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Mali – Von Entwicklungszusammenarbeit in unruhigen Zeiten

von René Holenstein* | April 2023
Hintergrund zum Thema im Sicherheitsrat: Malis Zerwürfnis mit Frankreich und seine Annäherung an Russland.

Einst galt Mali als afrikanisches Modell für wirtschaftliche und politische Stabilität, doch seit mehr als zehn Jahren befindet sich das Land in der bisher schwersten Krise seit der Unabhängigkeit im Jahr 1960. Nach einem Staatsstreich im März 2012 war es islamistischen Bewegungen gelungen, vorübergehend die vollständige Kontrolle über weite Teile des Landes zu erlangen. Internationale Militäroperationen wie die von den Vereinten Nationen geführte MINUSMA-Mission haben seitdem versucht, die Sicherheit in Mali wiederherzustellen. Dennoch kommt es weiterhin zu bewaffneten Raubüberfällen, Entführungen und Angriffen auf die Zivilbevölkerung.

Aufgrund von Unsicherheit, Konflikten, Klimakrise und fehlendem Zugang zu grundlegenden sozialen Dienstleistungen ist der Bedarf an humanitärer Hilfe gestiegen. Nach Angaben der UNO sind schätzungsweise 8,8 Millionen Menschen – das entspricht der gesamten Schweizer Bevölkerung und fast der Hälfte derjenigen Malis – auf humanitäre Hilfe angewiesen. Geschätzte 2’000 Schulen sind geschlossen, was mehr als eine halbe Million Kinder betrifft. Fast ein Drittel der Kleinkinder gilt als chronisch unterernährt und hat ernährungsbedingte Wachstumsverzögerungen.

Abrechnung mit dem kolonialen Erbe

Seit dem Sturz von Präsident Ibrahim Boubacar Keita durch einen Militärputsch 2020 und der Annährung der neuen Machthaber an Russland hat sich die Zusammenarbeit der westlichen Staaten mit der Regierung in Bamako verschlechtert. Vor zwei Jahren wurde der Militär Assimi Goïta nach einem erneuten Putsch Präsident einer Übergangsregierung. In seiner Amtszeit wurden die Beziehungen zu Frankreich de facto abgebrochen und es kam schnell zu einer stärkeren Annäherung an Russland.

Das Zerwürfnis mit Frankreich und die Annäherung an Russland haben viele Ursachen, doch Beobachtenden zufolge steckt dahinter vor allem ein Ringen um die Beseitigung des kolonialen Erbes. Vor allem die städtische Jugend fordert seit langem einen grundlegenden Wandel und ein «Neues Mali». In ihren Augen beutet Frankreich seine ehemaligen Kolonien aus, insbesondere durch den Franc CFA, eine Kolonialwährung, die die alten Machtverhältnisse zementiere. Bis heute sichert sich Frankreich durch alte Wirtschafts- und Handelsverträge einen privilegierten Zugang zu den Ressourcen seiner ehemaligen Kolonien. Diese Verträge sollten neu verhandelt werden, um wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erlangen, so die Meinung vieler Menschen. Einigen Regierungen in West- und Zentralafrika kommt diese verbreitete Grundstimmung recht – auch um von anderen umstrittenen Themen abzulenken.

Auswirkungen auf die Entwicklungszusammenarbeit?

Die vielschichtige Krise und die zunehmende geopolitische Polarisierung wirken sich auch auf die Entwicklungszusammenarbeit aus, auf die das Land nach wie vor angewiesen ist. Im Jahr 2019 erhielt Mali Entwicklungshilfegelder von 1,83 Mrd. US$, das entspricht 11,1% des Bruttonationaleinkommens. Bedeutendste Geber waren die USA, die EU, die Weltbank, Deutschland, Frankreich, UK und der Internationale Währungsfonds. Im letzten November hat die Regierung die Verwendung französischer Gelder untersagt, die Aktivitäten französischer Organisationen jedoch nicht offiziell verboten. Sie sagt, sie wolle die Beziehungen zum französischen Staat abbrechen, aber nicht zu «den Französinnen und Franzosen». Mit dem de-facto-Rauswurf der französischen Entwicklungsagenturen dürfte die Rolle Chinas auf den Gebieten Infrastruktur, Landwirtschaft und Gesundheitswesen noch wichtiger werden. Allerdings liegen dazu keine Zahlen vor.

Die Rolle der Schweiz

Und welche Rolle spielt die Schweiz? Mali ist bereits seit 1977 ein Schwerpunktland der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit. Die wichtigsten thematischen Prioritäten sind Regierungsführung (Dezentralisierung) und Frieden, ländliche Entwicklung, Ernährungssicherheit sowie Bildung. Diese Schwerpunkte stehen im Einklang mit den Entwicklungsplänen Malis. Die Dezentralisierung in Mali ist nicht nur ein Schlüsselelement des Friedensabkommens von 2015, sondern auch ein entscheidender Faktor bei der Konfliktprävention. Darüber hinaus gibt es Defizite im Bereich der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit. Staatliche Institutionen sind oft nicht willens oder in der Lage, ihre Aufgaben und Dienstleistungen in abgelegenen Regionen zu erfüllen. Es fehlt an Schulen, Gesundheitseinrichtungen und funktionstüchtigen kommunalen Behörden.

Hier setzt unter anderem die Schweizer Entwicklungsorganisation Helvetas an, indem sie die malische Regierung mit gemeindebasierten Programmen und Projekten unterstützt. Dabei profitiere Helvetas vom guten Ruf der Schweiz als neutrales Land ohne geopolitische Agenda, erklärt der Guineer Oumar Baldet, der bis vor kurzem das Helvetas-Programm in Mali leitete. Auf solche lokalen Projekte in Zusammenarbeit mit den Behörden und der malischen Bevölkerung will die Schweiz auch in Zukunft setzen.

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*René Holenstein ist Historiker. Er ist Ko-Autor von Joseph Ki-Zerbo, A quand l’Afrique. Entretiens avec René Holenstein, Ed. d’en bas, Lausanne 2016.