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Mut zum friedenspolitischen Engagement im Nahen Osten

von Laurent Goetschel* | November 2023
Auch wenn die aussenpolitischen Prinzipien im Israel-Palästina-Konflikt unter Druck geraten, soll die Schweiz an ihrem friedenspolitischen Engagement festhalten und Kontakte zu möglichst allen Seiten pflegen.

Seit dem 7. Oktober hält der Israel-Palästina-Konflikt die Welt erneut im Atem: Als Reaktion auf den terroristischen Angriff der Hamas reagierte Israel mit einer massiven Bombardierung des Gazastreifens und schliesslich einer militärischen Invasion. In weiten Teilen der Welt gehen deswegen die Emotionen hoch. Ein Grund dafür ist die hohe Anzahl ziviler Opfer auf beiden Seiten. Es geht aber auch um die Spezifizität dieses Konflikts, die sich aus dessen langen Dauer, der verfahrenen und komplexen Situation sowie der engen Verbindung zur europäischen Geschichte und den Interessen der USA sowie aller regionalen Mächte ergibt. Hinzu kommt die Einbindung in verschiedenste Diskurse, die aus postkolonialen bis zu evangelikalen Kreisen stammen.

Gegenüber allen Parteien auf Völkerrecht beharren

Die Schweiz hat ihr humanitäres und friedenspolitisches Engagement über mehrere Jahrzehnte aufgebaut und geniesst bei den Konfliktparteien ein hohes Ansehen. Dieses gründet auf der Unparteilichkeit des Schweizer Engagements sowie auf der Tatsache, dass sich die Schweiz in Bezug auf diesen Konflikt bisher nicht in die eine oder andere Ecke der Weltpolitik hat drängen lassen. Sie führt jenseits von UN-Beschlüssen keine Liste terroristischer Organisationen und beharrt gegenüber allen Parteien auf der Bedeutung des Völkerrechts. Auch arbeitet sie seit vielen Jahren mit nichtstaatlichen Akteuren zusammen.

In den letzten Wochen sind alle drei Prinzipien unter politischen Druck geraten. Die extreme Polarisierung in der politischen Rezeption des Konfliktes hat die Tür zu Parteinahmen geöffnet, welche die Akteure nicht nur inhaltlich, sondern quasi in ihrer Menschlichkeit voneinander unterscheiden. Es ist von «Barbarei» und «Zivilisation» die Rede. Damit wird suggeriert, dass sich die beiden Seiten dermassen voneinander unterscheiden, dass sie keinen Anspruch auf gleichwertige Behandlung gemäss humanitärem Völkerrecht haben. Ein ähnliches Denken hatte die Reaktion der USA auf die Terrorangriffe auf die Twin-Towers in New York geprägt. Es führte zur Einrichtung des exterritorialen Gefängnisses in Guantanamo, in welchem immer noch Gefangene ausharren, die dem Geltungsbereich des Völkerrechts entzogen wurden, weder schuldig noch freigesprochen wurden und nirgendwo hinkönnen.

Geldflüsse könnten schon heute sanktioniert werden

Vergleichsweise harmlos wirkt demgegenüber die Diskussion in der Schweiz über die Frage an, ob mit der Hamas erstmals eine Organisation, die nicht von der UN als solche eingestuft worden ist, als terroristische Organisation bezeichnet werden soll. Jenseits des Deklaratorischen und Politischen geht es vor allem um die Frage der Sanktionierung der Organisation, etwa betreffend Geldflüssen oder der Möglichkeit der Organisation, in der Schweiz als solche aufzutreten. Eine Sanktionierung könnte die Schweiz bereits gestützt auf bestehende gesetzliche Grundlagen wie dem Embargogesetz vornehmen. Der Bundesrat könnte dies sogar selber beschliessen. Allerdings hat die Regierung bisher gezögert, solche sogenannten thematischen Sanktionen der EU zu übernehmen. Es könnte auch ein Präzedenzfall für die Übernahme anderer solcher EU-Sanktionen sein, beispielsweise bezüglich der Menschenrechte in China.

Inhaltlich umstritten ist die Infragestellung der Zusammenarbeit mit bewährten Partnerorganisationen aus der Zivilgesellschaft in Israel und Palästina. Die gezielte Unterstützung zivilgesellschaftlicher Akteure, deren Ziele denjenigen der Schweizer Aussenpolitik entsprechen, ist ein erprobtes Mittel der internationalen Zusammenarbeit und der Friedensförderung. Dass dies nicht bei allen Akteuren vor Ort gleichermassen auf Gegenliebe stösst, liegt in der Natur der Sache. Die Förderung von Demokratie, Menschenrechten und der Gesundheitsvorsorge, um nur drei der betroffenen Bereiche zu nennen, kann jedoch kaum als Widerspruch zur Friedensförderung gesehen werden.

Friedenspolitik ist keine Schönwetterpolitik

Es ist nachvollziehbar, dass das Engagement der Schweiz im Nahen Osten in einer emotional und politisch aufgeladenen Zeit, wie sie aktuell gegeben ist, unter Druck gerät. Es wäre jedoch fatal, wenn sich Regierung und Parlament dadurch beeindrucken liessen. Friedenspolitik ist keine Schönwetterpolitik. Sie interveniert ins Innerste machtpolitischer Kämpfe mit dem Ziel, einen Beitrag zur Reduktion militärischer Gewalt zu leisten. Damit bewegt sie sich jedoch im Kernbereich des Auftrags der Vereinten Nationen. Frieden ist letztlich ein globales öffentliches Gut.

Für Israel und Palästina muss nach den verheerenden Entwicklungen der letzten Wochen für die rund 15 Millionen Menschen zwischen dem Jordan-Fluss und dem Mittelmeer eine Perspektive entwickelt werden, die allen eine Zukunft bietet. Dies mag vielen zurzeit als unwahrscheinlich, wenn nicht gar unmöglich erscheinen. Es gibt dazu aber keine konstruktive Alternative. Anstatt Bewährtes in Frage zu stellen, sollte sich die Schweiz darauf konzentrieren, ihren möglichen Beitrag auf diesem künftigen Weg zu definieren. Sie ist dafür gut aufgestellt. Sie hat stets versucht, zu möglichst allen Seiten Kontakte zu pflegen. Sie hat sich insbesondere im humanitären Bereich eine solide Glaubwürdigkeit erarbeitet. Zudem weist sie selber als Staat einen belastbaren Leistungsausweis auf, wie verschiedene Sprach-, Religions- und kulturelle Gemeinschaften friedlich unter einem Dach leben können und hat auch im Bildungs-, Innovations- und Wirtschaftsbereich Einiges einzubringen.

*Laurent Goetschel ist Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung swisspeace und Professor für Politikwissenschaft an der Universität Basel.