Starthilfe zur Debatte über eine mitgestaltende Schweiz

von Christoph Wehrli | November 2021
Das im Auftrag der SGA verfasste Buch «Eine Aussenpolitik für die Schweiz im 21. Jahrhundert» stellt die wichtigsten Entwicklungen und Herausforderungen dar. An der Vernissage wurden besonders die Spannungen zwischen der Internationalität der Probleme, der Rivalität von Mächten oder Wertsystemen und dem Selbstbild einer eigenständigen Schweiz hervorgehoben.

1975 hatte die SGA ein erstes Handbuch der schweizerischen Aussenpolitik und 1992 eine auf mehr als 1100 Seiten angewachsene Neuausgabe publiziert. Das Buch, das jetzt in dieser Reihe von Grundlagenwerken folgt, ist nicht mehr geradezu enzyklopädisch angelegt, sondern bietet in relativ knapper Form eine problemorientierte Übersicht über Geschichte und Prinzipien, Akteure und Prozesse, Uno- und Europapolitik, vor allem indes über die wichtigsten sachlichen Handlungsfelder. Zu diesen gehören neben den gewohnten Bereichen wie der Handels- oder der Entwicklungspolitik auch Themen, die lange als nationale Domänen galten, namentlich die Klima-, die Finanzplatz- und die Migrationspolitik.

Den Wandel einfangen

Die Arbeit der Herausgeber übernahmen Thomas Bernauer, Professor für Politikwissenschaft an der ETH Zürich, Katja Gentinetta, Publizistin und Dozentin für politische Philosophie, und Joëlle Kuntz, Publizistin mit Schwerpunkten in der Geschichte und dem internationalen Genf. Die Beiträge der Fachautorinnen und -autoren werden durch Gespräche mit Praktikern ergänzt. Die SGA hat das Projekt mit Anregungen und Kommentaren begleitet und nicht zuletzt die Mittel beschafft.

Das Werk ist letztlich auf die künftige Politik ausgerichtet, wie es auch an der Vernissage im «Äusseren Stand» in Bern betont worden ist. Die raschen Veränderungen – allein in die Entstehungszeit fielen unter anderem die Pandemie und der schweizerische Abbruch der Verhandlungen mit der EU - und die Unsicherheiten um alles, was uns erwartet, bedeuten allerdings, dass das Buch, wie Katja Gentinetta sagte, nicht den Anspruch erheben kann, durch das ganze im Titel erwähnte Jahrhundert zu «halten». Thomas Bernauer nannte es eine Starthilfe zum systematischen Nachdenken über eine Aussenpolitik, die dreifach expandiert: punkto Akteure (auch in Richtung Zivilgesellschaft), punkto Geografie und punkto Themen mitsamt ihren gegenseitigen Bezügen.

Globalisiert und weiterhin «eigenständig»?

Verlangt der internationale Wandel eine grundsätzliche Neuorientierung der Aussenpolitik, und wäre die Schweiz in der Lage dazu? Ein von Rudolf Wyder, Vizepräsident der SGA, geleitetes Podiumsgespräch gab einige Hinweise. Kuntz sieht einen Widerspruch zwischen dem Engagement für den Multilateralismus und der Betonung des Werts des Alleingangs. Zudem könne ein kleiner Staat mit grossen Ambitionen in eine Falle geraten wie die Schweiz mit ihren Bemühungen um eine Reform des Uno-Sicherheitsrats. In der Klimapolitik stellt sich für Nationalrat Roland Fischer (GLP, Luzern) sogar die Frage, ob das Land nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes noch den Anspruch eines verlässlichen Partners erfülle. Im Weiteren bejahte Fischer den von Wyder zitierten Grundsatz des Bundesrats vom Mai 1992, dass die gleichberechtigte Teilnahme an der Gestaltung der Politik in Europa einer einseitigen Abhängigkeit vorzuziehen sei.

Daniel Möckli, Leiter der Abteilung Policy Planning im EDA, verfocht die Position, die Schweiz habe vorderhand weiterhin zwischen den Machtblöcken ein eigenständiges Profil zu pflegen. Die Neutralität habe als Basis Guter Dienste wieder an Bedeutung gewonnen. Eine Integration in einen grossen Verbund sei heute weder realistisch noch nötig. Doch natürlich gehöre die Schweiz zur westlichen Werte-Sphäre und sei immer wieder Zielkonflikten ausgesetzt. Ob sie ihre Stellung angesichts der Mächterivalität bewahren könne, bleibe offen. Gentinetta mahnte, es sei entscheidend zu erkennen, wann ein bisher bewährter Weg zu verlassen und ein neuer einzuschlagen sei. Für die immer noch von der Kriegsverschonung geprägte Schweiz hiesse das, eine auf höherer Ebene geteilte oder gemeinsam ausgeübte Souveränität als nützlicher denn die formelle nationale Souveränität einzustufen. Die europapolitische Einstellung, konkretisierte Bernauer, dürfte sich nur ändern, wenn man sich der automatischen Erosion der Beziehungen bewusst werde und wenn sich die Rivalität zwischen den USA und China verstärke. Es müsse – und werde - «weh tun», ergänzte Gentinetta.

Vermerkt wurde immerhin auch, dass die Schweiz bei der internationalen Steuerharmonisierung aus den Erfahrungen mit dem Bankgeheimnis gelernt, sich der Diskussion nicht verweigert, sondern sich eingebracht habe. Trotz ihren speziellen demokratischen Institutionen könne sie auch Wege zur innenpolitischen Annahme solcher Vorhaben finden.

Die Präsidentin der SGA, Nationalrätin Christa Markwalder, wies in ihrem Schlusswort ihrerseits auf das Paradox hin, dass eines der am meisten globalisierten Länder ein starkes Sonderfall-Bedürfnis zeige. Könnte Souveränität nicht – wie das Wissen – wachsen, wenn man sie teile? Die Funktion der SGA, die Aussenpolitik innenpolitisch zu vermitteln, wird jedenfalls nicht weniger wichtig.

Thomas Bernauer, Katja Gentinetta, Joëlle Kuntz (Hrsg.): Eine Aussenpolitik für die Schweiz im 21. Jahrhundert. NZZ libro, Basel 2021. 272 S., Fr. 46.-. Mitglieder der SGA-ASPE können das Buch über  https://www.sga-aspe.ch/bestellung-eine-aussenpolitik-fuer-die-schweiz-im-21-jahrhundert/ zum Sonderpreis von Fr. 36.00 beziehen.