgesinnten Partnern entgegentreten. Geteilte Souveränität bringt mehr reale Unabhängigkeit als nationalstaatlicher Nachvollzug.
Breite Palette
Das InstA sieht einheitliche Regeln für eine breite Palette von Zusammenarbeit der Schweiz mit den Mitgliedstaaten der EU vor. Eine Zusammenarbeit, welche der Schweiz den Status eines gleichberechtigten Teilnehmers am europäischen Binnenmarkt erlaubt hat und nicht mehr durch grossen papierenen Aufwand an den Zollübergängen erschwert wird. So war das Anfang der 1970er Jahre für die Schweiz der Fall. Heute gilt das wieder für Grossbritannien, welches nun plötzlich merkt, dass schottischer Lachs viel mehr Zeit für den Weg auf den Kontinent braucht als vor dem Brexit und riesige Flächen für Parkplätze bei Zollabfertigungsstellen asphaltieren musste.
Kein vernünftiger Wirtschaftsexperte, keine aufmerksame Bürgerin und kein aufmerksamer Bürger bestreitet heute, dass der europäische Binnenmarkt der Schweiz wirtschaftliche Sicherheit und auch zusätzlichen Wohlstand gebracht hat. Wenn dieses Nahverhältnis mit der EU durch leichtfertiges Zeuseln neu auftretender Europaskeptiker – zusätzlich zur traditionellen, beinharten Gegnerschaft der Rechten – nun unterminiert wird, drohen sehr reale Gefahren für wichtige Teile der schweizerischen Wirtschaft.
Medizinalprodukte
Aktuelles Beispiel liefert die blühende schweizerische Medizinalindustrie. Ein bilaterales Abkommen der Schweiz mit der EU, welches ihr problemlosen Zugang zum Binnenmarkt erlaubt hat, läuft Ende Mai aus. In einem alarmierenden Brief an den Bundesrat macht die entsprechende Branchenorganisation auf die potentiellen Schäden aufmerksam, welche beim Wegfallen dieser Übereinkunft der Schweiz drohen. Medizinalprodukte aus Mexiko hätten leichteren Zugang zu Europa als solche aus der Schweiz, weil die EU aus durchaus einsehbaren Gründen fordert, die breite Palette schweizerischer Sonderlösungen einheitlichen Regelungen zu unterstellen. Das käme auch der schweizerischen Seite entgegen. Die einzelnen Branchen könnten sich so an einem allgemeingültigen Rahmen orientieren.
Rahmen
Diesen Rahmen, in Form des InstA, aufrecht zu erhalten und auszubauen, dafür steht nun „progresuisse“ ein. Nach eigenem Bekunden will sich die Organisation „zugunsten des gesamten mehrheitsfähigen Rahmenvertrags und eine starke und konstruktive Beziehung mit der EU" einsetzen. Sie erwartet vom Bundesrat ein klares Bekenntnis zu einem Rahmenabkommen, mit Klärung seiner Tragweite, damit sich 'progresuisse' hinter den Bundesrat stellen kann.“
Die wahren Unternehmer
'Progresuisse' wird angeführt von Doris Leuthard und weiteren prominenten Namen aus der schweizerischen Politik (www.progresuisse.ch). Zu den Gründungsmitgliedern gehören auch die Rektoren einiger der grossen Universitäten der Schweiz, was unterstreicht, wie unverzichtbar enge Bande - konkret im Moment das InstA - sind für schweizerische Wissenschaft und Ausbildung mit Partnern in der EU. Geht man die Liste der Gründer weiter durch, wird offensichtlich, wo das Gros der schweizerischen Wirtschaft, und speziell der darin zentralen, kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) ihre wahren Interessen sieht. Weil sie eine Klärung unseres Verhältnisses zur EU dringend brauchen, stehen sie für das InstA ein.
Was immer Staatssekretärin Livia Leu aus Brüssel mitbringt, so müsste der Bundesrat jetzt und unmissverständlich, bestärkt durch den zivilgesellschaftlichen Rückhalt von „progresuisse“ endlich tätig werden, um den Schweizerinnen und Schweizer zu erklären, welch grundlegende Interessen hier auf dem Spiel stehen.
*Daniel Woker ist ehemaliger Botschafter und Co-founder von „Share-an-Ambassador /Geopolitik von Experten“ (swiss-ambashare.ch) und Mitglied des Komitees "progresuisse".
Kolumne
Der EWR ist von gestern, nicht für morgen
von alt Nationalrat Hans-Jürg Fehr | April 2023
Vor dreissig Jahren wäre der Beitritt der Schweiz zum Europäische Wirtschaftsraum EWR eine gute Lösung gewesen. Das Stimmvolk wollte nicht. In jüngster Zeit wird er von gewissen politischen Kreisen wieder propagiert. Aber heute wäre er eine schlechte Lösung.
Kolumne
Schulterschluss zwischen Bund und Kantonen in der Europapolitik
von Thomas Moser* | April 2023
Der bilaterale Weg zwischen der Schweiz und der EU ist ein Spiel, das von den Verteidigungsreihen dominiert wird. Seit 2007 werden keine wichtigen Verträge mehr abgeschlossen. Die Verhandlungen enden torlos. Als der Bundesrat am 29. März 2023 in Aussicht stellte, die Sondierungsgespräche mit der EU abzuschliessen und bis Ende Juni ein Verhandlungsmandat zu erarbeiten, verwies er auf die Kantone. Der Dialog mit ihnen habe es ermöglicht, für die Staatsbeihilfen und Zuwanderungsfragen konkrete Lösungsansätze zu definieren.